Der Thesenanschlag Martin Luthers jährt sich zum 500. Mal – für die Evangelische Kirche ein Grund zum Feiern und zur Selbstvergewisserung: Was sind eigentlich die evangelischen Schätze und Erkenntnisse, die man selbstbewusst in eine immer stärker säkulare Gesellschaft transportieren kann?
Reformationsjubiläum – evangelisch oder ökumenisch feiern? (Vortrag Abendkreis im Mühlendorf, 6. April 2017)
Genauso stellt sich die Frage, wie man im ökumenischen Miteinander vor allem mit der katholischen Kirche die mit der Reformation verbundene Kirchenspaltung angemessen thematisiert. Vor Ort gehen katholische und evangelische Christen aufeinander zu, und es hat sich viel entwickelt in den letzten Jahrzehnten. Was gibt es also in 2017 auch gemeinsam zu feiern?
- Evangelisch oder ökumenisch? Wer feiert hier was und mit wem?
„Liebe katholische Kirche, warum regt Dich das Reformationsjubiläum 2017 denn so auf? Feiere doch einfach mit uns. Denn dafür gibt es gute Gründe. Brief eines überzeugten evangelischen Christen Liebe große Schwester, ich hab gehört, Du hättest keine Lust, meinen 500. Geburtstag mitzufeiern? Schade. Ich hätte Dich gerne dabei, wirklich! Im prächtigen Feiern und Inszenieren bist Du doch viel besser als ich. Plaudern und Singen kann ich ja noch, aber wenn es mal festlich krachen soll, kommen statt rheinisch buntem Karneval bei mir nur preußischblaue Akademietagungen heraus. Also komm bitte 2017 nach Wittenberg, ja ?
Ich versuche mal, Dich umzustimmen: Wir feiern nicht meinen historisch biologischen Vater. Ich bin sein ungewolltes Kind, wie Du weißt. Martin Luther fand es 1510 so toll, die Sündenstrafen verstorbener Vorfahren verkürzen zu können, dass es ihm »schier leid tat, dass meine Eltern noch leben. Ich hätte sie gerne aus dem Fegefeuer erlöset mit meinen Messen«.
Den Ablasshandel hat er noch zum Allerheiligenfest 1514 verteidigt und sogar die Abfassung des »Augsburger Bekenntnisses« 1530 verstand er als Reformvorschlag, nicht als Gründungsakte einer neuen Kirche! Martin lebte und starb als frommer Katholik, vergiss das nicht. Mitfeiern könntest Du zum Beispiel seinen theologischen Ziehvater, den Augustinus, den Du so magst.
Du hast Martin schon 1518 zum Ketzer erklärt, und fortan benahm er sich Dir gegenüber als polemischer Rüpel, zugegeben. Aber nimm zum Beispiel Ignatius von Loyola, den Gründer des Jesuitenordens. Der hat insgesamt sieben Inquisitionsverfahren überlebt. Und heute ist er ein Heiliger! Also, was regst Du Dich auf?
Wir feiern erst recht nicht die Spaltung. Des Zerbrechens der einen heiligen Kirche müsse man »bedauernd gedenken«, höre ich von Dir. Würdest Du das an allen runden Jahrestagen konfessioneller Spaltungen tun, kämst Du aus dem Bedauern gar nicht mehr heraus: Die »Einheit« war 451 beim Konzil von Chalcedon das erste Mal futsch, als die Kopten gingen; 1054 das zweite Mal, als sich die Orthodoxen verabschiedeten; 1184 das dritte Mal, als Du die Waldenser vor die Tür gesetzt hast, und 1209 das vierte Mal mit Deinen Kreuzzügen gegen die Albigenser/Katharer. Ab 1517 kamen wir, die lutherischen und reformierten Zwillingsschwestern, auf die Welt. Dann unser halblebiges Frühchen, die Täufer. Und drüben in England – not amused – trennten sich die Anglikaner von Dir! Das wären dann die Spaltungen Nummer fünf bis sieben.[…] “
(Andreas Malessa, PublikForum, 1/2015 vom 16.01.2015)
So ironisch, aber auch selbstbewusst kann man aus evangelischer Sicht formulieren und nach 500 Jahren auch darauf hoffen, dass Protestanten ohne schlechtes Gewissen feiern dürfen. Wir feiern nicht die Kirchenspaltung, auch nicht das, was „Lutheraner“ späterer Jahrzehnte und Jahrhunderte aus Martin Luther gemacht haben, sondern – und das sage ich mit evangelischem Selbstbewusstsein -, seine reformatorische Erkenntnisse, die auch Gedankenanstoss für Katholiken sein können, auch wenn sie vor 500 zur Kirchenspaltung führten.
Zwei längeren Gedankengänge zur Begründung (2. Luther entdeckte den gnädigen Gott, nicht die lutherische Konfession / 3. Das Jubiläum 2017 ist das erste, das Protestanten nicht „gegen“ jemanden feiern):
- Luther entdeckte den gnädigen Gott,
nicht die lutherische Konfession
Wer ist dieser Martin Luther?
Luther ist so schillernd, dass wir ihn interpretieren sollten, nicht heroisieren. Auch das hilft Katholiken, fröhlich mitzufeiern.
Martin Luther: der Unergründlichen, Jahrhunderte lang zum größten Deutschen Ausgerufenen, gefeiert als „größter Revolutionär“ (Hegel), der den deutschen Christen „das Buch ihres Glaubens in ihre Muttersprache übersetzt“ habe; heute aber angefragt wegen seiner Derbheit und Judenfeindschaft.
Die Reformationshymne „Ein feste Burg“ mit ihrer „Wehr und Waffen“ kommt uns, so martialisch, oft schwer über die Lippen.
Luther war kein Demokrat. Aber er war auch kein Obrigkeitsdiener, so wie er dem einzelnen Menschen gegenüber Papst und Kaiser eine souveräne Stellung und innere Freiheit zuwies.
Er wollte die Kirchenerneuerung, aber es kam zur Kirchenspaltung und später zu Religionskriegen.
Er selber wollte auf kein Podest: Er schreibt:
„Erstens bitte ich, man wolle von meinem Namen schweigen und sich nicht lutherisch, sondern einen Christen nennen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein! Ebenso bin ich auch für niemanden gekreuzigt. St. Paulus […] wollte nicht leiden, dass die Christen sich paulinisch oder petrisch hießen, sondern Christen. Wie käme denn ich armer stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi dürfte nach meinem nichtswürdigen Namen nennen? Nicht so, liebe Freunde! Lasst uns tilgen die parteiischen Namen und uns Christen heißen, nach Christus, dessen Lehre wir haben.“
(WA 8, 685, 4-11)
„Luther – Biographie eines Befreiten“ nennt Joachim Köhler sein Buch, eines der vielen zum Reformationsjubiläum über den Reformator. Entsprechend dem Titel zeichnet er den Weg Luthers vom gepeinigten, verängstigten Mönchen zum befreiten wirkmächtigen und mutigen Reformator: den Weg eines Menschen mit Unternehmergeist, Visionen, der Kraft zum Widerstand und mit unbändigem Durchhaltevermögen – und (und hier liegt für mich ein wesentlicher Schlüssel): mit einer neuartigen religiösen Heiterkeit und Fröhlichkeit.
„Nur wer überall und immer lachen kann, ist ein wahrer Doktor der Theologie.“
Luther brach mit dem Bierernst der Theologen seiner Zeit und mit der Steifheit des Klerus. Denn sein Gott war kein zorniger Gott, sondern ein lachender.
Dahin zu kommen, war ein langer Weg!
Luther wächst in großer Strenge auf: Vater Hans investiert und riskiert viel als Hüttenmeister in der damals aufstrebenden Montanindustrie im sächsischen Mansfeld. Er erzieht die Kinder äußerst autoritär. Zuhause und in der Schule wird geprügelt. Der Vater hat einen klaren Plan mit Martin: Der sollt Jura studieren und später als Justiziar über die Geschäfte des Vaters wachen.
Über die Schulstationen Magdeburg und Eisenach kommt Luther nach Erfurt zur akademischen Grundausbildung (1501-1505). Er studiert in einem zehrenden Rhythmus (gemeinsamer Schlafsaal – vier Uhr aufstehen!) die gängige Theologie seiner Zeit (Scholastik), aber auch griechische Philosophie (Aristoteles). Er erlebt in Erfurt die Bettelorden, die die Straßen nach Almosen abgrasen, und die fromme Zucht der Bursen. Er erlebt die ersten Aufbrüche des Humanismus und erfährt, wie Kirchenkritiker im Deutschen Reich als Ketzer auf dem Scheiterhaufen landen. Einige Kommilitonen fallen in dieser Zeit der Pest zum Opfer.
In der Rückschau sieht er sich in Erfurt als „junger Magistrat“, der „durch seine Anfechtungen der Traurigkeit immer trauriger“ wurde.
Zum Ende des Generalstudiums reist er nach Mansfeld, weil sein Vater ihn mit seiner neuen Aufgabe – und mit der von ihm ausgewählten Ehefrau – betrauen will. Auf dem Rückweg gerät er bei Stotternheim in ein schweres Gewitter. Sein Stoßgebet in Lebensgefahr: „Hilf du, St. Anna, ich will ein Mönch werden!“
Tatsächlich verkauft Luther alle juristischen Bücher und tritt zwei Wochen später ins Augustinerkloster Erfurt ein. Es ist nicht die Wegwende hin zur Reformation gewesen!
Sicher: Er hat sich mit einem Male von der väterlichen Gängelung gelöst, vom Jurastudium und der drohenden Zwangsheirat.
Im Kloster erwartet ihn das irdische Fegefeuer: Luther beginnt ganz unten mit der allerverächtlichsten Arbeit (Latrinenputzen). Er kann nicht wie auf der Universität die griechischen Philosophen weiterlesen, sondern wird auf die Straße geschickt mit dem Satz: „Mit Betteln (und nicht mit Studieren!) dient man den Klöstern!“
Unter größtem religiösem Leistungsdruck wird gefastet, gebetet. In der Bibel wird nicht gelesen. „Ich hatte 14 Schutzheilige, die ich jeden Tag zweimal anrief. Als Lohn durfte man sich vom Scheitel bis zur Ferse ganz heilig fühlen.“ Lachen ist verboten – es gab auch keinen Anlass.
Langsam wittert Luther, dass auch sein Gelübde von Stotternheim, sich einem gottgefälligen Leben zu weihen, nicht automatisch ein gottgefälliges Werk darstellt: Man kann Gott nicht genügen! – Im Geschäftsmodell „Gibst du mir, so geb ich dir“ liegt vielmehr die gefährliche Anmaßung, als ob man sich selbst vor Gott gerecht machen könnte. Wer hat Luther eigentlich in Blitz und Donner versucht? Der Teufel? Oder vielleicht Gott, um ihn mit List und Tücke auf den rechten (klösterlichen) Weg zu bringen?
Im Kloster dominiert jedenfalls das schlechte Gewissen. Obwohl das Gewissen doch eigentlich Gott im Inneren eines Menschen vertreten sollte, stieß es Luther in die Seelenfinsternis, in eine Art inneres Fegefeuer.
Über die eigentliche Wende, die Entdeckung des gnädigen Gottes, schreibt er 1546, ein Jahr vor seinem Tod, im Vorwort zur Gesamtausgabe seiner Schriften:
„Inzwischen war ich in diesem Jahr [1519] zum Psalter zurückgekehrt, um ihn von neuem auszulegen, im Vertrauen darauf, daß ich geübter sei, nachdem ich St. Pauli Epistel an die Römer und Galater und die an die Hebräer in Vorlesungen behandelt hatte. Ich war von einer wundersamen Leidenschaft gepackt worden, Paulus in seinem Römerbrief kennenzulernen, aber bis dahin hatte mir nicht die Kälte meines Herzens, sondern ein einziges Wort im Wege gestanden, das im ersten Kapitel steht: »Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm [= Evangelium] offenbart« [Röm 1,17].
Ich hatte nämlich dieses Wort >Gerechtigkeit Gottes< zu hassen gelernt, das ich nach dem allgemeinen Wortgebrauch aller Doktoren philosophisch als die sogenannte formale oder aktive Gerechtigkeit zu verstehen gelernt hatte, mit der Gott gerecht ist, nach der er Sünder und Ungerechte straft. – Ich aber, der ich trotz meines untadeligen Lebens als Mönch, mich vor Gott als Sünder mit durch und durch unruhigem Gewissen fühlte und auch nicht darauf vertrauen konnte, ich sei durch meine Genugtuung mit Gott versöhnt: ich liebte nicht, ja, ich haßte diesen gerechten Gott, der Sünder straft; wenn nicht mit ausgesprochener Blasphemie, so doch gewiß mit einem ungeheuren Murren war ich empört gegen Gott und sagte: »Soll es noch nicht genug sein, daß die elenden Sünder, die ewig durch die Erbsünde Verlorenen, durch den Dekalog mit allerhand Unheil bedrückt sind? Muß denn Gott durch das Evangelium den Schmerzen noch Schmerzen hinzufügen und uns durch das Evangelium zusätzlich seine Gerechtigkeit und seinen Zorn androhen?« So raste ich in meinem wütenden, durch und durch verwirrten Gewissen und klopfte unverschämt [Lk 11,5-10] bei Paulus an dieser Stelle an, mit heißestem Durst zu wissen, was St. Paulus damit sagen will. Endlich achtete ich in Tag und Nacht währendem Nachsinnen durch Gottes Erbarmen auf die Verbindung der Worte, nämlich -. »Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm offenbart, wie geschrieben steht [Hab 1,4], >Der Gerechte lebt aus dem Glauben<.
« Da habe ich angefangen, die Gerechtigkeit Gottes so zu begreifen, daß der Gerechte durch sie als durch Gottes Geschenk lebt, nämlich aus Glauben; ich begriff, daß dies der Sinn ist: offenbart wird durch das Evangelium die Gerechtigkeit Gottes, nämlich die passive, durch die uns Gott, der Barmherzige, durch den Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: »Der Gerechte lebt aus dem Glauben«.
Nun fühlte ich mich ganz und gar neugeboren und durch offene Pforten in das Paradies selbst eingetreten. Da zeigte sich mir sogleich die ganze Schrift von einer anderen Seite. Von daher durchlief ich die Schrift, wie ich sie im Gedächtnis hatte, und las auch in anderen Ausdrücken die gleiche Struktur [analogia], wie: >das Werk Gottes<, d.h. was Gott in uns wirkt, >die Kraft Gottes<, mit der er uns kräftig macht, >die Weisheit Gottes<, mit der er uns weise macht, >die Stärke Gottes<, >das Heil Gottes<, >die Herrlichkeit Gottes<. Nun, mit wieviel Haß ich früher das Wort >Gerechtigkeit Gottes< gehaßt hatte, mit um so größerer Liebe pries ich dieses Wort als das für mich süßeste; so sehr war mir diese Paulusstelle wirklich die Pforte zum Paradies. Später las ich Augustins »De spiritu et littera«, wobei ich unverhoffterweise darauf stieß, daß auch er die Gerechtigkeit Gottes ähnlich interpretiert: [als die Gerechtigkeit], »mit der uns Gott bekleidet, indem er uns rechtfertigt«/1/. Und obwohl dies noch unvollkommen gesagt ist und Augustin von der Anrechnung [imputatio] nicht alles klar expliziert, gefiel es mir doch, daß die Gerechtigkeit Gottes gelehrt wird, mit der wir gerechtfertigt werden.
Diese Entdeckung des jungen Luthers sind die entscheidenden reformatorischen Grunderkenntnisse – jenseits einer konfessionellen Spaltung oder gar eine Kirchentrennung:
- Rechtfertigung allein aus Gnade (sola gratia)
- Es zählt nur Rechtfertigung nur das Geschenk des Glaubens. Keine religiöse Leistung, keine guten Werke/Ablasse können heilsrelevant sein. (sola fide).
- Wo ist Jesus Christus zu finden? Allein im Zeugnis der Schrift (nicht in den Lehren der Institution Kirche) (sola scriptura)
Durch den Thesenanschlag (1517) und die grundlegenden Schriften (um 1520) führte die reformatorische Entdeckung in den unüberbrückbaren Konflikt mit dem Papst, und von der anderen Seite führen Bann und Acht auf dem Wormser Reichstag (1521) zum Bruch. Dennoch zeigt der ökumenische Dialog der letzten Jahrzehnte, dass das, was im 16. Jahrhundert noch kirchenspaltend war – theologisch keine unüberbrückbaren Gegensätze mehr sein muss: z.B. gegenseitige Anerkennung der Taufe (1970er-Jahre); gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999).
Es dürfte heute ein ökumenischer Satz sein: „Sich auf die Reformation besinnen heißt: sich auf das Evangelium von Jesus Christus besinnen.“
- Das Jubiläum 2017 ist das erste,
das Protestanten nicht „gegen“ jemanden feiern
Lutherjubiläen oder Reformationsgedenktage sind in den letzten 500 Jahren oft konfessionell verengt gefeiert worden, oder das Lutherbild fiel dem jeweiligen Zeitgeist zum Opfer:
1617 (100 Jahre nach der Reformation): gegen Katholiken
Das Jubiläum war ein gesellschaftliches Großereignis, bei dem Symbiose von Kirche, Kultur und dem evangelischen Gemeinwesen gefeiert wurde –ein Jahr vor dem Ausbruch des 30jährigen Krieg, der ein Konfessionskrieg war.
1717 (200 Jahre nach der Reformation): gegen Katholiken
Ähnlich war es 1717: gefeiert wurde die Befreiung vom pästlichen Joch und Irrtum durch Luther, der wie ein Mose durchs Schilfmeer die Befreiung in die Wege geleitet hätte.
1817 (300 Jahre nach der Reformation): gegen das Großdeutsche
Luther galt als truziger deutscher Nationalheld, zwei Jahre nach dem Wiener Kongress, der die Grenzen Europas neu geordnet hatte. Die Reformation wurde nationalpolitisch umgedeutet.
Immerhin steht das Jubiläum 1871 auch für die altpreußische Union und ihre Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten. In Westfalen, genauer in Hagen, feierten Reformierte und Lutheraner eine große gemeinsame Abendmahlsfeier, die preußische König Friedrich Wilhelm III guthieß und zur Grundlage der Gründung der altpreußischen Union machte.
1917 (400 Jahre nach der Reformation): gegen Europa
Das Jubiläum im Jahr 1917 stand ganz im Zeichen des Ersten Weltkriegs und wurde für Durchhalteparolen und als Vergewisserung deutscher Stärke gegen andere europäische Länder instrumentalisiert.[1]
Und 2017? Man kann viel darüber debattieren, ob das Reformationsjubiläum diesmal besonders stark kommerzialisiert ist (Playmobil-Luther) oder der durch die ostdeutschen Bundesländer fossierte Luther-Tourismus eine unangemessene Nähe von Staat und Kirche darstellt – aber eins ist klar: Es wird inhaltlich als ein europäisches Fest gefeiert (Weltausstellung) – nicht gegen Europa oder andere Länder!- , als ökumenisches Fest (besonders: Ökumenisches Fest in Bochum, 16.9.) – und nicht gegen Katholiken. Was vielleicht fehlt, ist der Blick auf die anderen Reformartoren (Clavinjahr in der Dekade)!
- Erinnerungen heilen
Im März fand in Hildesheim ein ökumenischer Gottesdienst statt, in dem EKD und Bischofskonferenz unter dem Leitwort „Erinnerungen heilen – Christus bezugen“ die gegenseitige Schuld an der Trennung der Konfessionen bekannt haben und beteuert haben, dass es weitere Schritte der Einigung im Verständnis des Evangeliums geben muss.
Die Trennung wird also das Schmerz benannt – so wie viele Menschen über Jahrzehnte gelitten haben unter den praktischen Konsequenzen, die Evangelisch- und Katholischsein hatten (Trauungen, Patenamt, keine Abendmahlsgemeinschaft bis heute).
Es setzt sich – auch zum Reformationsjubiläum – die Erkenntnis durch, dass uns mehr verbindet als trennt. Evangelizität (also der Bezug zur Bibel) ist eine Erkenntnis der katholischen Kirche; die Katholizität (die Allumfasstheit der Kirche) ist der Evangelischen Kirche wichtig.
Es bleiben weiter schmerzhafte Merkmale der Trennung, die offen benannt werden: Amtsverständnis, Abendmahlsverständnis. Historisch auch die Mythoisierung des Thesenanschlags oder die Exkommunikation Luthers in Worms.
„Wir können heute auch als Katholiken unumwunden sagen, dass er eigentlich keine neue Kirche gründen wollte. Er wollte den Blick auf den gnädigen und barmherzigen Gott lenken und den Menschen seiner Zeit Mut machen, ihr Leben ohne Angst in diesem Gott festzumachen“, so Kardinal Marx.- Das bedeutet für mich als Protestant, dass wir dieses Reformationsjubiläum gemeinsam feiern sollten.
- Ausblick: Herausforderungen der Kirchen im 21. Jahrhunder
Thesen (nach einem Vortrag von Wolfgang Huber):
- Menschen fragen nicht mehr vorrangig nach Konfessionen, nicht mal mehr nach dem christlichen Glauben zuerst, sondern nach „Religion“
- Religion kann überhaupt nicht mehr interessierte (Säkularismus)
- Religion ist weltweit aber im Vormarsch (kein unreligiöses Zeitalter)
- Religion ist nicht unbedingt gut (Religion und Gewalt)
- Christlicher Glaube ist eine Option unter vielen (das meint nicht, dass er eine Option unter vielen in der Multioptionsgesellschaft, sondern dass es unsere kirchliche Aufgabe ist, Menschen einladend zu zeigen, warum wir Christen sind und der Glaube für sie in Frage kommt / gegen Selbstverleugnung und Selbstvergleichgültigung)
- Zuversicht zeigen ist die christliche Tugend: Gottvertrauen gegen Zukunftsangst; Gnade gegen eine gandenloses Verwertungsgesellschaft;
- Einleuchtende Lebensformen entwickeln: Nächstenliebe aus „Beten und Tun des Gerechten“ (Bonhoeffer) zeigen
- Pluralität ernst nehmen: Überzeugte und überzeugende Toleranz (statt Toleranz der Beliebigkeit): Gefahr der Toleranz ist Gleichgültigkeit (Pegida: Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer Menschen) oder Verharmlosung („Terror hat mit dem Islam nichts zu tun.“)
[1] „Keine andere der neuen Nationen hat je einen Mann gesehen […], der so in Art und Unart das innerste Wesen seines Volkes verkörpert hätte. […] Wir Deutschen finden in alledem kein Räthsel, wir sagen einfach: das ist Blut von unserem Blute.“ (Vortrag des Berliner Historikers Heinrich von Treischke in seinem Jubiläumsvortrag „Luther und die deutsche Nation.