An einem Tisch! An einem Tisch saßen Wladimir Putin und der französische Präsident Emmanuel Marcon. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz saß dort. Sechs Meter lang und 2,60 Meter breit soll dieser Tisch sein. Nur mit Weitwinkel konnten die Fotographen diese Szene einfangen. (Gottesdienst bei YouTube)
Predigt zu Gründonnerstag, Erlöserkirche Haltern
Viel leicht wird dieses Bild einmal seinen Weg in die Geschichtsbücher finden. Wie Putin die Zukunft künftiger Generationen verspielte. Präses Annette Kurschuss formulierte zu dieser Fotomontage zum Beginn der Passionszeit:
„Da sitzt nicht einer mit dem anderen zusammen, im Gegenteil, er nutzt den Tisch, um größtmöglichen Abstand zu markieren. Einsam, völlig isoliert, sitzt er da in seinem Größenwahn. An diesem gespenstischen Tisch, der Menschen nicht verbindet, sondern voneinander trennt. Eine Karikatur von Tisch!“
An diesem Tisch ist das Tischtuch zerschnitten.
II.
Heute ist Gründonnerstag. Das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Leonardo da Vinci hat es ins Bild gerückt (auch in der Fotomontage zu sehen): Jesus in der Mitte einer langen Tafel – sechs Meter, mindestens -, darum zwölf Jünger. Es ist die Schicksalsgemeinschaft, von der die Evangelisten berichten: als Fischer hat Jesus die Jünger mit auf den Weg nach Jerusalem gerufen („Gottes Welt ist nahe herbeigekommen!“). Durch buchstäbliche Stürme – etwa auf dem See Genezareth – sind sie gemeinsam gegangen. In die Streitigkeiten mit den Gesetzestreuen sind die Jünger geraten. Alles etwas viel wohl, dass sie fragen ließen, wer auf dem himmlischen Thron neben dem Menschensohn sitzen dürfe. Jesus hat geantwortet: Wer dient, wird der Größte und Erste sein.
Am Gründonnerstag sitzt diese Dienst-Gemeinschaft letztmalig an einem Tisch – eher: Sie kauern damals dem Boden sitzend zusammen – damals gab es keine Tisch – , um am Vorabend des Passahfestes zu speisen. Passah: Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten – Ausgangspunkt für die Verheißung, dass Gott einmal neu ein Bund in das Herz der Menschen schreiben wird und sie alle verstehen, was er für uns bereithält. So ähnlich wird Jesus das sagen, wenn er über dem Kelch vom neuen Bund spricht.
Auch in dieser Gemeinschaft wird Zukunft verspielt. Auch in dieser Gemeinschaft ist – auch wenn es anders aussieht – das Tischtuch zerschnitten: Judas, der zweite Kopf links von Jesus, wartet im Halbschatten, den Geldbeutel in der Hand. Er wird Jesus verraten. Direkt vor Judas, der dritte Kopf links von Jesus, sitzt Simon Petrus: Er wird Jesus verleugnen.
Da Vinci hat das „Letzte Abendmahl“ so gemalt, dass alle viel Nähe haben (vielleicht mit Ausnahme von Jesus, der ein wenig in sich versunken wirkt). Bei den Jüngern sind Emotionen zu erkennen: Aufregung und Angst. Es wird gestikuliert und angeregt diskutiert. Es wird – anders als im Kreml – nicht sofort erkennbar, dass an diesem Tisch etwas nicht stimmt. Das wird es erst, als Jesus es anspricht: „Einer unter euch wird mit verraten.“ „Einer von euch, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taugt.“
III.
Irgendein Karikaturist hat Foto und Gemälde zusammengeschoben.
Unser Abendmahl als Gemeinde, das erste nach so langer Zeit, gleich vor der belastenden Erfahrung eines Krieges? Gar: Putin mit Jesus an einem Tisch?
Wenn man Jesus und seine Jünger mit an den langen Tisch malt, dann entsteht – rein optisch – eine Gemeinschaft als ob wir alle an einem Tisch säßen. So ähnlich habe ich auch gedacht, als plötzlich die Atomwaffen vorbereitet wurden: Die Weltgemeinschaft sitzt an einem Tisch mit dem Aggressor. Wir alle sind betroffen, wenn der Krieg weiter eskaliert! Wir alle sind schon betroffen, ganz unterschiedlich intensiv.
Aber was ist das für eine Gemeinschaft? Darf ich die Tischordnung vorstellen: ganz rechts von uns aus gesehen mit am Tisch: die Hoffnung auf den Frieden! Ganz links mit uns am Tisch: Der Vernichtungswille und Krieg. Unvorstellbar (aber ebenso unvorstellbar wie in der biblischen Geschichte, wo der Verräter und Verleugner mit am Tisch sitzen)!
Welche Worte fände Jesus für den ganz rechts und für den ganz links?
Beim biblischen Mahl verschweigt er nicht, dass da einer am Tisch sitzt, der – Achtung Wortwahl Jesu: – besser nie geboren wäre. Schonungslos klare Worte und klare Verurteilung der Tat, hoffentlich Balsam für alle Opfer, die sich womöglich wünschen, weil ihnen viel Leid erspart geblieben wäre!
Genauso sagt Jesus aber auch (und das sind die Einsetzungsworte unseres Abendmahls): Brot zu nehmen und zu brechen, Gott für die Lebensgaben zu danken, es zu teilen – genau dafür stand und stehe ich mit Haut und Haar, mit Leib und Blut ein, und zwar bis zum Äußersten: Das ist für mich unerschütterlich, weil es den neuen Bund Gottes beschreibt, also Gottes Welt, in der es keine Tränen und kein Tod mehr geben wird.
Ob Jesus die Tür offen hält für alle, für Versöhnung, Vergebung, Umkehr? Ich kann das nicht bei jedem Menschen denken, ich muss das aber auch nicht können.
Jesus entscheidet nicht über Menschen, stößt sie hier nicht von seinem Tisch. Aber: Er stellt sie dem Gericht Gottes, des Vaters, anheim. – Ein unangenehmer und seltener Gedanke, gerade im Abendmahl. Dieser Gedanke war für Luther aber noch konstitutiv: Die Glaubenden g’nießen das Mahl zum Heil, die Ungläubigen zum Gericht (wobei keine Kirche, kein Mensch, sondern Gott allein entscheidet, wer zu welcher Gruppe gehört).
Dahinter steht die Erkenntnis – um es mit Ferdinand von Schirach und einer Menschensicht von heute zu sagen:
„Der Mensch kann ja alles sein, er kann Figaros Hochzeit komponieren, ein Bild wie „Der Mönch am Meer“ malen und das Penicillin erfinden. Oder er kann Kriege führen, vergewaltigen und morden. Er ist immer: der Mensch.“ (Schriftsteller Ferdinand von Schirach)
Der Mensch sitzt am Tisch Jesu mit dem vollen Zuspruch und mit vollem Anspruch Gottes. Er kann sich nicht entziehen. Er kann sich aber bedingt zum Heil oder Unheil entscheiden.
IV.
Gründonnerstag wird oft als Tischabendmahl gefeiert, als besonderer Ausdruck der Gemeinschaft. Da sehe ich eine durch und durch positive Kraft in dieser Collage:
Wir leben in der einen Welt, auch ökonomisch. Es gibt genug Güter – Öl, Gas, Weizen -, die wir am besten teilen. Wenn wir es nicht tun, verlieren alle.
Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, sitzen buchstäblich an unseren Tischen, zu Hause gar oder in unseren Städten. Sie erleben tröstende und helfende Gemeinschaft.
Plötzlich klopfen welche an: Aus unserer Gemeinde sind Leute nach Kraplowo, um unserer polnischen Partnergemeinde gefahren, um Hilfsgüter für Ukraine-Hilfe dort zu bringen. So lang reicht der gemeinsame Tisch!
Städte setzen weiter auf russische Städtepartnerschaften, weil das russische Volk an sich nicht diesen Krieg begonnen hat. – Die Haltener Bevölkerung hat auf dem Marktplatz ihren Friedenswillen bekundet und die Bereitschaft, Menschen aufzunehmen.
Das alles sind kraftvolle Gegenbilder vom Kreml-Tisch: Brot und Kelch, alle Lebensgüter werden geteilt. Angst weicht und neues Vertrauen wächst. Menschen stärken einander, mitten in der Not.
Ja, bei Jesus sind auch die am Tisch, die die gemeinsame Hoffnung zerstören. Das zu erwähnen, ist immer bitter, in diesem Jahr aber besonders augenscheinlich.
Mitten in die tödlichen Konsequenzen von Verrat und Verleugnung hinein passiert am Ostermorgen dann das, was Jesus beim letzten Abendmahl schon ankündigt: Ich werde nicht trinken vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue trinke im Reich Gottes. –
Von Ostern her sind wir an einen Tisch geladen, an dem der Kelch, den wir segnen, wirklich die Gemeinschaft des Blutes Christi ist, und das Brot, das wir brechen, wirklich die Gemeinschaft des Leibes Christi ist. Keine Karikatur eines Tisches, sondern ein reich gedeckter Tisch als Vorgeschmack auf Gottes Welt. Sie wird – trotz allem – kommen!