Wunsch dieses Jahr: Freiheit!

„Was wünscht Du Dir eigentlich zu Weihnachten“, fragt die Mutter am Esstisch. Sie blickt auf den jugendlichen Sohn, um dann nachdenklich bis traurig selbst zu antworten.

„Ich wünsche dir, dass Du nicht mehr zu Hause rumhängst. Dass Du heimlich Partys feierst. Dass Du diesem Mädchen endlich sagst, dass du es liebst. – Ich wünsche dir einfach, dass du deine Jugend wiederbekommst.“ Unterlegt ist die Szene mit der Melodie von Bon Jovis „It’s my life“ – „Es ist mein Leben …“

Szene aus dem diesjährigen Weihnachts-Spot einer großen Lebensmittelkette, millionenfach angeklickt. Darunter kommentieren junge Leute: „Tatsächlich, das war das ein stiller Abschied von der Kindheit.“ Und: „Ich hatte keine Abschlussparty.“ Oder: „Hoffentlich ist dieser Alptraum bald zu Ende.“

Verlost werden am Ende Reisen und Partys – geschenkt: Es ist letztlich Werbung. Gekonnt werden unsere Erfahrungen der letzten zwei Jahre aufgenommen: die Verletzbarkeit unseres bisherigen Lebensstils, der Verzicht, die schmerzhaften Einschränkungen. Eine Krankheit hat Kränkungen erzeugt.

Was wünschen Sie sich für sich – oder für andere – zu Weihnachten?

Weihnachten scheint ein Moment zu sein, an dem Wünsche und Sehnsüchte sich verdichten: Bitte ein Stück heile Welt! Bitte einen Moment lang den Sinn und die Ganzheit des Lebens spüren – und nicht nur die Verletzbarkeit! Das ist tatsächlich Weihnachten, und dafür steht das Kind in der Krippe!

II.

„Ich wünsch mir einfach, dass du deine Jugend zurückbekommst“ – ich seufze diesen Satz auch für andere, für die es keinen Weihnachts-Spot gibt. Sie hätten es aber verdient, dass Ihre Geschichte auch „angeklickt“ würde:

  • Zuerst die jüngeren Kinder, die lange nicht in den Kindergarten gehen konnten. Welche elementare Lebenserfahrung fehlt ihnen? Mit welchem Bündel starten sie ins Leben?
  • Oder die Alten, denen nicht mehr viel Zeit bleibt und zwei Jahre lang werden, in denen sie Enkel nicht gut besuchen konnten oder sich nur schwer aus dem Altenheim herausbewegen konnten.
  • Und – ich nenne sie ausdrücklich – die Kirchengemeinden, deren Arbeit lange brachlag: Kein Gruppen, gähnende Leere im Gemeindehaus, Ehrenamtliche im Presbyterium, die sich mit Corona-Verordnungen herumschlagen mussten und sich auch mal im Streit über die angemessenen Regeln entzweiten. Wem die Arbeit der Kirche wichtig ist, der spürt auch Verzicht und Verlust, und manchmal ertappe ich mich auch dabei, mir etwas zurückzuwünschen, was es auch schon vor Corona nicht mehr gab…

III.

Verzichte, Einschränkungen, Verpasstes, schwierige Situationen – würde ich mir das zu Weihnachten „weg-wünschen“ oder für andere Andere „weg-wünschen“? Und was würde ich mir – positiv formuliert – herbeiwünschen?

Ich höre die alte Geschichte von der Geburt Jesu:

Friede auf Erden – nötig dieser Wunsch, sogar wieder in Europa! Trost – ja, nicht zuletzt weil unsere Gesellschaft so aufgeregt und laut geworden ist und viele wie „nicht bei Trost“ durcheinanderrufen. Hoffnung – ja, denn die Geburt des Jesuskindes unterstreicht (wie Geburt eines jeden Kindes), dass unser Leben weitergeht und die Tore offenstehen!

Ich wünsche mir in diesem Jahr noch etwas anderes viel mehr: Loslassenkönnen. Freiheit. Die innere Freiheit, nicht auf das zu blicken, was mir augenscheinlich genommen wurde, was ich verpasst habe, wo mir die Pandemie persönlichen Pläne und beruflichen Ziele durchkreuzt hat. Die Freiheit, davon abzusehen, sogar von der Sorge um mich selbst.

Ich wünsche mir die Freiheit von fixen Vorstellungen, die oft auch jenseits einer Pandemie nicht funktionieren. Ja, auch um es konkret zu sagen: Wie ein Schulabschluss sein muss, wie die Zeit als alter Mensch mit den Enkel genau aussieht, wie das Gemeindeleben in der Kirche geht.

IV.

In der Weihnachtsgeschichte erlebe ich einen eigentümlich anderen Begriff von Freiheit:

Zum einen: Die Menschen der Weihnachtsgeschichte lassen sich anrühren von diesem Ereignis, dass Gott in diesem Kind zur Welt kommt. Sie sind frei, sich darauf einzulassen und der Geschichte für einen entscheidenden Moment zu folgen:

  • Maria ist so frei, sich über das eigentlich Drama, unverheiratet schwanger geworden zu sein, zu freuen!
  • Josef ist so frei, zu ihr zu stehen.
  • Hirten sind so frei, einfach ihre Herden verlassen – und damit ihre Lebensgrundlage zu gefährden.
  • Die Weisen, über die der Evangelist Matthäus berichtet, die so frei sind, an Herodes vorbei auf anderem Wege nach Hause zu ziehen, um das Kind nicht der Todesgefahr auszuliefern.

Alles unverhoffte neue Fügungen, die sich öffnen, gerade auch in schwierigen Lebenslagen.

Zum anderen: Alle beugen sich über das Kind. Sie blicken damit von sich und ihren eigenen Zusammenhängen, ihren Interessen, ihren eigenen Sorgen weg auf dieses Kind.

Das ist die herrliche Freiheit der Kinder Gottes, mit denen wir in dieser Nacht gemeint sind:

  • Gott nimmt von uns alle Angst und Schuld, die Lähmung und die große Müdigkeit: „Fürchte euch nicht“, schallt der Engel. „Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute, Gottes Kind, das verbind’t sich mit unserm Blute.“ (Paul Gerhardt).
  • Und zur Freiheit der Kinder Gottes gehört: Keiner bleibt bei sich. Das Kind bildet die Mitte neuer heilsamer Beziehungen – zwischen Gott und Mensch und zwischen den Menschen untereinander: Hirten stehen dem jungen Paar bei. Weise kommen von fern und beschenken das Kind als eigentlichen König der Welt. Maria bewegt alle Worte, die zu ihr gesprochen sind, in ihrem Herzen. Selbst Gott scheint von sich selbst weg / auf den Menschen zu blicken: „Er entäußert sich selbst“ (Phil 2), schafft neue Beziehung in sich selbst.

 

V.

Die Frage „Was wünscht Du dir eigentlich zu Weihnachten“ – Ausgangspunkt des Weihnachts-Spots – führt fraglos in Beziehung: Was wünsche ich meinen Kindern? Was für meine alte Mutter? Ja, was wünsche ich mir für meine Kirchengemeinde, dass sie sichtbar, erlebbar und relevant bleibt oder neu wird?

Die Antworten sollen – bei allem berechtigten Klagen – nicht selbstbezogen sein, nicht auf Verpasstes und Verlustiges ausgerichtet bleiben.

Die Antworten (auf die Frage, was ich mir und für andere wünsche), sollten davon handeln, wie wir wirklich neu frei werden, den Nächsten zu sehen:

  • Lassen wir uns nicht auseinandertreiben als Gesellschaft durch diese Pandemie!
  • Bleiben wir beieinander in den Familien, wenn heute Abend unterschiedliche Meinungen am Tisch erklingen!
  • Freuen wir uns bewusst – vor den absehbaren Kontaktbeschränkungen – auf die Zeit mit anderen Menschen an diesen Tagen!
  • Vergessen wir diejenigen nicht, um die es einsam geworden ist oder die Hilfe brauchen!
  • Rüsten wir ab, wenn der Ton rauer wird!

 

VI.

Ich schaue auf das Kind in der Krippe. Es ist ein Spiegelbild unseres derzeitigen Lebens:

In diesem Kind macht sich Gott verletzlich und verwundbar.

Und In diesem Kind ist Gott so frei, uns zur Mitmenschlichkeit zu führen.

Ich höre ihn sagen, als wäre die Weihnachtsgeschichte mit Musik von Bon Jovi unterlegt: „Das ist mein Leben. It’s my life. Und Euch zur Rettung und zum Trost soll es auch Euer Leben werden!“