Wir schicken ein Schiff…

353 Menschen haben das vorletzte Wochenende überlebt. Weil ein britischer Künstler und die Kirche beherzt eingegriffen haben….

Andacht Haus der Diakonie, 5.9.20

Manövrierunfähig und ohne jede Hilfe liegt die „Louise Michel“ am 28. August im Mittelmeer, überfüllt mit über 200 aufgenommenen Flüchtlingen. Stunden vergehen. Keine Küstenwache, kein Staat. Ende einer Mission – womöglich in einer Katastrophe, wie sie sich so oft in den letzten Jahren dort ereignet hat?

 

Die Mission ist die Mission des britischen Street-Art Star Bansky, eines prayer-Künstlers. Er hat die Erlöse seiner Arbeit zur Flüchtlingskrise nicht behalten wollen und kaufte ein Schiff.

 

Was die Menschen an Bord bereits durchgemacht haben müssen? Welche Verzweiflung herrschte und blanke Todesangst?

 

Die Geschichte geht glücklicherweise weiter: Zur Hilfe eilte die SeaWatch 4, das Schiff der Rettungsmission „United4 Rescue“, maßgeblich initiiert von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seit Mitte August erst ist dieses Schiff im Mittelmeer unterwegs, weil auf dem Kirchentag in Dortmund Menschen zueinanderfanden: zum einen in der Flüchtlingskrise weit über die Kirche engagierte Menschen, die in einer Resolution forderten: Schickt ein Schiff! Zum anderen der Bürgermeister von Palermo, der auf dem Kirchentag über seine menschen- und weltzugewandten Haltung berichtete, Flüchtlinge in seiner Stadt aufzunehmen. Dann eine engagierte Predigt im Stadion mit dem Satz, der an Deutlichkeit nichts vermissen ließ: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ – Ein Rat der EKD, der ein Bündnis geschmiedet hat.

Im Meer zwischen Libyen und Malta, so schreibt es die ZEIT, ist in diesen Stunden eine neue Allianz entstanden: Kunst und Kirche retteten am vergangenen Wochenende gemeinsam Menschen vor dem Ertrinken. Kein Staat war weit und breit, wie schon so oft. Aber Kunst und Kirche entdecken hier ihr jeweiliges Mandat, ihren jeweiligen Auftrag, der beiden oft überkritisch vorgehalten wird: Sie mischen sich überall ein, wo sie nichts zu suchen haben, ja, sie sind politisch.

 

Aber wie könnte es anders sein, wenn wir die Jesus-Geschichte gehört haben vom Sturm, von der Lebensgefahr auf dem See Genezareth und dem machtvollen Eingreifen Jesu selbst … – wie könnte es sein, dass die Kirche nicht gerade an die heutigen Orten von Lebensgefahren, Todesängsten und unmittelbaren Gefährdungen ginge? „Merkst du nicht, dass wir umkommen?“ – Das ist die damals bebende und mit maßloser Enttäuschung erfüllte Frage an Jesus – und heute sind doch diejenigen mit dieser Frage konfrontiert, die die sich auf diesen Christus beziehen: Denn daran soll es sich entscheiden, ob wir etwas mit Christus zu tun haben und ob wir nach ihm Christen und Christinnen nennen können: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Wochenspruch).

 

Die Stillung des Sturmes

35 Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren.

36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm.

37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde.

38 Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?

39 Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille.

 

Man lässt keinen Menschen ertrinken. Punkt. Das ist eine humanistische Selbstverständlichkeit. Dieser Satz kommt aber aus einer Predigt und führt daher direkt hinein in die Mitte unseres Glaubens und in diese Sturmgeschichte: Was, wenn Gott in Gestalt Jesu nicht will, dass Menschen ihrer Not ausgeliefert bleiben? Was, wenn sich schon die erste Gemeinde des Markus, der dieses Evangelium geschrieben ist, selber angstvoll fragte, was sie tun kann, damit der Auferstandene Wirklichkeit bleibt?

 

 

Habt Ihr keine Vertrauen, denkt ihr wirklich, dass ich nicht da bin? Ist die Antwort. Und gleichzeitig: Sucht mich vorrangig dort, wo die Stürme brausen und das Leben bedroht ist und schlicht geretten gehört!

 

Glauben und Handeln – in dieser Geschichte der Sturmstillung nicht auseinanderzureißen. Daher ist diese Geschichte mitnichten nur eine Geschichte des Glaubens und das Helfen nicht „nur“ politisch.

 

Die EKD hat die Kritik, dass sie Dinge tut, die Staaten tun müssten und die Kirche hier zu politisch werde, sehr selbstbewusst gekontert: Wir sind hier diakonische Kirche: Kirche, die tut, was sie vom Evangelium hört und sagt.

 

Der Bürgermeister von Palermo hat sich womöglich an seine Allianzen auf dem Kirchentag erinnert. Er hat inzwischen die Flüchtlinge von der SeaWatch4 in seiner Stadt aufgenommen. Der politische Druck von Kunst und Kirche war hier groß genug, für den Moment. Geklärt ist nichts im Mittelmehr: Europa schaut weitgehend weg. Kunst und Kirche und ein mutiger Bürgermeister springen ein, auch um signalisieren: Hier muss grundsätzlich etwas anders werden. Es kann nicht Aufgabe der Kirche, der Kunst bleiben, dauerhaft Menschen zu retten. Das erinnert mich an den Barmherzige Samariter, der nach den Regeln seiner Zeit auch nicht zwingend zuständig war, für den Not aber kein Gebot hatte, er dann einen Wirt findet, der den Verletzten weiterpflegt.

 

 

 

Die 353 vom vorletzten Wochenende haben einen sicheren Hafen gefunden. Sie haben womöglich eine ähnliche Erfahrung gemacht wie die Jünger, als ihre in Jesus Person gewordene Lebenshoffnung doch noch da ist, mitten in der Not. Wie sich Jesus vom Kissen erhebt und Wind und Wellen bedroht.

 

Jakob Frühmann, Lehrer für Deutsch und Religion in Wien, gehört zur Besatzung der SeaWatch4 und wird in der erwähnten ZEIT-Ausgabe porträtiert. Er pausiert ein Jahr von der Schule und ist auf dem Schiff. „Was wir hier auf dem Schiff tun“, sagt er, „ist ein Stück weit Gottesdienst, ein Mitarbeiten am Reich Gottes.“

 

So ähnlich könnte Jesus seinen Jünger geantwortet haben, als sie am Ende enthusiastisch („entsetzt“) fragen: Wer ist denn der/Was ist denn das, dass Wind und Meer gehorsam macht?“ Amen.