Gott, zu dir rufe ich am frühen Morgen / hilf mir beten und meine Gedanken sammeln;/ ich kann es nicht allein. In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht /
ich bin einsam, aber du verläßt mich nicht /
ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe / ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden
in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld /
ich verstehe deine Wege nicht, / aber du weißt den rechten Weg für mich.
So ein bekanntes Morgengebet, im Gesangbuch abgedruckt (EG RWL Nr. 866). Ich habe nie so einen richtigen Zugang dazu gefunden, weil ich klein, einsam, kleinmütig, unruhig selten aufstehe. Gut: Bonhoeffer, „Widerstand und Ergebung“, d.h. aus Briefen und Aufzeichnungen aus der Haft 1943.
Aber meine Gedanken nicht so recht sammeln? Dass ich es nicht alleine kann?!
In den letzten Woche sind mit diese Worte viel vertrauter geworden. Die letzten Wochen – auch eine geistliche Herausforderung: ein vorsichtiges Suchen. Suspekt sind die, die Bescheid wissen, übrigens auch die, die sagen: von der Kirche ist nichts zu hören. – Ja, sie spuckt kleine Töne, ja Gott sei Dank, tastend, unruhig wie der Beter.
Meine Gedanken kreisen, finden keinen Haltepunkt.
Gott – so entdeckt Bonhoeffer in den schweren Monaten der Haft – kittet aber nicht einfach etwas, heilt oder ordnet meine Gedanken. Das entspricht nicht der Wirklichkeit. Es entspräche auch nicht Gott, der so zu begreifen und leicht vom Menschen habbar gemacht werden könnte. Schon Bonhoeffer wusste: „Einen Gott, den es gibt, den gibt es nicht.“
Sondern: Vor Gott stehe ich gerade mit meinen ungeordneten Gedanken, mit meinen Unklarheiten und Grenzen, auch mit meinen Selbstzweifeln und Lebensängsten. Ich stehe dort. Ich muss nicht be-stehen, nicht einmal ver-stehen, endlich einmal nicht! Das Gebet lautet: „Ich verstehe deine Wege nicht!“ Um dann vertrauensvoll die Perspektive zu wechseln: „Du aber weißt den rechten Weg für mich.“
In diesen Wochen sind Gebete offener. Unklarer. Weit gestreut. Vielleicht auch ehrlicher. Sie sind konkret, so wie die Fürbitten unserer Mitarbeitenden für die Monatsandacht. Gebete sind nicht Balsam auf, sondern Ausdruck für meine unklaren Gedanken.
Spannenderweise geht das Gebet Bonhoeffers noch weiter. Der Schluss ist nicht im EG abgedruckt, vielleicht weil es so eindeutig in eine schwere Lebenssituation hinspricht. Aber ohne Schwermut zu verbreiten: es passt mir plötzlich, lobend, klagend, hoffend:
Vater im Himmel, / Lob und Dank sei dir für die Ruhe der Nacht
Lob und Dank sei dir für den neuen Tag
Lob und Dank sei dir für alle deine Güte und Treue in meinem vergangenen Leben.
Du hast mir viel Gutes erwiesen,
lass mich nun auch das Schwere aus deiner Hand hinnehmen.
Du wirst mir nicht mehr auferlegen, als ich tragen kann.
Du lässt deinen Kindern alle Dinge zum besten dienen.