Diakonie zwischen Kirche und Welt (Andacht VRDW)

Vor der St.-Katharinen-Kirche in Osnabrück steht diese Skulpturengruppe aus Bronze und Sandstein aus dem Jahr 1990. Zwei Menschen – Mann und Frau – stehen sich diskutierend gegenüber. Sie sehen sich an.

Andacht VRDW Wuppertal 2016 Pfingsten

 

Um sie herum stehen drei Sandsteinsäulen, auf denen sich eine rollende Kugel, eine Wolke und ein Kubus – ein Würfel – befinden. Kugel, Kubus, Wolke stehen für das heutige Weltverständnis. Die rollende Kugel: Dynamik, die dauernde Bewegung. Der Kubus steht für die Exaktheit und Logik der Wissenschaft, die Fülle des Wissens. Und die Wolke – manche vergleichen sie mit einem Gehirn – für Fantasie, für Neues.

 

II.

In diesem Dreieck des Weltverständnisses steht nun der Mann: „So kann ich die Welt, das Leben begreifen.“

 

Daneben eine Frau: Sie wendet sich, ihn anblickend, nach links und weist mit ihrer Hand auf ein auf einem Stein liegendes Buch. Es ist die Bibel. Sie tritt bewusst einen Schritt aus dem Dreieck, das die Säulen des Weltverständnisses bildet, heraus. Sie nimmt eine weitere Dimension in den Blick – den Glauben.

 

Auf der aufgeschlagenen Seite der Bibel steht das Johanneswort (Johannes 14,6): „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“

 

Der Blick auf die Bibel erweitert die Sicht des Verstehens. Der Glaube mischt sich ein in das übliche / bisherige Weltverstehen.

 

Das passt gut zu Pfingsten.

 

(Pfingstgeschichte) Neuausrichten. Hoffnung über das Sichtbare. Verstehen über Sprachgrenzen hinaus.

 

Es ist der Geist Gottes, der unserem Verstehen Sinn und Orientierung verleiht.

 

Der Glaube steht beileibe ja nicht im Widerspruch zum Verstehen, auch wenn manche das heute wieder konstruieren. Das Gegenteil von Glaube ist nicht Wissen, sondern allenfalls der Zweifel. Und ich glaube, um zu verstehen.

 

Der Glaube, herbeigeblasen vom Geist Gottes, ist wie eine weitere Dimension für das Weltverstehen. Von außen. Unverfügt. Aber doch spürbar, streitbar, immer neu zu ergründen, nicht fest.

III.

Entsprechend ist die Skulpturengruppe begehbar. Jeder kann seinen Ort einnehmen, einen Moment verweilen und sich seinen Platz suchen. Stehe ich dem Mann näher in seinem Denksystem? Bin ich eher bei der Frau, die sich dem Glauben zuwendet?

 

Wie fällt das Sonnenlicht?

Wo sind die Verbindungslinien?

 

Wie verändert sich mein Standort? Mein Blick?

 

Durch Pfingsten in Bewegung kommen. Glauben, um zu verstehen… – Diesen Gedanken hat Anselm von Canterbury schon im 11. Jhd. kultiviert – eigentlich eine banale, einfache Weisheit, eine alltägliche kirchliche Übung.

 

Aber machen wir uns nichts vor: Der christliche Glaube wird derzeit schnell benutzt (missbraucht?), um festzunageln, was das „christliche Abendland“ sein soll – allzu beweglich wird Glaube nicht verstanden und erst recht nicht unverfügbar, durch Gott geschenkt.

 

Oder es wird versucht, Religion gleich ganz ausgesperrt aus den Spannungsfeldern unseres Lebens: entweder weil der „Islam nicht zu Deutschland gehört“ (das ist die Parole von rechts) oder weil Religion etwas so Irrationales oder Privates ist, dass es nicht in die Öffentlichkeit gehört (das ist die vom Theologen Franz Segbers als „Hauruck-Laizismus“ kritisierte Tendenz von links).

 

Die Offenheit der Skulptur vor der Osnabrücker Katharinenkirche ist aber auch für unsere Kirchen und Gemeinden ein wichtiges und ermutigendes Bild: Nicht zurückziehen aus dem Spannungsfeldern unserer Welt! Nicht ständig den Bedeutungsverlust des Glaubens beklagen, sondern sich nur richtig hinstellen, zugewandt, diskutierend.

In Osnabrück ist das mitten auf der agora, dem Marktplatzes…

 

Wenn wir doch ein wenig mutiger mit Spannungen leben könnten! Mit Uneindeutigkeiten! Und die Spielräume sähen, in denen wir uns hin- und her bewegen können.

 

Den Glauben in den Blick nehmen, heißt in diesem Spannungsfeld ja eben nicht, sich in eine Bibelecke zu verziehen. Bildlich gesprochen: Ich möchte eine Position einnehmen, wo ich den Glauben im Blick habe und ihn auf die anderen Kristallisationpunkten beziehe.

 

In der Diakonie sind wir tagtäglich Spannungsfeldern ausgesetzt. Das ist eine gute Übung!

 

Wir fänden sicher schnell Symbole für die Steelen: Etwa für die Spannung zwischen Wirtschaftlichkeit, Fachlichkeit, unserer Werteorientierung. Oder die Spannung von der langen Traditionen und der Moderne, zwischen Sozialstaatlichkeit und Unternehmergeist. Schließt sich alles gar nicht aus, steht aber in Spannung …

 

Mit Pfingsten löst sich ja nicht die Geschichte der Jesus-Anhänger mit ihren Spannungen auf:

Es sprechen nicht plötzlich alle die gleiche Sprache, sondern wahrscheinlich weiterhin die eigene Sprache. Sie verstehen sich aber!

Jesus ist nicht einfach wieder da. Vielmehr erzeugt der Geist den Mut, Gott ins eigene Leben einzubeziehen, gerade weil die Zeit mit dem irdischen Jesus vorbei ist.

 

Das ist anstrengend. Und nicht eindeutig.

 

Auch unser viel beschworenes „diakonisches Profil“ ist nichts Eindeutiges, nichts Additives, keine fromme Ecke, sondern die eher etwas wie eine Lesebrille, mit der wir die Welt betrachten.

 

Vielleicht einfach mit der kühnen Annahmen, dass es den liebenden Gott geben könnte …

  • auf den Nächsten sehen.
  • und die Welt.
  • zu schauen, welche Färbung meine Fantasie dann erhält…
  • Wie mein Verstand ausgerichtet wird …
  • Welches Vorzeichen die Dynamik mein Arbeiten und Strebens auf dieser Erde erhält…

 

IV.

Zur Erinnerung:

Die Skulpturengruppe steht vor einer Katharinen-Kirche. Katharina, so erzählt man von der Frau aus dem 4. Jhd., war sehr gläubig. Das missfiel dem Kaiser, und er schickte ein Heer von Philosophen, um Katharina von ihrem Glauben abzubringen. Sie sollten sie davon überzeugen, dass der Glaube sinnlos ist. Am Ende überzeugte Katharina ihrerseits die Philosophen.

 

Ich gehe durch die Welt, auch durch unser Diakonisches Werk, und wundere mich, welche Arbeit der Heilige Geist anrichtet und um welche Dimension er die vielleicht übliche Weltsicht ergänzt. Oft sind unsere Patienten und Bewohnerinnen oder unsere Klienten so etwas wie eine Katharina.

 

Und wir verorten uns auf unsern diakonischen Spielfeldern, zwischen Steelen. Und aus den Spannungsfeldern – aus den Spanungsfeldern werden oft Handlungsspielräume…

 

 

Gebet

Lass uns in deinem Geiste erkennen, wo du uns in dieser Welt hingestellt hast. Es wird seinen tieferen Sinn haben.

Hilf uns Ängste zu überwinden, wo wir meinen, dass wir nicht genügen. Deine Gnade, deine Liebe genügt.

Lass uns eine Gemeinschaft sein, die Deinem Geist Raum verleiht und wo das sichtbar wird, was du für diese Welt möchtest:

Schenke den Stummen eine Stimme.

Gib den Fliehenden und Gejagten ein neues Zuhause.

Lehre die Traurigen wieder das Lachen neu.

Lass Verzweifelte ein rettendes Ufer sehen.

Birg Kranke und Sterbende in deinen schützenden Armen.

Zeige dich allen, die dich suchen und nach dir rufen.

Was uns persönlich bewegt, bringen wir in der Stille vor Gott …

 

Vater unser

 

Segen