“Höre meine Worte, Herr, / höre mein Seufzen, / hör meinen Protest, / denn du bist Gott und kein Freund der Diktatoren, / du folgst nicht ihrer Politik / noch achtest du auf ihre Propaganda. / Du hast mit Gangstern nichts gemein.“
(Zu Psalm 5, in: Das Buch von der Liebe)
Der nicaraguanische Dichter, Revolutionär und Theologe Ernesto Cardenal ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Cardenal galt als einer der bedeutendsten Vertreter der Befreiungstheologie. Mit der Befreiungstheologie stellte sich Geistliche in den Sechzigerjahren auf die Seite der Armen. Leitbild: Die Welt mit den Augen der Unterdrückten sehen. Gott in den Augen der Unterdrückten sehen. Die Welt von unten sehen.
Es war eine politische Theologie (Deutschland: Johann Baptist Metz, gest. 2019, der Cardinal 1980 die Laudatio bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises hielt.)
Politisch hieß auch – für unsere Ohren ungewöhnlich – : Kampf, sogar der bewaffnete Kampf: In den Siebzigerjahren unterstützte Cardinal den Kampf der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) gegen den Diktator Anastasio Somoza. Nach dessen Sturz war Cardenal jahrelange Kulturminister, überwarf sich aber seinen einstigen Kampfgenossen. Wegen seines politischen Engagements verbot Papst Johannes Paul II. Cardenal 1985 die Ausübung von priesterlichen Ämtern. Erst vor gut einem Jahr hob Papst Franziskus die Sanktionen wieder auf.
Wie der fast gleichalte Che Guevara sah Cardenal das Heil für die von Diktatoren und nordamerikanischen Konzernen beherrschten Völker Lateinamerikas im Kommunismus. Er las im Kloster die Evangelien der Bibel als kommunistische Manifeste. Er hegte die verzweifelte Hoffnung, das Reich Gottes würde sich in einem urkommunistischen Diesseits ereignen. Seine Lebenserinnerungen enden mit den Sätzen: „Jede Revolution bringt uns dem Reich Gottes ein Stück näher, auch eine verlorene Revolution. Es wird weitere, neue Revolutionen geben. Lasst uns Gott bitten, dass seine Revolution geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“ Revolution, nicht Wille…
Aus der nicaraguanischen Hoffnung ist längst eine neue Diktatur geworden. Die Armen sind aber noch immer arm, das große Fest hat er so oft angekündigt: „Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt, aber wir sind eingeladen. Wir sehen schon die Lichter und hören die Musik.“
In der TAZ stand im Nachruf: „Ernesto Cardenal hat das große Fest nicht mehr erlebt“; er ist am Sonntag im Alter von 95 Jahren in Managua gestorben. Aber vielleicht findet es ja doch ein wenig anders statt, als er es sich ausgemalt hat?!