Was ist die Leitwährung der Religion? Auf welche Frage antwortet unser christlicher Glaube?
Predigt – Pfingstmontag
St. Matthäus
Jedes System unserer komplexen Gesellschaft hat einen besonderen Code: In der Wirtschaft geht es um Bezahlung oder Nichtbezahlung, in der Politik um Macht und Ohnmacht, in der Medizin um Gesundheit und Krankheit, in der Juristerei um Recht und Unrecht.
Aber worum geht es in der Religion?
Das ist alles andere als nur eine akademische Frage (die Niclas Luhmann in seinem grundlegenden Werk über die „Sozialen System“ für die Religion übrigens offen lässt). Es ist eine Frage, die für uns, die wir Religion vertreten und verkörpern, von entscheidender Bedeutung ist: Wonach fragen wir, was kein anderer fragt? Worauf haben wir eine spezifisch religiöse Antwort?
Ich hatte mir die Frage für diese Predigt zurechtgelegt, mit dem wunderbaren Wort Luthers aus der „Vorrede zum Römerbrief“ (1522). In dieser Woche haben wir für alles Nachdenken eine neue Dimension, eine neue Erfahrung hinzubekommen, nachdem unsere wunderschöne Lutherkirche brannte (und wir hier einen Ort, eine Heimat für diesen Gottesdienst gefunden haben).
Wir kommen mit Erlebnissen und Erfahrungen, die „Sinnfetzen“ sind und sich noch nicht zu einem Bild zusammensetzen: Da schlägt eine Turmuhr. Da läuten die Glocken zum Gottesdienst. Die Kirche lebt noch! Da erinnere ich mich an die funkelnden Augen der Kindergartengruppe, die noch kurz vor dem Brand die Schönheit der Kirche bewunderte. Da ist mir beschrieben worden, wie die Feuerwehrleute am Altar der verkohlten Kirche standen und mit Pfarrer Dieter Claßen am Ende der Löschaktion gebeten haben.
Da sind so zahlreiche Reaktionen und immer wieder die Frage: Warum macht das einer? Welchen Sinn macht das? Gleichzeitig bieten Menschen ihre Hilfe an. Wir rücken zusammen. Dann kann man nicht umfallen!
Da bekommt die Frage, was die Leitwährung der Religion sein kann, plötzlich einen Sitz im Leben. Auch ich bin konfrontiert damit: Was ist nun die Sache der Religion?
II.
„Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiss, dass er tausendmal dafür sterben würde. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen; das wirkt der heilige Geist im Glauben.“ (Martin Luther)
So schreibt es Martin Luther in seiner Vorrede zum Römerbrief-Kommentar 1522. Ich ergänze: als der Streit um den Ablasshandel innerhalb der Kirche bereits ausgebrochen ist, der die westliche Christenheit entzweien soll.
Den Römerbrief hat Luther neu entdeckt. Aus ihm hat er herausgelesen, dass der Mensch gerecht wird vor Gott nur aus Glauben: Keine Gerechtigkeit durch Werke. – Jahrhundertelang haben unsere Konfessionen darum gestritten, anstatt aus dem Röm herauszulesen, dass dort zu aller erst die Einheit der jungen Kirche im Evangelium beschrieben wird.
Glaube, Gerechtigkeit, Gesetz – geben uns diese großen Hauptwörtern des christlichen Glaubens heute unsere Platzanweisung? Tragen diese großen Begriffe noch oder müssten wir sie wieder neu erklärt werden? Arbeiten wir uns an ihnen vergeblich ab?
In dem kraftvollen Luther-Wort kommen auch noch „Gnade“, „Zuversicht“ und „Erkenntnis“ vor und das „fröhlich, trotzig und lustig“-Sein, was sich ein wenig nach dem Lebensmotto von Johannes Bosco anhört, dem katholischen Priester und Erzieher des 19. Jhd.: „fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen“.
Tatsächlich klingt das schon konkreter: Wir haben viele „fröhliche“ und „lustige“ Momente in den sieben Jahren gehabt, die ich hier war. Unsere Gemeinde(n) leben aus der Gemeinschaft. Es überwiegen die Erinnerungen an schöne Feste und Begegnungen, wo es einfach fröhlich zuging. Das brauchen wir hier! Das haben wir uns nicht nehmen lassen!
Wir haben in unserer evangelischen Gemeinde auch sicher so manchen Trotz entwickelt. Wir können uns neue Gemeindeglieder ja nicht backen, alle Häuser und Kirchen konnten wir nicht gegen die schwindenden Finanzen halten. Aber die Lenne herunter gegangen ist allenfalls jede Menge Wasser, nicht aber unsere – wie Luther da formuliert – „verwegene Zuversicht“, dass Gott uns genau hierhin gestellt hat. Ich bin stolz auf unseren zuversichtlichen und positiven Trotz, den wir entwickelt haben, und dass wir uns geöffnet haben in die Kommune, in die Stadt. Denn in dieser Stadt tut keiner etwas ohne den Anderen!
III.
Aber Moment: Luther schreibt in aller Deutlichkeit, dass man diese Zuversicht nicht selbst erzeugen kann: Solche Zuversicht wirkt der Heilige Geist.
Zu meinen, man könnte sich Glauben selbst aneignen, so als wäre es eine menschliche Möglichkeit oder ein Traum, etwas Erzeugnbares oder gar Steuerbares oder ein Habitus – genau das ist für Luther in Anlehnung an den Röm „Unglaube“ und damit „Sünde“. Nein, um es pfingstlich zu sagen: Der Heilige Geist tut mit Lust und Liebe sein Werk an uns. Und Glaube bewirkt allein die freie Gnade Gottes. Auch der Glaube, auch die Zuversicht, alles Fröhlich- und Trotzig-Sein ist keine eigene Entscheidung, sondern ein unverfügbares Geschenk. Es wird zuteil!
Mir ist dies in den letzten Tagen sehr wichtig geworden: Wir haben ja gleich gesagt, dass wir weitermachen und wiederaufbauen. Dass wir die Kraft haben werden und positiv denken.
Aber das können wir als Christen nicht wie eine Durchhalteparole formulieren, so wie sie ein Fußballtrainer spricht, der nach einer Niederlage an die Wende glauben muss, oder ein Politiker, der in einer schwierigen Situation qua Amt Sicherheit und Klarheit verbreiten muss.
Nein, wenn wir Zuversicht ausstrahlen, dass tun wir das eben nicht aus uns selbst heraus, sondern weil Gott uns das „gratis“, aus Gnade, als Geschenk zuwendet. Er gibt so viel Widerstandskraft, wie wir brauchen, nicht auf Vorrat, aber täglich ausreichend.
Das schließt auch ein, dass wir uns nicht immer sicher sein müssen und auch nicht so tun müssen. Unsere Zuversicht kann „tausendmals sterben“, schreibt Luther: Sie kann einbrechen. Wir können zweifeln. Wir werden schwach. Dann können wir neu um Zuversicht beten.
Wir dürfen auch verletzbar sein in unserem Glauben. Ich habe in den letzten Tage viele Menschen gesprochen, die vor allem den Glauben an den Menschen an sich verloren haben: wie kann man so was tun? Wem kann man überhaupt noch glauben? Alles das gehört „tausendmal“ dazu, um dann doch die „verwegene Zuversicht“ an Ende einfach geschenkt zu bekommen.
Wir haben in dieser Woche etwa auf so wundersame Weise die Worte aus Psalm 27 neu in die Hände gelegt bekommen, dem Wochenpsalm der Woche, als die Kirche brannte. Er ist so, als ob er für uns formuliert wäre: mit der Hoffnung auf die schönen Gottesdienste im Hause des Herrn, ein lebenlang. Und mit dem Harren, dem Bleiben und Nicht-Weichen. Dieser Psalm ist ein Geschenk geworden!
Das ist dann doch das, was Religion heute einzigartig machen könnte, was die besondere Währung des Glaubens sein könnte: keine Durchhalteparolen, sondern die Zuversicht, die buchstäblich vom Himmel fällt, die aber die Tränen erlaubt und die die Verletzbarkeit.
Wer seine Kirche öffnet und keinen Zaun drum baut, wer ans Gute im Menschen glaubt, dessen Zuversicht, dessen Glaube ist verletzbar. Aber das sagt nicht das Geringste über die Plausibilität dieses Glaubens, über seine wirkliche Kraft. Dieser Glaube kann wunderbar fröhlich und trotzig aus der Gnade Gottes schöpfen!
IV.
Nun geht ein Pfarrer. Anders als geplant in einem schwierigen Moment.
Aber schon beim biblischen Pfingstfest geht es weniger um Personen als um das Ereignis und das Verstehen aller Umnstehenden.
Für uns Protestanten geht es auch beim Evangeliumstext, den wir vorhin gehört haben, weniger um Petrus als Person, als um seinen Glauben, den Gott in ihm entfacht.
Die Gemeinde trägt in sich den Glauben, der sehr wohl durch die Predigt geweckt werden soll. – Ich hänge sehr an den Menschen hier, ich habe in dieser Stadt gerne zu den Menschen gepredigt und sie begleitet. Ich habe für mein Amt und meine Person bis auf ganz wenige Ausnahmen viel Unterstützung und Wertschätzung erfahren. Das lässt mich befreit und froh gehen.
Aber wenn ich ernst nehme, was ich gerade gesagt habe, dann trägt die Gemeinschaft der Glaubenden weiter, als was einzelne Personen bewirken können.
Ja, es trägt der Glaube sogar weiter als ein Gebäude.
In Abwandlung an einen mir nicht ungelittenen Fußballtrainer, der auch nach sieben Jahren an diesem Wochenende „Tschüß“ gesagt hat, möchte ich formulieren: „7 Jahre Lutherkirche – sie war meine Heimat, und das supergerne, eine außergewöhnliche Kirche, ein außergewöhnlicher Ort, der natürlich nicht deshalb so außergewöhnlich ist, weil er so phantastisch gebaut ist, sondern weil Ihr alle ihn zu diesem außergewöhnlich Ort gemacht habt.“
Nun sind wir hier in dieser Kirche. Mit der gemeinsamen Zuversicht. Nicht lösgelöst, aber letztlich doch unabhängig von Gebäuden und Personen. Die Gemeinde findet einen Ausweichort, wo Gott Zuversicht wecken wird.
Ihr werdet sehen, dass eine Gemeinde, eine Stadt, Menschen, die so etwas durchgemacht haben, noch stärker daraus hervorgehen werden.