Der Weg auf den Sinai, den Mosesberg auf der Sinai-Halbinsel in Ägypten, ist beschwerlich. Einige von uns können ein Lied davon singen.
Predigt – Lutherkirche,
19. So. n. Tr. zu Taufen ,#Ex 34,1-10
Wenn man zum Sonnenaufgang oben sein möchte, dann bricht man nur wenig nach Mitternacht auf. Wenn der Mond nicht scheint, ist es stockfinster.
Erst noch ist der Weg eben und breit. Im Dunkel tauchen immer wieder Beduinen auf, die ihre Kamele vermieten wollen.
Schritt für Schritt führt der Weg hoch. Es wird immer kühler. Die Wege werden immer schmaler.
Das vorsichtige Tasten der Füße, das Aufspritzen von Sand und Steinchen ist das einzige, was man hört.
Man ist gut beraten, nicht schwer zu tragen, wenn man den Berg erklimmt.
II.
__1Gott sprach zu Mose: »Haue dir zwei neue Steintafeln zurecht genau wie die vorigen. Ich schreibe darauf die Worte, die auf den ersten Tafeln gestanden haben, welche du zerbrochen hast. 2Sei bereit, morgen früh auf den Berg Sinai zu steigen und mir auf dem Gipfel gegenüberzutreten. 3Niemand darf dich begleiten, auf dem ganzen Berg soll sich kein Mensch blicken lassen, und weder Schaf noch Rind dürfen auf ihn zu weiden.« 4Mose richtete die beiden Steintafeln wie die vorigen her und machte sich frühmorgens auf den Weg. Wie Gott es ihm aufgetragen hatte, stieg er auf den Berg Sinai; die beiden Steintafeln trug er bei sich.
III.
Kinder bekommen Süßigkeiten zugeworfen, Menschen tanzen durch die Synagoge: Nach den vielen ernsten jüdischen Feiertagen dieser Wochen, wie Neujahrsfest und Laubhüttenfest, geht es beschwingt und heiter zu: Jü-dinnen und Juden feiern im Oktober „Simchat Tora“: das Fest „Freude am Gesetz“. Die Torarollen werden nochmals besonders hervorgehoben und durch den Gottesdienst-raum getragen. Es wird der letzte Abschnitt der Tora, also der Fünf Bücher Mose, der Gesetzesbücher, gelesen. Dann fängt die Lesereihe wieder vorne bei den Schö-pfungsgeschichten vom neuen an.
Es ist ein heiteres Fest. Ein gelöstes und befreites. Im Mittelpunkt steht die Lust an den Weisungen Gottes: 613 Weisungen für Jüdinnen und Juden, darunter auch die Zehn Gebote. Nichts ist zu spüren vom beschwerlichen Weg des Moses auf den Sinai am Simchat Tora, Am Fest der Freude am Gesetz.
IV.
Den Taufspruch können wir selber aussuchen? Ja, Sie kennen Ihr Kind am besten, habe ich geantwortet. – Eine unserer Tauffamilien hatte schon einen Spruch ausgesucht, als ich zum Taufgespräch kam, die andere hat ihn schnell selber gefunden. Und es sind wunderbare Verse, die genau auf die Kinder passen, die ich kennen gelernt habe, und die Familiensituation: Was soll Jonas zugesprochen werden? Mit welchem biblischen Wort soll Damian sich an seine Taufe erinnern? – Das alles ist für die Taufe nicht unbedingt nötig, es tut einfach nur das Wort und das Wasser, aber ein passender Taufspruch kann den Lebensweg begleiten und immer wieder neu erinnern: In der Taufe hat sich Gott mit Euerm Kind verbunden und versprochen, immer da zu sein. So einen Taufspruch – den würde man am liebsten heute in Stein meißeln, damit er bewahrt bleibt und sich im weiteren Leben bewahrheitet …
V.
Wenn man kurz vor vier Uhr nachts auf der Spitze des Sinai ankommt, im Stockdunkeln, dann pfeift der Wind. Dann ist der Mensch ganz klein und ausgeliefert der Natur: der Kälte und Dunkelheit, der Macht eines unendlich erscheinenden Bergpanoramas, von dem man mit der minütlich voranschreitenden Morgendämmerung eine kleine Vorahnung erhält. Angekommen – aber längst nicht am Ziel. Sensibel für alle leisen und mächtigen Töne der Natur. Und je nach dem bereit für eine Gottesbegegnung…
VI.
5Da kam Gott in einer Wolke herunter, stellte sich zu Mose und rief ihren Namen aus: »Ich-bin-da«. 6Dann ging Er an Mose vorbei und rief erneut: »Ich-bin-da. Ein mitfühlender, chengnädiger elGott bin ich, langmütig, chesedtreu und emetwahrhaftig, Ich. 7Ich sorge für 1000 Generationen und bin bereit, awonSchuld, peschaVerirrung und chattatVerfehlung zu vergeben.
Doch ich lasse nicht alles durchgehen, ich ahnde auch awonSchuld der Eltern an Kindern, Enkeln, Urenkeln und Ururenkeln.«
8Mose warf sich schnell zur Erde und nahm die Gebets-haltung ein. 9Er sagte: »Mein Herr, wenn du mir wohl willst, dann gehe doch bitte mit uns, Herr. Es ist ein starrköpfiges Volk, doch du kannst uns unsere Schuld und Verfehlungen vergeben. Nimm uns doch als dein Eigentum an.«
VII.
Eigentlich müsste die Süßigkeit zum Gesetzesfreude-Fest einen bitteren Beigeschmack haben… 613 Weisungen – kaum zu halten. Erfochten und erkämpft vom Mose. Was ja noch gar nicht gesagt wurde: Er steigt schon das zweite Mal zum Sinai hoch. Beim ersten Mal kam er herunter mit den Steintafeln und den Zehn Geboten, und weil es dem Volk zu lange gedauert hatte und sie sich nicht mehr sicher waren, was Gott versprochen hatte, und sie sich fragten, ob es diesen unsichtbaren Gott überhaupt gibt – da hatten sie ein Goldenes Kalb gebaut und beteten es an.
Eben ein starrköpfiges Volk, voller Ungeduld, das sich Gott am liebsten sicher in die Tasche stecken möchte.
Aber: Am Simchat Tora-Fest schmeckten die Süßigkeiten und vergessen und vergeben diese Schuld und Verfehlung des Gottesvolkes: Allen Strapazen des Mose zum Trotz, seinen körperlichen Strapazen, ein zweites Mal auf den Berg zu steigen zum Trotz und vor allem auch seiner fürchtlich peinlichen Aufgabe zum Trotz, nochmals für sein Volk in die Bresche zu springen und für seine Leute bei Gott ein gutes Wort einzulegen – all diesen Dingen zum Trotz wird bis heute das Gesetzesfreude-Fest gefeiert.
Dass Gott dem Mose die guten Weisungen geschenkt hat. Dass er nochmals – wie am Dornbusch in der Wüste zuvor – seinen Namen offenbart: Ich bin der, der für dich da ist.
Und das heißt konkret: ich bin ein mitfühlender, gnädiger Gott, langmütig, treu und wahrhaftig. Ich erneuere meine Weisungen für euch, damit Ihr beim zweiten Mal begreift. Ich halte meinen Part des Bundesschlusses durch, auch wenn ihr es nicht könnt.
Daher die Freude am Gesetz Gottes. Bis heute. Regeln, die unser Zusammenleben heilsam regeln – und die uns in Beziehung setzen zu Gott, der einst sein Volk aus der Knechtschaft befreite, es also genau von den Fesseln löste, die die Zehn Gebote als gute Regeln der Freiheit bereit halten: Wen Du Gott kennst, der dich aus Ägypten befreit hat, brauchst du keine anderen Götter, du brauchst nicht stehlen, morden, falsch Zeugnis reden und vieles mehr.
Wer merkt, dass er dies durch Gottes gute Weisungen alles nicht nötig hat – und auch eine neue, zweite Chance bekommt, es zu begreifen, – der feiert ein Fest mit Süßigkeiten. Und der Mose wird seinen beschwerlichen Weg nicht abermals bereut haben…
VIII.
Wie auf Steintafeln könnten wir heute die beiden Taufsprüche aufschreiben und sie dann mitnehmen auf den Weg durch das weitere Leben:
Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. (Psalm 139,14) (Jonas Escher)
Sie haben als Familie von Anfang an erfahren, dass Jonas wunderbar gemacht war – Sie mussten da nicht zweimal hinschauen, sie mussten für diese Erkenntnis auch nicht wochen- und monatelang warten, bis sich seine schwere Ausgangssituation ganz langsam normalisiert hatte. Er ist von Anfang an ein wunderbares Werk Gottes für sie gewesen.
Und sie haben erfahren, was Mose am Sinai von Gott selbst gesagt bekommt: ich bin ein mitfühlender, gnädiger Gott ist, langmütig, treu und wahrhaftig.
Für Damian soll in Stein gemeißelt sein das Wort Ps 91:
Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln. (Psalm 91,4)
Damian ist schon zwei, lebendig und neugierig, er ist immer und überall unterwegs und erobert sich seine Welt. Da braucht man meinen Gott, der wie ein Adler die Flügel breitet über seine Gehversuche. Der ihn schützt und ihn unter seine Flügel nimmt – sicher nicht nur als Kind, sondern zu allen Lebenszeiten.
Aber noch wichtiger als ein Taufspruch: Wie Gott sich mit dem Volk Israel in einem Bund verbindet, so schließt sich Gott durch die Taufe mit Menschen aller Völker zusammen. Jonas und Damian gehören mit der Taufe sichtbar zu Gott.
Er liebt den Menschen – er wurde ja selber einer in Jesus Christus -, er achtet aber auch auf die Regeln und Weisungen, die er den Menschen gegeben hat. Daher irritert auf den ersten Blick die zornige Selbstaussage Gottes, dass er Verfehlungen in mehrere Generationen hinein verfolgt. Soll heißen: Es ist ihm alles andere als egal, wie der Mensch lebt und sich Gott und dem Nächsten gegenüber verhält. Dafür sind seine Regeln zu wichtig und sinnvoll. – Und dennoch ist er bereit zu verzeihen 1.000 Generationen, also im überwiegenden Fall. Aber es ist eben kein Automatismus – und das ist gut so, um den Weisungen Gottes, über die sich auch Jonas und Damian freuen können, zur Geltung zu verhelfen.
IV.
Wenn es dann Morgen wird über den Sinai und die Sonne langsam emporsteigt, dann sieht man die unglaubliche Weite und Schönheit der ägyptischen Berge. Majestätisch erheben sich die Berge, der Himmel öffnet sich unter der Morgendämmerung. Man spürt Freude an der Gegenwart Gottes, man lobt ihn, dass er Mose ein zweites Mal dorthin bestellte und seinem Volk verzieh. Man spürt, dass Gott sich fortwährend mit Menschen verknüpft und ihr Leben leiten und begleiten möchte. Mit unserer Taufe gilt uns dieses Wort unmittelbar:
X.
10Gott erwiderte: »Ich will einen Bund mit euch schließen. Vor dem ganzen Volk werde ich Erstaunliches tun, wie es auf der ganzen Erde und unter allen Nationen noch nie geschehen ist. Alle Menschen der Gemeinde, in der du lebst, sollen Meine Taten miterleben; gewaltig ist, was ich für euch tun werde.“ Amen.