Müde Füße (2. So. n. Epiphanias 2014 zu Hebr 12,12-22a)

 

Im vergangenen Jahr sind wir mit unseren argentinischen Gästen nach Wiblingwerde gewandert. Das sorgte im Vorfeld für einige Sorge wegen des Schuhwerks. Sind die Deutschen die geübteren Wanderer?

Predigt – Lutherkirche Altena,

1. So. n. Epiphanias #Hebr 12,12-22a

Wie hoch geht es? Wie heiß wird es? wo kommt man raus? Wie kommen wir zurück?

De Predigttext ist im übertragenden Sinne Wanderführer, der Auskunft geben nicht nur darüber, wohin man geht, sondern vor allem: Wie man geht und woran man sich halten kann.

 

  1. Müdigkeit am Anstieg

Machen wir uns also auf den Weg durch den Predigttext. Die erste Station, an der wir unseren Wanderführer zu Rate ziehen, ist gleich am Anfang der Reise, wo man schon müde und matt wird. Kein Wunder, dass unsere Knie zittern, nach der Anstrengung. Wir brauchen eine Stärkung. Die verspricht uns auch der Wanderführer: „Stärkt die müden Hände und die schwankenden Knie“, gemeint ist eine Einladung, eine Verheißung. Es ist nämlich ein Zitat aus dem Alten Testament, aus Jesaja 35. da sind solche Sätze von Gott selbst gesagt und sind als Zusage gemeint. In Situationen, in denen das Volk Israel nicht mehr weiter weiß, in denen es an sich selbst und seinem Gott verzweifelt, sind immer wieder Propheten aufgetreten, die den Verzagten mit diesen und ähnlichen Worten Mut zugesprochen haben.

Die Gemeinde des Hebräerbriefs war in einer solchen Lage der Verzweiflung. Sie ist müde geworden. Der „steile Aufstieg“, die Begeisterung der ersten Generation über die frohe Botschaft ist abgeebbt. Plötzlich sieht man die Anstrengungen, die man auf sich genommen hat. Man sieht die Wegstrecke, die man hochgestiegen ist. Geht es auch einfacher? Was soll’s? Was bringt’s?

Vielleicht freut sie sich über das Erreichte, wohlwissend dass man noch nicht da ist. Aber die Knochen schon wehtun …

Ist es nötig, regelmäßig zum Gottesdienst zu kommen, wo wir uns die frohe Botschaft weitersagen, aber eben auch oft ringen, wie man sie für unser Leben und unsere Zeit verstehen kann? – Auch eine Frage, die uns und die Hebräer wohl verbindet …

Dann braucht man eine Zusage: Stärkt die müden Hände und wankenden Knie! Macht sichere Schritte!

Auf unserem Weg nach Wiblingwerde war das so: Wir können ja etwas langsamer gehen … Weit kann es nicht mehr sein … – „Wenn wir den anderen Argentiniern erzählen, dass wir zwischen Altena und Wiblingwerde am Hang standen, werden die Augen machen ..:“ Genau! Und überhaupt: In Wiblingwerde gibt es immer was Kühles zu trinken …

 

  1. Vorsicht: Absturzgefahr

Vor dem Gut Sassenscheid steht eine Bank, auf der man sich wunderbar ausruhen kann, wenn man oben angekommen ist. Ein verlockender Platz, auszuharren, haben wir auch getan. Man ist nach dem Anstieg in einer anderen Welt: nicht mehr in der Stadt Altena, sondern auf einer Hochebene, die sich öffnet, man kann weit blicken.

So einen Rastort wünschen sich viele für die Gemeinde: Ein Platz, an dem die Sonne scheint, an dem man ausruhen kann und das Leben genießen kann.

Wo aber ein weiter Blick möglich ist, so erleben es schon die hebräischen Gemeinden, besteht auch Absturzgefahr.

Mit den Worten des Predigttextes: Passt auf, dass die „bittere Wurzel“ nicht Schaden bei euch anrichtet. Gemeint ist vermutlich die Verlockung, den Glauben nicht mehr ganz ernst zu nehmen. Oder die Verlockung, bei Schwierigkeiten einfach von der Gemeinde wegzubleiben. Oder der Versuch, Schwierigkeiten von der Gemeinde fernzuhalten.

Es soll keine bittere Wurzel heranwachsen: Wo Absturzgefahr herrscht, haften Eltern für ihre Kinder! Wieder eine Parallele zum Alten Testament, das die ausdrücklich Warnung kennt, dass die Eltern saure Trauben gegessen haben und den Kindern – als logische Folge – die Zähne davon stumpf geworden sind. Die Weitergabe des Glaubens geschieht damals wie heute von Generation zu Generation – und immer wieder steht er auf dem Spiel, immer wieder herrscht Absturzgefahr. Immer wieder muss der Glaube sich auch ändern, damit er lebendig bleibt!

Der Hebräerbrief ist aber radikaler, selbst als Martin Luther es mochte und ihn deshalb eine strohernde Espistel nannte. Der Hebr sagt: Versäumt nicht die Gnade, es gibt sie nur einmal! Es gibt einen Zeitpunkt, auch in der Weitergabe des Glaubens, in der Trägheit, es einfacher zu versuchen, an dem man zu spät zu kommen.

Wir werden mit den hebräischen Gemeinden an diese Entscheidungssitutionen erinnert: Jagen wir dem Frieden nach und der Heiligung – also dem Versuch, unser Leben so zu gestalten, dass Gottes Wille in unserem Leben sichtbar wird. Oder geht es uns wie Esau, dem Zwillingsbruder Jakobs? Er hat sich verlocken lassen von dem, was auf den ersten Anblick erstrebenswert schien. Er hat mit leichter Hand seinem Bruder sein Erbrecht versprochen, im Gegentausch für einen Teller Suppe. Die Folgen waren entsetzlich. Esau musste für den Rest seines Lebens unstet hin und her wandern, immer auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens, ohne Ziel vor Augen. Ein Gegenbild zur Wanderungs im Hebr!

Der Hebräerbrief sagt: „Pech gehabt“ und „selber Schuld“ – obwohl der Schreiber eigentlich wissen müsste, dass die Geschichte von Esau noch weitergeht: Sie endet nicht im Chaos und die Verwerfung ist nicht das letzte Wort. Jakob und Esau vkersöhnen sich am Ende. Esau findet am Ende der Geschichte doch seinen Frieden und er wird sogar Stammvater einer ganzen Reihe von Königen.

Ich erinnere mich, dass wir auf der Bank vor dem Gut Sassenscheid, mit dem weiten Blick, mit der Müdigkeit in unseren Knochen, mit den Argentiniern über unsere Kirchen gesprochen haben – und über die vielen Entscheidungssituationen, in denen wir uns in der säkularen Gesellschaft immer wieder neu verhalten müssen, verhalten können. Und wo sich entscheidet, ob es uns um Frieden und Heiligung unseres Lebens geht – also ein „In den Dienststellen“ – oder ob der Esau in uns siegt.

Für mich geschieht das auch in fast allen drängenden gesellschaftliche Fragen. Sie fordern zur Entscheidung: Wie stehen wir als Christen zur aktiven Sterbehilfe, wenn inzwischen Zweidrittel der Gesellschaft dafür sind? Wohlgemerkt: aktive Sterbehilfe. Ein Service, mit dem man Geld verdienen könnte.

Die Quote der Zustimmung bei diesem Thema sinkt dramatisch, wenn Menschen Kontakt gefunden haben zur Situation von Sterbenden, wenn sie sich informiert haben über palliative Medizin und die Arbeit von Hospizen. Wenn sie merken, dass oft die Sterbenden nicht allein Angst vor dem Sterben haben, sondern genauso die, die am Bett sitzen. Wäre „Heiligung des Lebens“ nicht, auch Lebenssattheit anzunehmen, bei anderen und vielleicht später bei mir selbst? Aber eben nicht auf die Unsicherheit des Sterbenden oder des Angehörigen hin eine trügerische Sicherheit schaffen zu wollen durch ein planbares Ende? Dieser Gedanken ist für mich ein Esau-Gedanke, man folgt voreilig dem Verlockenden. Es könnte verhehrende Folgen haben für unser Bild vom Menschen …

Sterben ist ein Teil des Lebens, die Grenzziehungen fallen immer schwerer, ja. „Aber in welcher Gesellschaft leben wir denn, wenn ich hier nicht trottlig und wertlos werden darf“, hat der Katholik Franz Müntefering vorgestern in der „Süddeutschen“ gefragt. Es ist nur eine Debatte, in der sich unser christliches Menschenbild entscheidet – und die Debatte wird nicht vorrangig in Talkshows geführt, sondern – machen wir uns nichts vor – an den Krankenbetten.

 

  1. Am Johannesborn

Auf der Wanderung durch Hebr 12 gibt es eine dritte Station: Wenn man von Gut Sassenscheid weiterwandert , kommt zumJohannisborn, wo die ersten Christen in dieser Region getauft wurden, noch lange bevor es Kirchbauten gab. Ein Johannesort – also ein Denkmal dem Täufer aus der Wüste, der Jesus taufte. Und allemal auch ein Christusort, denn er hat seinen Jünger ja erst mit auf den Weg gegeben, dass sie in seinem Namen taufen und lehren sollen und weitersagen sollen: ich bin bei Euch alle Tage. Wir haben dort mit dem Argentinien tagdraufs Gottesdienst gefeiert, organisiert von der Wiblingwerder Gemeinde.

Der Johannisborn steht für für das Ziel der Wanderung in Hebr 12: der Zion, das himmlische Jerusalem, einer Versammlung vieler tausend Engel (v. 22) – für Christen schon geschehen in der Menschwerdung Gottes in J.C.

Es gibt Kristallisationspunkte des Glaubens und des Glaubensweges. In der Bibel ist Jerusalem dieser Ort. Der ort der Sehnsucht. Dort richtet Gott das große Fest aus, auf das die ganze Welt – ja eigentlich sogar alle Religionen zulebt. Wenn Gott unter uns ist, so erzählt es Jesus oft, dann ist das wie eine Hochzeit, wie ein Freudenfest, so wie die Hochzeit zu Kana, dem ersten Wunder Jesu nach dem JohEv. Die erlesensten Köstlichkeiten werden da gereicht, man darf von allen Gaben essen und trinken, so viel man mag. Und vor allem ist es ein Fest der Gemeinschaft. Gott selbst ist der Gastgeber, der für jeden ein gutes Wort hat. Und es herrscht eine Atmosphäre der Freude unter allen Anwesenden. So viele gute Gespräche. So viel gutes Miteinander. So gute Stimmung und so viel Liebe in der Gemeinschaft. Eia, wärn wir da…

Der Wanderführer sagt, dass das Ziel im Blick ist. Erkennbar. Fühlbar. Der Kompass ist ausgerichtet. Nur deshalb kann der Hebr schreiben, als wäre es ein Fakt, was noch aussteht: „Darum stärkt die müden Hände und wankenden Knie!“ Erinnert euch an die alten Verheißungen! Nehmt sie mit auf den Weg – und gerade auf die gefährlichen Wegstrecken, auf die Aufstiege und die Hochebene, wo Absturzgefahr herrscht.

Lammentiert nicht über die Steilheit des Weges und über die schlechten Straßenverhältnisse! Ruht euch aber auch nicht unnütz aus. „Versäumt die Gnade nicht!“

Ermutigt Euch einfach einmal, in gewissen Entscheidungssituationen nicht der Esau zu sein sondern der Jakob. Oder schlicht mal zu fragen: Was würde Jesus dazu sagen?

In der Kirche Argentiniens wird immer mal wieder auf die Befreiungstheologie der 60er-Jahre hingewiesen, dieser Verknüpfung vom Christuszeugnis und unserer Welt.

Zur Wanderung zum Joahnnisborn/Zion könnte man mit Ernesto Cardenal sagen, einem prominenten Befreiungstheologen: „„Wir sind noch nicht im Festsaal, aber wir sind eingeladen. Wir sehen schon die Lichter und wir hören die Musik.“

Und wir fangen faktisch gleich im neuen Jahr wieder an, adventlich zu singen, auf unserer Wanderung, sei es bei unseren Freizeitsparziergängen nach Wiblingwerde oder unserer Glaubenswanderung zum Zion …