An der Kirchentür hängt ein Zettel: „Alle Sünder willkommen!“
Gottesdienst am Buß- und Bettag
Altena Lutherkirche 21.11.2012 #Lk 18,9-14
FRAU WILKE: Willkommen! Wir freuen uns auch über Sünder! Der Zettel an der Eingangstür signalisiert Gastfreundlichkeit und Freude: Kommt alle her, auch die, mit denen wir sonst nicht rechnen. Wie schön wäre es, wenn sie den Weg in die Kirche fänden. Jesus sagt in den Gleichnissen vom Verlorenen Schaf und vom Verlorenen Groschen: „Es wird Freude sein vor dem Engeln Gottes über e i n e n Sünder, der Buße tut.
FRAU DORNSEIFER: Aber sind wir nicht alle Sünder? – Wir bemühen uns, gute Christinnen und Christen zu sein. Aber wer wollte von sich behaupten, dass er sich in jeder Lage richtig verhalten könnte? So sehr wir uns bemühen und uns ans Gute im Menschen glauben: Wir stoßen an Grenzen. Wir stoßen an die Grenzen unserer Kräfte und an unsere Fähigkeiten…
FRAU FRIEDLAND: Also gilt das Schild „Alle Sünder willkommen“ sicher auch uns. Sonst tappen wir in die gleiche Falle wie der Phariäser: Er lebt tadellos und religiös vorbildlich. Darin hebt er sich vom Zöllner ab, der sicher so manche „kleine Sünde“ auf dem Kerbholz hat. Aber das Entscheidende fehlt dem Phariäser – das macht ihm der Zöllner vor: die Fähigkeit zur Buße und Gott zu bitten: Sei mir Sünder gnädig!
FRAU KORTMANN: Die Gemeinde als eine Schar von Sünderinnen und Sündern? Ich weiß nicht: Wir wollen uns doch abheben und Vorbilder sein. Wir halten uns an die Zehn Gebote…
FRAU BUNG: Aber genauso redet der Pharisäer: „Ich danke Dir Gott, das ich nicht bin wie die anderen Leute!“ – Was ist denn nun Sünde?
FRAU WILKE: Es ist ja schon erstaunlich, wie wir langläufig über Sünde reden: Wir reden distanziert von Sünde. Beispielsweise ironisch: „Sünde ist, was verboten ist und Spaß macht …“
FRAU DORNSEIFER: Oder verharmlosend: Ich habe bei meiner Diät gesündigt …
FRAU BUNG: Oder wir reden ausschließlich moralisch von Sünde: Wir sind Umweltsünder, Temposünder, Steuersünder …
KEHLBREIER: Ich glaube, wir reden so distanziert von Sünde, weil darin ein ungeheures Kränkungspotential für den Menschen liegt: Ich als freier und moderner Mensch rechtfertige mich doch nicht gerne vor Gott, einer Instanz außer mir selbst. Ich meine doch, dass eigentlich frei bin, und wir reden ja ständig vom verantwortlichen Menschen.
Wenn ich aber ehrlich bin, kann ich nicht mit meinen eigenen Fehlern und Grenzen umgehen. Das Bild vom Menschen ist eher das aus der Kain-und-Abel-Geschichte: Ich weiß um das Böse, aber ich erliege ihm allzu oft: Die „Sünde lauert auf“ (Gen 4,7).
FRAU FRIEDLAND: Ist Sünde dann nicht etwas anderes als eine Tat oder eine Verfehlung? – Bei Kain und Abel fängt alles damit an, dass Abel Gott gegenüber den Blick senkt. Er verlässt den Blickkontakt zu Gott. Sünde beschreibt also zu aller erst die abgebrochene Beziehung zu Gott. Wenn die Beziehung zu Gott abreißt, dann verliert der Mensch die Orientierung und das Maß und wird schuldig gegenüber dem Anderen.
KEHLBREIER: Der Theologie Paul Tillich hat daher auch vorgeschlagen, nicht von Sünden (Plural!) zu sprechen, sondern nurvon der einen Sünde: der gestörten Beziehung zu Gott. Alles andere, Unrecht, Rachsucht, der Brudermord bei Kain und Abel sind Folgen der einen Sünde.
FRAU KORTMANN: Und wie lässt sich diese abgebrochene Beziehung zu Gott wiederherstellen?
FRAU WILKE: „Gott sei mir Sünder gnädig“, ruft der Zöllner. Der Buß- und Bettag erinnert daran, dass wir Gott um Vergebung bitten können. Er geht den ersten Schritt auf uns zu, wenn wir die Beziehung abreißen lassen. Erinnert Euch an das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, wie der Vater ihn wieder aufnimmt, sogar noch bevor der Sohn um Verzeihung gebeten hat.
KEHLBREIER : Das ist eigentlich das Wunder unseres Glaubens: Gott enttäuscht uns nicht in seiner Gnade. Er nimmt uns an, so unverstellbar groß sogar die Schuld ist. Uns fielen so manche Gestalten der Weltgeschichte an, wo wir unsere Zweifel haben, dass Gnade eine Kategorie wäre. Ob Gottes Liebe so undenkbar groß ist, auch ihnen Gnade zuteil werden zu lassen?
Der Umkehrschluss, nicht verziehen zu bekommen, wenn man aus Reue kommt, also auf Unbarmherzigkeit zu stoßen, der ist absolut zerstörerisch: Eine Frau unter uns hat das als junges Mitglied einer Kommunität erlebt, dort wo man darauf angewiesen ist, als Gemeinschaft gut zusammenzuleben. Da war eine ältere Ordensschwester, frech, provokant… Aber die Frau aus unseren Reihen wollte das regeln, was zwischen ihnen stand, was die Beziehungsstörung ausmachte. Vor einem Abendmahlsgottesdienst bat sie um Verzeihung – diese Entschuldigung wurde abgelehnt! – Liebe Gemeinde, nicht verziehen zu bekommen, wenn man um Verzeihung bittet – das ist ein ganz schwerer Schlag. Daher brauche ich den Glauben an einen gnädigen Gott, an einen, der mir neue Anfänge schenkt.
Im Umkehrschluss hat ein Theologe mal formuliert: „Sünde ist das Bestreben, sich von Gott nichts schenken lassen zu können!“
FRAU DORNSEIFER: Alle Sünder willkommen: Es geht nicht darum, andere oder uns klein zu machen. Sondern es geht darum, immer wieder neu die unterbrochene Beziehung zu Gott durch Gottes Gnade erneuern zu lassen.
FRAU BUNK: Für die Reformatoren war dann klar: Der Mensch ist beides, Sünder und Gerechtfertigter, gleichzeitig und in einer Person. Der Mensch weiß um seine Grenzen. Aber im Zuspruch durch Gott kann er gerade mit diesen Grenzen umgehen.
KEHLBREIER: Keine Angst vor Fehlern, heißt das für mein Leben! Aber genauso auch: Immer wieder wackelt mein Zutrauen in Gott, der mich geschaffen hat und trägt. Dann heißt es wunderbar: Er kommt mir entgegen!!