Krankheit, Gebet, Segen, Salbung, Heilung und Vergebung – um nicht mehr oder weniger kreist der heutige Gottesdienst und der Predigttext und fordert von uns, die Begriffe uns für heute zu klären – und vor allem wie sie zu einander in Beziehung stehen: Krankheit, Gebet, Segen, Salbung, Heilung und Vergebung.
Predigt – Lutherkirche Altena, 19. So. n. Tr.
Heilendes Gebet und Salbung
Jakobus 5,13-16
[a] Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der [b] singe Psalmen.
14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, daß sie über ihm beten und [a] ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.
15 Und [a] das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.
16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, daß ihr gesund werdet. [a] Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
I.
Neulich sagte eine Gemeindeglied zu mir: „Beten Sie für mich!“ – „Das mache ich“; habe ich spontan versprochen, etwas überrascht über die Direktheit dieser Bitte, auch berührt über die augenscheinliche Dringlichkeit: „Beten Sie für mich!“ Und die Frau schob nach: „Mir geht es nicht gut. Ich komme mit meiner Krankheit derzeit nicht allein zu recht!“
Es ging dieser Frau wohl nicht nur oder nicht vordergründig um medizinische Heilung. Da wäre ich auch der falsche … Es ging dieser Frau wohl um etwas anderes:
Das ich um ihre Krankheit und ihren Gemütszustand weiß – denn wie oft machen Menschen gerade ihre Krankheiten mit sich selbst aus, sehen sie aus Schwäche oder Geheimnis, fühlen sich so, als ob sie keiner verstehen könnte. Finden selber keine Worte.
Beten Sie für mich: Nehmen Sie mein Schicksal mit in Ihre Beziehung mit Gott! Nehmen Sie mich mit hinein in die Fürbitte der Gemeinde, dass ich nicht alleine und erst recht nicht vergessen bin! Dass die Kirche ein Ort wird, wo Krankheit nicht bedeuten muss: Ich spiele keine Rolle mehr. Sondern: Ich bin mitten dabei … So habe ich diese Frau mit ihrer kurzen Bitte zwischen den Zeilen reden gehört …
II.
Der Regisseur und Künstler Christoph Schlingensief hat sich sehr mit seiner Krankheit öffentlich auseinander gesetzt. Er starb 2010, während seiner schweren Erkrankung Tagebuch geschrieben. Im Vorwort heißt es:
„So viele kranke Menschen leben einsam und zurückgezogen, trauen sich nicht mehr vor die Tür und haben Angst, über ihre Ängste zu sprechen. Ich habe erlebt, wie wichtig es ist, den Geschockten und aus der Bahn Geworfenen zurück ins Leben zu begleiten, ihn in seiner Autonomie als Erkrankter zu stärken, sich zu bemühen, seine Zweifel zu verstehen, ihm zu helfen, seine Ängste auszusprechen und diese – in welcher Form auch immer – zu modellieren.“ (S. 9)
Es ist wie eine moderne Übersetzung des Jakobus-Textes: In der Gemeinde des Jakobus gab es offenbar solche Dienste, die sich viele Menschen auch heute wünschen: Andere besuchen, mit ihnen und für sie beten, sie mit Öl salben. Die „Lebens-Verbindung“ aufnehmen und eben nicht abbrechen lassen, sondern sie in dem Gesamtzusammenhang der Gemeinde zu stellen:
„Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten [Presbyter] der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.“
III.
Was hilft die Salbung? Was hilft das Gebet? So fragen wir natürlich heute als moderne Menschen.
Wo ist die Grenze zu den mysteriösen oder gar unseriösen Wunderheilern, zu denen zur Zeit des Jakobus – hier wird sicher auch der eine oder andere gefragt haben: Wo ist der Unterschied? – oder zu denen unserer Zeit: Die Jürgen-Fliege-Essenz, das Wunderöl des Fernsehpastors, ist ja inzwischen aus seinem Online-Shop entfernt, und er hat sich vor der Disziplinarkammer seiner Kirche für den Verkauf zu verantworten …
Gebet und Salbung zielen nicht auf Reparatur.
Gebet und Salbung zielen auf die Erneuerung der Beziehung zu Gott.
Das Krankengebet wird den Kranken retten – an diese Wirkmächtigkeit des Gebets glaube ich. Aber es wird nicht in jedem Fall zur körperlichen Heilung führen.
Gott richtet den Kranken auf – womöglich aber nicht von seiner Krankheit, sondern in seiner Krankheit.
Es kann manchmal das weitaus größere Wunder sein: Der Frau, die mich darum bat, für sie zu beten, ging es mir gegenüber ja nicht um körperliche Heilung, sie sagte: „Ich komme mit meiner Krankheit derzeit nicht allein zu recht!“
Da vergewissern Gebet und Salbung: Ich gehöre in eine Gemeinschaft, die mich nicht im Stich lässt. Die christliche Gemeinde ist eine Gemeinschaft von Gesunden und Kranken, zwischen denen keine Grenze zu ziehen ist!
Sie ist „heilenden Gemeinschaft“ in dem Sinne, dass sie unsere kranken Glieder nicht vom Leib abtrennt, sondern Lebensbindungen und Lebensverbindungen aufrecht hält.
Sei es durch den Besuch. Sei es durch das Gebet.
Oder auch durch eine Salbung.
IV.
Und die Verbindung von Gebet und Sünde bzw. Sündenvergebung? Eine unheilvolle Verbindung, wenn man Krankheit und Sünde in eins setzt und nicht unterscheidet (Exegese von Mk 2,1-12)!
„Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.
Wen wir genau hinschauen: Krankheit und Sünde werden nicht in Beziehung gesetzt („dass man nur richtig beten muss, um gesund zu werden, oder im Umkehrschluss: Wer krank ist, hat nicht richtig gebetet, hat also irgendwie selber Schuld an seiner Krankheit“).
Vielmehr geht es darum, dass das Gebet im umfassenden Sinne aufrichtet – nicht nur bei körperlicher Krankheit, sondern auch bei seelischem Schmerz, bei Schuld, moralischen Lasten, ja selber bei Sünde (Gottesferne), wenn wir uns von Gott entfernt haben.
Wir beten doch auch für die körperlich Gesunden!
Und in dieser Linie: Wir segnen auch sie.
Wir werden gleich in diesem Gottesdienst eine Zeit lassen, in der jeder, der möchte, eine Salbung erhalten kann.
Auch Salbung meint natürlich nicht: letzte Ölung! Ist nicht nur Krankensalbung, so wie es im evangelischen Bereich auch zunehmend in den Krankenhaus- und Altenheimgottesdiensten zum Zuge kommt.
Salbung ist wie ein Segen der Ausdruck und der Zuspruch, dass wir mit unserm Leben zueinander und zu Gott gehören. Mit dem, was uns belastet, was unser Leben prägt, auch mit unserer Schuld und unseren engen Grenzen. Auch mit unseren Krankheiten. Unser Leben soll durch Gott spürbar erneuert werden, so wie Öl sinnlich erfrischt und erneuert.
Ruft zu den Ältesten der Gemeinde, dass sie über euch beten und euch salben mit Öl! Das richtet uns auf! Das rührt uns an, sei es in oder nach einer Krankheit (EG 383,1), sei es in oder nach langen Nächten voller Unheil, in die neues Licht und ein Schöpfungslied fällt (EG 383,4). Von beidem wollen wir nun singen!
Amen.