Der reiche Jüngling (18. So. n. Tr. Zu Mk 10,27ff.)

Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank verirrt sich nach Wiblingwerde und in diese Kirche. Und er trifft in dieser Kirche auf uns Christengemeinde, vielleicht auf Frau Böhland als Küsterin, vielleicht auf Rainer Nowak als Kirchmeister. Oder auf wen auch immer.18. So. n. Tr. Wiblingwerde

Der Reiche Jüngling 18. So. n. Tr. Zu Mk 10,27ff.

 

Und nur mal ganz theoretisch: Er fragt, als Mensch, der immer genau weiß was richtig und falsch ist und was seine Ziele und Strategien sind, – er fragt, was der Sinn des Lebens wäre.

 

Er – der erfolgreiche Geschäftsmann. Persönlich sehr wohlhabend. Der sich auskennt auf dem gesellschaftlichen Parkett – und mit dessen Regeln. Aber nun wollte er mal fragen: Was ist der Sinn des Lebens?

 

Der heutige Predigttext wäre eine Antwort. – Nicht nur für ihn. Nicht eine neue, aber brandaktuelle, denn im heutigen Predigttext kommt ein reicher Mann zu Jesus:

 

 

Und als Jesus sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. Du kennst die Gebote: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.“ Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter. Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

 

I.

Ich weiß nicht, inwieweit der Reiche Jüngling heute allein mit einem Josef Ackermann und all den Bossen und Spekulateuren gleichzusetzen ist, die mit dazu beitragen, dass unser gesellschaftliches Gleichgewicht und unser über Jahrzehnte erarbeiteter Wohlstand gefährdet wird. Oder ob nicht auch wir uns wiederfinden im Reichen Jüngling, mit einem sicher weit geringeren Einkommen und Vermögen und unserer christlichen Orientierung, die uns am Sonntagmorgen in die Kirche führt. Auch wir scheitern in der Regel an der Aufforderung Jesu im Wortsinn. Sie ist so radikal. Ich sehe mich selber auch traurig davon gehen.

 

Gleichzeitig bezeichnet diese Geschichte, wie das Hängen am Geld, der Geiz und die Gier, selber zu einer eigenen Religion zu werden droht. Was zählt wirklich, ist die bohrende und entlarvende Frage – übrigens nicht die Frage Jesu, sondern die des Reichen selbst („Wie ererbe ich das ewige Leben“?)! Und Jesus antwortet, und wie sollte er anders antworten: Es zählt allein der Glaube an Gott. Nicht der Glaube – etwa – an das Geld.

 

„Woran Du dein Herz hängst, das ist Gott“, hat Martin Luther kurz und knapp definiert, was Religion ist. Der Reiche Jüngling – er glaubt letztlich dem Geld mehr als Gott. Er könnte sich von allem trennen und in allem Kompromisse machen, fleißig alle Gebote halten und sich sogar Gedanken übers ewigen Leben machen und von sich aus Jesus aufsuchen – aber seinen Besitz abgeben, kann er nicht.

 

Könnten wir das? – Aber mindestens genauso sind wir bei allen Hauptdarstellern der großen Zusammenhängen der letzten Wochen und Tage. Ich spüre: Was wirklich zählt, ist nur noch Profit und Gier. Oder um bei Josef Ackermann zu bleiben: 25% Rendite fürs eigene Unternehmen, während er den einfachen Sparer mit 1,8% abspeist. 25% Rendite durch Finanzgeschäfte, während die Realwirtschaft sich zum kollektiven Burn-Out aufschwingt, um 1,8% Wirtschaftswachstum zu schaffen. Die Relationen stimmen schon lange nicht mehr. Nun geht es nicht mehr länger gut!

 

„Take what you can and give nothing back“ (Nimm, was du kriegen kannst und gibt nichts zurück!“), das ist die Freibeuter-Moral, nach der auch die Finanzkapitäne handeln.

 

Jesus sagt nichts gegen Reichtum an sich – so billig macht er seinen Ratschlag nicht. So billig können wir es auch nicht machen: Die Banken waren in der Vergangenheit ein Garant für Wohlstand und Verlässlichkeit.

 

Aber nun hat das System verselbstständigt. In den Wirtschaftswunderjahren war der Wunsch „nach immer mehr“ ein Wunsch nach mehr Wohlstand und Garant des Fortschritts. Und die Politik sorgte dafür, dass der entstandene Wohlstand gerechter verteilt wurde.

 

Und heute? – Heute fördert die Lust nach „nach mehr“ nicht das System, heute zerstört die Sucht „nach mehr“ das System. Es ist ein innerer Zwang für alle Beteiligte der Kapitalmärkte geworden: Es muss immer mehr und mehr werden. Selbst auf die Gefahr hin, dass ganze Staaten oder Währungen auf dem Spiel stehen.

 

Jungen Menschen und einfache Bürger sind in diesen Tagen an vielen Orten der Welt vor die Banken gezogen: „Zwingt die Banken in die Schranken!“ heißt ihr Ruf.

 

Die Angst greift um sich, die Angst vor der Zukunft, vor dem Verlust von Hab und Gut, vor dem Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems und dem Sturz ins Bodenlose. Es ist ein absurdes Bild: Menschen protestieren von den Banken, die auch ihr Geld verwahren.

 

III.

Was zählt? Und wie schwer ist es, den Schalter umzulegen?

 

Das ist nicht nur die Frage an den Reichen Jüngling, sondern es ist inzwischen eine Frage über das Wohl und Wehe der westlichen Demokratien geworden.

 

Auch die Politik ist mit der Frage des Predigttextes konfrontiert: Was zählt eigentlich? – Gibt es wenigstens in der Politik ein anderes Denken, einen anderen Mechanismus als auf den Kapitalmärkten? Alles, was wir sehen, ist, dass auch die Politik versucht, Banken, Hedge Fonds, Börse und Spekulanten mit deren eigenen Waffen zu schlagen – und die Politik an sich selbst genauso die Zähne ausbeißt wie der Reiche Jüngling.

 

Sie ist machtlos, weil sie sich auf die Regeln ihres Gegners eingelassen hat. Demokratie lebt von Transparenz, von Offenheit, sie lebt von Überzeugungskraft und davon, dass Bürgern einleuchtet, was ihre demokratisch gewählten Vertreter tun, selbst wenn sie nicht damit einverstanden sind. Derzeit aber handelt die Politik außerhalb der Demokratie.

 

Warum wird der Rettungsschirm immer größer? Weil die Politik glaubt, dass nur ein gigantischer, völlig unüberbietbarer Schirm die Spekulanten davon abhält, gegen Währungen und Staaten in den Krieg zu ziehen. Warum treffen sich die Staatschefs Europas nur zu Zeiten, an denen die Börsen geschlossen haben? Weil sie Angst haben vor Märkten und Aktienkursen. Warum wird der deutsche Bundestag fast systematisch ausgeschlossen von den Entscheidungen über den Rettungsschirm? Weil die Spitzenpolitiker noch nicht einmal mehr sicher sind, dass sie die Parlamentarier überzeugen können.

Von Denken her ist die Politik gefangen wie der Reiche Jüngling: Sie spekuliert gegen die Spekulanten – anstatt umzukehren und wieder Politik zu machen: Gesetze etwa: Griechenland könnte Gesetze machen, und seine Milliardäre müssten nicht mal mehr Steuern sondern überhaupt erst einmal Steuern zahlen! Europa könnte sich endlich einigen auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer – aber Großbritanien, das alte Industrieland Großbritanien! – fürchtet um seinen Finanzplatz London.

Es gibt keinen Konsens über die Beteiligung der Banken an der Krise. Es gibt kein Bewusstsein der Staaten darüber, dass sie sich mit ihrer hohen Verschuldung selbst den Währungsspekulanten zum Fraß vorgeworfen haben. Ich sehe und befürchte, dass sich die Politik so wenig von ihrem Denken abbringen lässt wie der Reiche Jüngling.

 

IV.

Was zählt? – „Gib alles, was du hast, den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!“ Wie bitte, mag sich der Mensch fragen, was soll ich? Alles hinter mir lassen? Alles hergeben? Alles verschenken?

 

Notfalls ja! – Um sich zu prüfen, was für einen im Leben zählt. Woran man sein Herz hängt. Was einen davon abhält, sich ganz der Nachfolge Jesu zu verschreiben.

 

Wenn Josef Ackermann zufällig in dieser Kirchen stehen würde – oder wenn unsere Politiker merkten, wie sehr sie in der Logik des Geldes denken, oder wir, wenn wir uns berechtigterweise Sorgen machen, weil wir häufig auch dem Besitz und dem Wohlstand viel zu viel Bedeutung einräumen – dann ist diese Frage zu stellen:

 

Würdest Du notfalls (auf-)geben, was dich hält und bindet? Selbst wenn es der Besitz wäre? Oder gäbe es wenigstens die Bereitschaft, von der unermesslichen Gier umzukehren? Oder von der Angst, dass wenige hundert geldgierige Spekulanten auf der Welt ganze Gesellschaften beherrschen?

 

Jesus moralisiert nicht. Er hält dem Reichen Jüngling schlicht den Spiegel vor. Nicht aggressiv. Es heißt sogar: Er gewann ihn lieb. In seinem inneren Ringen unterstützt Jesus ihn mit Zuneigung, mit Ermutigung. Jesus weiß, wie schwer es ist für den Menschen, umzukehren und sich zu entscheiden – das hat er bei seinen Jüngern gesehen, die Netze und Fischerboote zurückließen und damit ihren gesamten Besitz.

 

Jesus ruft den reichen Mann in die Freiheit. – „Du hast es nicht nötig, dein Herz ans Geld zu hängen.“

 

Der reiche Jüngling ist nicht fähig, umzukehren. Die Geschichte endet nicht mit einem Happy End. Er geht traurig davon. Er bleibt gebunden. Auch wir spüren im Moment angstvoll diese Bindung. Sie hat sich ausgewachsen zu einer großen Unfreiheit. Noch, ja noch geht diese Welt „traurig ihren Weg“, wie es am Ende beim Reichen Jüngling heißt.

 

Für mich ist heute das „Evangelium“, die gute Nachricht, auch nicht, dass es eine einfache Lösung gibt. Sondern vielmehr, dass Jesus den Reichen lieb gewonnen hat. Er merkt, wie schwer er es hat. Und dass er ihn „lieb gewinnt“, bedeutet für mich, dass die Tür nicht zugeschlagen ist, die Möglichkeit zur Umkehr womöglich bleibt.

 

Möge sich Gott erbarmen, dass die Welt seinen Ruf zur Umkehr erhört!