Propethische Angstmache – Andacht zur Rede Thunbergs vor der UNO

Es ist fünf vor zwölf. Greta Thunberg hat mit einer zornigen, anklagenden, ja drohenden Rede vor der UNO für Aufsehen gesorgt: Wir beobachten euch. Das ist alles falsch hier… Wie könnt Ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehen?! Ihr lasst uns im Stich, und wir werden euch das nicht durchgehen lassen…

Das Anliegen, das hunderttausende Schülerinnen und Schüler freitags auf die Straße bringen, kulminiert in diese Rede. Sie könnte im historischen Rückblick mal betrachtet der Rede Martin Luthers Kings, „I have dream“, nahekommen oder den Worten Kennedys in Berlin; wer weiß das schon. Jedenfalls transportieren die Worte von Greta Thunberg eine lange verschüttete Wahrheit und Lebensperspektive der nachwachsenden Generation: Sie sind die erste, die der Klimawandel weltweit voll erwischt – und wir die letzte Generation, die womöglich noch etwas daran ändern kann (Barak Obama).

 

Eine hat es immer wieder auf den Punkt gebracht, in so kurzer Zeit, mit einem solchen Widerhall weltweit…

 

II.

Aber es braucht auch in diesen Tagen nur fünf Buchstaben, um die Welt in Wallung zu bringen: von Friedrich Merz, der seiner Tochter das Reden vor der UNO verboten hätte, über die AfD, die beim menschengemachten Klimawandel Weltverschwörung wittert, bis hin zu den sozialen Netzwerken, in denen die 16jährige übelst beschimpft oder wie eine Heilige ins Schutz genommen wird.
Was ist das für ein Phänomen? Wie lässt sich das sortieren und einordnen, wenn wir es als Christen betrachten und als ein diakonisches Unternehmen, eingebunden in Wirtschaftsabläufe, aber von unseren Werten und Leitsätzen ja irgendwie auch dem Anliegen der Jugendlichen verbunden?!

Wie gehen wir mit der bewussten Panikmache um und mit Irrationalitäten, mit Grenzüberschreitungen (wie Schulstreiken)? Ohne dies wären das Thema nicht auf der Agenda der Weltpolitik.

 

Es ist in wundersamer Weise nichts anderes als der Stoff der alttestamentlichen Prophetinnen und Propheten.

 

Greta Thunberg beruft sich nicht auf Religion, sondern auf die Wissenschaft. Aber wie die Propheten wie Amos oder Jesaja strahlt sie ein besonderes Sendungsbewusstsein aus mit hohem persönlichem Einsatze – sie streikte selbst wochenlang und segelte nach New York.

 

Sie konfrontiert die Welt mit einer nicht gern gehörten Wahrheit. Aber mehr noch: Sie verbindet ihre Botschaft mit einer klaren Schuldzuweisung – Adressat: die vorherigen Generationen: wie konnten sie es wagen?!. Sie nennt ein apokalyptischen Untergangsszenario in drastischer Sprache: „Wir stehen am Anfang eines Massensterbens“ (biblisch: Gerichtsvorstellung). Und sie ergreift Partei für diejenigen, die eben nicht im Blick sind („die kommenden Generationen“).

 

Bei Amos und Jesaja klingt es ähnlich wie bei Gretas“ Wie könnt Ihr es wagen“:

11 Darum, weil ihr die Armen unterdrückt und nehmt von ihnen hohe Abgaben an Korn, so sollt ihr in den Häusern nicht wohnen, die ihr von Quadersteinen gebaut habt, und den Wein nicht trinken, den ihr in den feinen Weinbergen gepflanzt habt.

12 Denn ich kenne eure Frevel, die so viel sind, und eure Sünden, die so groß sind, wie ihr die Gerechten bedrängt und Bestechungsgeld nehmt und die Armen im Tor unterdrückt.

21 Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen – 23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! 24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

 

Nicht von ungefähr hat die „Zeit“ letzte Woche den Auftritt Greta Thunbergs vor der UNO mit dem Weckruf und Widerruf Martin Luthers vor dem Wormser Reichstag 1521 vergleichen: damals der unbedeutende Mönch, nicht im Stande zu widerrufen, und die Obrigkeit, nicht im Stande auch nur in einem Hauch der vorgetragenen Radikalität zu folgen.)

III.

Zum Prophetischen der Bibel gehört auch die Ignoranz oder der offene Widerstand als Reaktion der Masse. Plötzlich merken die meisten, wie ihnen ein Spiegel vorgehalten wird. Wie man sich schwer oder gar nicht rechtfertigen kann gegen die Vorwürfe. Oder wie eine Besserung der Lage eine große Veränderung voraussetzen würde. Warum wird eine Jugendliche so gehasst, fragte der Postillon unter der Woche – eigentlich satirisch. Eine Antwort: „Weil wir etwas ändern müssten, wenn wir sie nicht hassen würden.“

 

Typisch also für eine Umkehr rufenden Prophetin: Sie will in diesem Moment gar nicht über die Sache reden, sondern die Menschen bei der Angst packen. Und entsprechend sind auch die Reaktionen, die sich hasserfüllt gegen die Person wenden: Eine Autistin! Sie sollte besser zur Schule gehen! Sie ist ferngesteuert! Alles unrealistisch!

 

Mehr Realitätssinn und Verantwortungsbewusstsein wäre von allen anderen gefordert. Und nicht gleich von sich selbst wieder wegweisen und auf sie zeigen – das wäre jetzt angebracht. Es einen Moment wenigstens mal schmerzhaft wirken lassen, was die jüngere Generation an uns Älteren feststellt…Die Radikalität zu ertragen. Und: vielleicht auch so etwas wie Angst neu an sich zu entdecken …

Die junge Generation entwickelt eine neue Fähigkeit zur Angst. Und ihre Angst ist nicht einfach nur eine Angst vor einem Verlust an persönlicher Freiheit, sondern sie ist eine Angst als Schutzmacht vor dem drohenden Unheil. Diese Angst kann Motor für Veränderung sein, gerade dann wenn alle rational nachvollziehbaren Fakten gar nicht mehr vor die Augen kommen. Der Philosoph Hans Joas hat schon in den 1960er-Jahren im „Prinzip Verantwortung“ formuliert: „Die Furcht erzwingt und erreicht, was die Vernunft nicht erreicht hat.“

 

»Ich möchte, dass ihr so handelt, als wenn unser Haus brennt“, ruft Greta Thunberg. Was verändert sich aus einem solchen Blickwinkel?

 

IV.

„Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“, sagt Gott zu Menschen, die ihre Zukunftsperspektive zu verlieren drohten (Jeremia 29,11; Jeremia, auch ein sog. „Gerichtsprophet). Bei den Propheten der Bibel schimmert durch– oft nur bei ganz wenigen Sätzen auf kapitellangen Unheilsansagen -, dass die Konfrontation mit Panik und mit der Angst einen heilsames Ziel hat.

 

Biblisch geht es um die letzte Ausfahrt, die letzte Umkehrmöglichkeit, die Gott selber den Menschen nochmals bereithält. Gott bewahrt die Geschöpfe durch die Sinnflut hindurch. Er rettet sein Volk Israel in der Wüste. Sein auferweckte Sohn Jesus Christus verspricht: Ich bin bei euch alle Tage – da sind eben nicht nur die schönen Tage gemeint – bis ans Ende der Welt.

 

Gott bleibt Garant von Zukunft und Hoffnung. Das ist aber schon biblisch nicht als Einladung zu verstehen, die Hände in den Schoß zu legen, sondern verantwortlich zu werden. Wem Zukunft versprochen ist, der verfällt nicht in Angststarre, der wird nicht panisch, sondern der ist frei, das zu tun, was getan werden kann. Wenn unser Klima wie ein Haus ist, das brennt, aber von dem Gott letztendlich nicht will, das es abbrennt – dann ist es an uns, rechtzeitig mit dem Löschen zu beginnen.