Überwinde Böses mit Gutem (Neujahr 2011 zur Jahreslosung Röm 12,21)

Ein neues Jahr hat begonnen. Gestern noch die Jahresrückblicke – nun der Blick nach vorne! Nach vorne? Man kann es nur hoffen: „Neu“ ist ja ein beinahe magisches Wort: Neu beginnen dürfen, Neues wagen dürfen, Vorsätze umsetzen dürfen.

Predigt – Neujahr Matthäus-Kirche Altena

Jahreslosung: #Röm 12,21

 

Gleichzeitig klingt da viel Anspruch mit, auch an sich selbst: Werde ich die guten Vorsätze umsetzen können? Oder Ungewissheit und Unsicherheit: Was bringt das neue Jahr? Werde ich alles schaffen, was mir auferlegt ist, zu tun?

 

Seit 1934 begleitet die evangelischen Christinnen und Christen durchs Jahr die Jahreslosung. Ähnlich wie bei den Tageslosungen der Herrnhuter Brudergemeinde soll man mit einem Bibelwort seinen Weg gehen.

 

Um 1900 entwickelte der Reichsverband Evangelischer Jungmännerbünde Monatskalendern mit Bibelsprüchen. 1929 schlossen sich evangelische Jugendverbände, die Frauenhilfe und Ausbildungsstätten der Diakonen- und Diakonissenhäuser zu dem sogenannten Textplanausschuss zusammen, der 1934 die erste Jahreslosung veröffentlichte: 1Petr 1,25: „Des Herrn Wort aber bleibet in Ewigkeit.“

 

I.

Durch 2011 kann uns ein Wort aus dem Röm begleiten:

 

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm 12,21)

 

Gleich am Neujahrstag trifft uns das biblische Wort mit ganzer Macht und Schärfe.

Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom vom Leben der Gemeinde – und seine Worte eignen sich für mehrere Monatskalender mit gleichzeitig schönen wie –buchstäblich – anspruchsvollen Bibelsprüchen: ein Leib mit vielen Gliedern soll sie sein, in geschwisterlicher Liebe. Seid nicht träge in dem, was ihr tut, sondern seid brennend im Geist. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig i Trübsal, beharrlich im Gebet.

Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.

Und dann quasi als Spitze am Ende wird aus den kollektiven Ratschlägen eine persönliche, individuelle Anrede, als ob es wirklich ans Eingemachte geht:

 

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm 12,21)

 

II.

Wer diesen Vers allein moralisch versteht, hat wohl schon verloren. Es geht um jeden Einzelnen, ganz persönlich. Um unsere Potentiale zum Guten. Aber zunächst um die unangenehmen Seiten in uns.

 

Da neigen wir zu Verniedlichungen. Sünde kommt als zarteste Versuchung daher – nicht bei der lila Schokolade.

Wir bekennen zu uns unserem „inneren Schweinehund“ – locker und mit einem Augenzwinkern.

Und das Böse wird zur Person gemacht: Das Teufelchen wird mit Ziegenfuß und Hörnern gar zur Kultfigur

gestylt und so gebändigt.

 

Doch ist das Böse damit aus der Welt?

 

Ein kleiner Junge kommt weinend vom Spielplatz

nach Hause – mit blutender Nase. Er wollte auf die Rutsche klettern, wurde aber von einem anderen vom Gerüst gestoßen. Nun steht er mit kaputter Nase und voller Empörung vor der Mutter und will Hilfe. „Du musst endlich lernen, dich zu wehren,“ sagt die Mutter.

 

Man kann sich nicht alles gefallen lassen, hat Gerhard

Zwerenz eine Geschichte überschrieben. Sie beginnt so:

„Wir wohnten im dritten Stock mitten in der Stadt und

haben uns nie etwas zuschulden kommen lassen, auch mit Dörfelts verband uns eine jahrelange Freundschaft, bis die Frau sich kurz vor dem Fest die Bratpfanne auslieh und nicht zurückbrachte. Als meine Frau dreimal vergeblich gemahnt hatte, riss ihr eines Tages die Geduld, und sie sagte auf der Treppe zu Frau Muschg, die im vierten Stock wohnt, Frau Dörfelt sei eine Schlampe. Irgendwer muss das den Dörfelts hinterbracht haben, denn am nächsten Tag überfielen Klaus und Achim unseren Jüngsten, den Hans, und prügelten ihn windelweich…“

 

Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Auf einen groben Klotz gehört ein noch gröberer Keil. Am Ende sind alle zur Strecke gebracht. Das Böse beginnt unmerklich und entwickelt seine verderbliche Dynamik: Kleiner Finger, ganze Hand, ganzer Mensch, alles Land.

 

Der eigene Anteil am Bösen wird dabei gerne beiseitegeschoben. „Ein Theologieprofessor, der in der NS-Zeit in Deutschland ausharrte, sagte nach dem Krieg zum berühmten Theologen Karl Barth: „Wir haben dem Teufel ins Angesicht geschaut!“

Worauf Barth an seiner Pfeife zog und sagte: „Na, da wird er sich aber erschrocken haben, der Teufel!’“

 

Karl Barth bringt es auf den Punkt: Das Böse lässt sich nicht auf irgendeine Instanz oder Person abschieben.

Das Böse begegnet uns in uns selbst.

 

Doch das eigene Böse einzugestehen, kostet Überwindung. Vor allem, wenn’s konkret wird.

 

Konflikte aber, denen wir nicht auf den Grund gehen, bringen neue hervor. Unter der Oberfläche schwelt es dann weiter. Beleidigung frisst sich fort, Demütigung fordert Genugtuung, brennender Hass stiftet Unfrieden. Gefühle kann man nicht abstellen.

 

Dabei: Konflikte müssen ans Tageslicht. Doch das ist einfacher gesagt als gelebt. Eigene Fehler eingestehen, gar Böses zuzugeben kostet Überwindung.

Was ist, wenn ich mit meinen Fehlern nicht geliebt werde? Was ist, wenn Gott das Böse in mir so abstoßend findet wie ich? Was ist, wenn meine Kraft nicht reicht, das Böse mit Gutem zu überwinden?

 

 

III.

In der Evangelischen Kirche von Westfalen 2011 feiern wir 2011 das „Jahr der Taufe“. Taufe ist ja eigentlich all die Jahre gewesen und wir auch nach diesem Jahr sein. Aber dennoch lohnt ein Blick auf das alte Ritual, das Sakrament. Es verbindet die Konfessionen, ja.

 

Vor allem aber verbindet es uns Christinnen und Christen, weil unter der Taufe neue Menschen werden, für die das Böse keine Macht mehr hat. Denn sichtbar wird in der Taufe, dass Gott verspricht: Ich werde mit Dir sein – ein Leben lang. Auch wenn uns das Böse zu übermannen droht. Auch wenn wir das Gute nicht mehr sehen. Wenn wir Gut und Böse kaum noch zu unterscheiden wissen. Dann stehe ich dir bei. Dann rücke ich nicht von deiner Seite.

Noch ist diese Welt die unerlöste Welt, in der das Böse existiert, auch durch uns und in uns.

 

Luther hat diese Spannung in seinem Katechismus beschrieben: Taufe erlöst von Tod und Teufel – und gleichzeitig müsse der alte Adam, der alte Mensch in uns, durch tägliche Reue und Buße ersäufet werden – um täglich herauszukommen und aufzuerstehen als neuer Mensch.

„Erlöse uns von dem Bösen“, beten wir im Vaterunser. Bei Gott sind wir mit dieser Bitte an der richtigen Adresse. Denn seine Gnade nimmt uns Unannehmbare an.

Seine Liebe schenkt uns sogar das Vermögen, uns selbst zu lieben. Und damit andere – wie uns selbst.

 

IV.

Ich bin sicher, dass uns 2011 mit dieser Jahreslosung auch die anderen Geschichten einfallen, die das Gute beschreiben und aufdecken. Die nicht von der Eskalation der Gewalt erzählen, nicht vom Zurückschlagen.

 

Geschichten und Begegnungen, die nicht auf das Böse in uns schauen, sondern die davon zeugen – vielleicht sogar schwärmen -, wie der Mensch – befreit vom Bösen durch den gnädigen Gott zu sich selbst – fähig ist und wird, das Böse zu überwinden. Mit Gutem. Amen.