Mit dem legendäre Satz „Mind the Gap“ warnt Londons U-Bahn die Fahrgäste vor der Lücke zwischen Bahnsteig und Zug: „Vorsicht: Lücke!“ Für die Witwe eines früheren Sprechers der automatischen Ansagen hat dieser Satz aber eine noch tiefere Bedeutung: Nach dem Tod ihres Mannes ging die Frau regelmäßig in eine der Stationen, in der die 40 Jahre alte Aufnahme noch immer genutzt wurde. Sie wollte gerne die Stimme ihres verstorbenen Mannes hören. Vor einiger Zeit tauschte die Bahn die alte Ansage allerdings gegen eine neue Ansage aus. Die Frau war darüber sehr traurig und beschwerte sich. Weil die Frau so traurig war, entschloss man sich dazu, die alte Aufnahme zurückzuholen: „Ihre Geschichte hat uns berührt“, sagte der Chef der Londoner Underground.
Wie sind die Jünger mit Jesus in Verbindung geblieben, als er gestorben war? – Ich denke, ihnen klag die Stimme Jesu nach. Sie haben sich aufgerichtet an seinen Worten, die er zu Lebzeiten gesagt hatte. Im Johannes-Evangelium heißt es aus dem Munde Jesu, als er schon früh von seinem Sterben spricht: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaftig meine Jüngerinnen und Jünger und ihr werdet die Wahrheit erkennt und die Wahrheit wird euch befreien.“ (Joh 8,31-32 nach „Bibel in gerechter Sprache“).
In der Londoner U-Bahn werden die meisten Menschen das „Mind the gap“ schlicht als gut gemeinten Rat verstehen. So kann man auch die Bibel lesen als Fundgrube ethischer Ratschläge und literarisches Meisterwerk. Der Frau im Bahnhof hört aber entscheidend mehr: Sie hört eine liebende Stimme. Der Tod hat ihre Liebe nicht zerstören können. Gott sei Dank ist die alte Ansage geblieben!
Die „alte Ansage“ ist den Jüngerinnen und Jüngern und uns heute geblieben: Mit der Auferstehung an Ostern und durch den Heiligen Geist an Pfingsten spricht die Stimme Jesu Christi zu uns. Liebevoll und persönlich. Lebendig und gegenwärtig. Und noch mehr: Das Wort wird mit Christus identifiziert („Das Wort ward Fleisch“): Wenn wir seine Stimme hören, ist er als Auferstandener gegenwärtig und wir bilden den Leib Christi.
Vertrauen wir der „alten Ansage“ und hören wir so, dass wir (Joh 8) die Wahrheit erkennen und uns diese Wahrheit befreit“ – daran sehnt es mich und dafür brauche ich die österliche Zeit, die immer wieder neu die Botschaft zurückbringt: Gottes Wort ist durch den Tod hindurch mitten unter uns!