Albert Schweitzer, Urwald-Arzt von Lambarene, Seelsorger der Schwarzen, Bewunderer Johann Sebastian Bachs. Ein Freund des Lebens von Menschen und Tieren. Sein Wort wurde das afrikanische“NKENGO“, das einheimischen Wort für „Barmherzigkeit“: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“
Andacht, Kuratorium Ellen-Scheuner-Haus, 24.8.09
Er selber sagte einmal:
„Wenn ich es als meine Lebensaufgabe betrachte, die Sache der Kranken unter fernen Sternen zu verfechten, berufe ich mich auf die Barmherzigkeit, die Jesus und die Religion befehlen.“
Diese Barmherzigkeit war für Schweitzer eine Sühnetat für das, was die weiße Kultur bewusst oder unbewusst Schwarzen angetan hatte.
II.
„Ehrfrucht vor dem Leben.“ Als Albert Schweitzer 1915 eine mehrtätige Fluss-Reise unternahm, stand ihm plötzlich der Ausdruck „Ehrfrucht vor dem Leben“ vor Augen.
„Ich rufe die Menschheit auf zur Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. Diese Ethik macht keinen Unterschied zwischen wertvollerem und weniger wertvollem, höherem und niederem Leben. Sie lehnt eine solche Unterscheidung ab. Wer von uns weiß denn, welche Bedeutung das andere Lebewesen an sich und im Weltganzen hat? Die Konsequenz dieser Unterscheidung ist dann die Ansicht, dass es wertloses Leben gebe, dessen Vernichtung oder Beeinträchtigung erlaubt sei. Je nach den Umständen werden dann unter wertlosem Leben Insekten oder primitive Völker verstanden. Die unmittelbare Tatsache im Bewusstsein des Menschen lautet: ,Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.’“
Was er konkret mit „Ehrfurcht vor dem Leben“ meinte – zwei kurze Beispiele:
- Ehrfurcht vor der Kultur des Anderen: Schweitzer achtete Gewohnheiten der Afrikanern. Neben die für den Arzt selbstverständliche Ehrfurcht vor dem biologischen Leben trat die Ehrfurcht vor dem geistigen Wesen des andern: Seine Kultur darf seine Kultur bleiben. An ihrem Leben hatte er teil, nicht sie an seinem.
- Schweitzer pflegte alle: Menschen, Tiere und Pflanzen. Er machte keinen Unterschied. Im Spital gab es 620 Liegeplätzen für kranke Menschen auch 20 Tiergehege für kranke Hunde, Schafe, Ziegen, Antilopen, Menschenaffen und Pelikane. Schweitzer behandelte auch Pflanzen. Als einmal der Blitz in einen großen zweistämmigen Mangobaum eingeschlagen war, wurde er von Schweitzer verbunden: Er habe zuerst etwas Erde auf das Holz geschüttet und dann eine Kappe aus Zement darüber gegossen und diese mit den Händen gut angedrückt.
Dabei war sich Schweitzer schmerzlich bewusst, dass die Natur um uns herum ein grauenhaftes Ringen von Leben gegen Leben zeigt. Die Erkenntnis, dass in der Welt der Schöpferwille zugleich als Zerstörungswille waltet, blieb für den Denker Schweitzer ein schmerzvolles Rätsel, das er nicht erklären konnte.
III.
„Verantwortung“
Man kann Albert Schweitzer kritisch auf seine strenge Gesinnungsethik befragen. Es ist nicht immer klar zu sagen, wie sich “Ehrfrucht vor dem Leben“ ausdrückt.
Daher tritt neben Barmherzigkeit und Ehrfurcht „Verantwortung für alles, was lebt“. Nicht immer kann man genau sagen, was Ehrfurcht für das Leben heißt. Dazu gibt es zu viele medizin-ethische Grenzfälle: In welchen Situationen am Ende eines Menschenleben hört Ehrfurcht auf? Bei welchen Maßnahmen trägt sie sich durch? Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Aber: Das entbindet uns nicht von der Verantwortung, Entscheidungen so zu treffen, die nach unseren Entscheidungsmöglichkeiten am ehesten das Leben ehren.
Über einer Todesanzeige: Gedanken zur „Ehrfurcht vor das Leben“ – das klingt sehr nach Hans Ulrich Wille, wie ich ihn nur kurz kennen gelernt habe: Er übernahm Verantwortung für sich und die Bewohner, wie es seine Möglichkeiten ihm zuließen. Er ehrte das Leben bis zuletzt. Wissend um den Tod, mag er besonders vor Augen gehabt haben, wie wertvoll das Leben ist – und wie einmal. Ich denke, dass uns das bestärken kann, selber in unseren Bezügen das Leben zu lieben und verantwortlich zu handeln.