Auf ein Neues! – Mit dem 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr. Gleich zu „Jahresbeginn“ konzentriert sich unseren Blick darauf, wie Gott in diese Welt tritt und wie wir uns ihm öffnen: „Wie soll ich Dich empfangen und wie begeg ich Dir? / O aller Welt Verlangen, o meiner Seelen Zier.“ (EG 11,1)
Der bekannte Liedvers stammt von Paul Gerhardt, dessen 400. Geburtstag wir im neuen Kirchenjahr 2006/07 feiern. 134 Lieder kommen aus seiner Feder, von denen sein Weggefährte Johann Crüger fast die Hälfte vertont hat. Im Evangelischen Gesangbuch stehen 28 Paul-Gerhardt-Lieder. Sie bilden die Fülle eines Menschenlebens ab mit seinen fröhlichen und traurigen Moment, mit Zuversicht und Zweifel – und nicht von ungefähr erklingen Gerhardts Lieder im Verlauf des gesamten Kirchenjahres. Unser Kirchenjahr hat viele Farben: Je nach Anlass hängen wir grüne, rote, weiße Altarvorhänge in der Kirche auf. Und das Kirchenjahr hat – ähnlich wie das menschliche Leben an sich – unterschiedliche Färbungen: traurige, erwartungsfrohe, lichte, versunkene, fröhliche Momente.
„Ich sehe dich mit Freuden an / und kann mich nicht satt sehen; / und weil ich nun nichts weiter kann, / bleib ich anbetend stehen“ (EG 37,4): Kein großer Pathos, eine bildlich konkrete Sprache – so werden wir mit Paul Gerhardts Worten aus „Ich steh an deiner Krippen hier“ selber staunend an der Weihnachtenskrippe stehen. Mit dem „Nun lasst uns gehen und treten / mit Singen und mit Beten zum Herrn, der unser Leben bis hierher Kraft gegeben“ (EG 58,1) überschreiten wir am Altjahresabend die Schwelle zum neuen Kalenderjahr.
1607 im sächsischen Landstädtchen Gräfenhainichen geboren, verlor Paul Gerhardt schon als Kind Vater und Mutter, später seine Frau und fünf seiner sechs Kinder. In solchen „Passionszeiten“ hat er sich Gott an den Hals geworfen: „Wenn mir am allerbängsten, wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten, kraft deiner Angst und Pein“ (EG 85,9: O Haupt voll Blut und Wunden).
Nach den Schrecken des 30-Jährigen Krieges erlebte Gerhardt als Pfarrer in Mittenwalde und Berlin die glücklichste Zeit seines Lebens: „Auf, auf, mein Herz mit Freuden, nimm wahr, was heut geschieht!“ (EG 112,1) sind gleichermaßen Osterruf und sein Dank dafür, in den Kriegsschrecken bewahrt worden zu sein. Die Loblieder „Du meine Seele singe“ (EG 302) und „Ich singe Dir mit Herz und Mund“ (EG 324), die bei uns etwa die Trauungen in den Sommermonaten rahmen, werden 1668 in einer Gesamtausgabe von 120 Liedern erstmals veröffentlicht.
Mit Paul Gerhardt auf den Lippen kann man den Sommer besingen („Geh aus mein Herz und suche Freud“, EG 503), aufwachen („Die güldne Sonne“, EG 449) und einschlafen („Nun ruhen alle Wälder“, EG 477).
Vor allem aber kann man eins: sich einmal bewusster auf das neue Kirchenjahr einlassen, mit Phasen der Besinnung, der lauten Freude, des Lichts und der bewusst ausgehaltenen Dunkelheit. Das Kirchenjahr spiegelt die Fülle des Lebens wider und adressiert unser Freud und Leid an Gott: Befiel Du deine Wege, und was dein Herze kränkt / der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt“. (EG 361,1) Am Ende des Kirchenjahres ist dieser Liedvers dann schon wieder Brücke in die nächste Adventszeit: Der, der den Himmel lenkt, wird Mensch.
Ihr Dietmar Kehlbreier