Glauben lernen… – Zum Todestag Bonhoeffers (Digital-Gottesdienst)

Zum Todestag von Dietrich Bonhoeffer, der sich am Gründonnerstag zum 75. Mal jährt: Online-Gottesdienst aus Haltern

 

„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (Wochenspruch zu Quasimodogeniti 1. Petr. 1,3)

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[Alle Texte zum Online-Gottesdienst]

[Bonhoeffer – Biographie]

 

Dietrich Bonhoeffer und einige andere Häftlinge sind im April 1945 auf dem Transport vom KZ Buchenwald ins KZ Flössenbürg unterwegs. Es ist der Sonntag Quasimodogeniti, der 1. Sonntag nach Ostern.

Ein Mithäftling, der rheinische Katholik Hermann Pünder, nötigt Bonhoeffer dazu, auf der Reise, in einem verlassenen Schulhaus tiefsten Bayern, einen Gottesdienst zu feiern. Als protestantischer Geistlicher zögert Bonhoeffer zunächst: um das Gefühl des Katholiken, vor allem aber die Moral eines bekennenden Atheisten, der sich unter den Männern befand, nicht zu verletzen.

 

Erst als Plünder darauf besteht, gibt Bonhoeffer nach. Er liest das Bibelwort aus den Losungen und den Episteltext des Sonntags aus 1 Petrus 1,3:

Gelobt sei Gott der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi vom den Toten.‹

 

Bevor Bonhoeffer auch den Mitgefangenen in einem zweiten Klassenzimmer eine Andacht halten kann, wird er abgeholt. Er stirbt am 9. April, heute vor 75 Jahren, am Galgen in Flossenbürg.

 

Bonhoeffer wurde nur 39 Jahre alt, aber er prägt unseren Glauben und unser kirchliches Leben bis heute.

 

II.

Wer war Bonhoeffer? Wo bekommt er für mich eine Bedeutung, ohne ihn gleich zu einem besonderen Heiligen zu machen?

 

Häufig steht im Vordergrund, dass er Widerstandskämpfer rund um 20. Juli 1944 war und dass sich von Anfang an nicht in den Sog des Judenhasses hineinzogen ließ.

 

Tatsächlich protestierte Bonhoeffer früh gegen ein herkömmliches Staatsverständnis, wonach der Staat von sich aus eine gute Schöpfungsordnung Gottes sei. Er sah ja, dass der Staat dem Böse zu dienen fähig war: „Tu den Mund auf für die Stummen! (Sprüche 31.8)“ lautete für ihn die Aufgabe der Kirche, und wenn dies nichts nütze, dann sogar Widerstand gegen den Unrecht tuenden Staat. Bei Bonhoeffer kristallisierte sich das schnell heraus, als die Nazis schon im April 1933 jüdische Mitbürger aus dem Beamtenapperat entfernten: Letztlich könne die Kirche nicht dabei stehen bleiben, die Wunden der Opfer zu verbinden, sondern müsse notfalls dem Rad selbst in die Speichen fassen.

 

Heute beruft sich die Neue Rechte in den USA und in Deutschland auf Bonhoeffers Widerstandsethos – und verdreht Bonhoeffer damit komplett:

Denn der Kontext damals ist der Unrechtsstaat, der ja gerade die Gleichwertigkeit des Menschen in tödlicher Konsequenz missachtete. Wer also heute gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit neu säet, kann sich auf Bonhoeffer nicht berufen, sondern hat ihn gegen sich. – Mit Bonhoeffer gewinnen wir für heute eine neue Klarheit: Rechtsstaatlichkeit, die Würde aller Menschen und – was er in dieser Begrifflichkeit noch nicht kannte – individuelle Menschenrechte müssen immer neu deklariert und notfalls mit Widerstandskraft erkämpft werden!

 

V.

Was mich zunehmend an Bonhoeffer fasziniert: die enge Verbindung vom politischen Verstand und einer tiefen evangelischen Frömmigkeit.

 

Der Ostervers aus 1Petr, die große Barmherzigkeit und die lebendige Hoffnung durch den auferstanden Christus – sie ereignet sich für ihn. Daran hält er sich fest, schon in er Haft, als er fragt, wer er denn nun sei, der Mutige oder Ängstliche, wo er sich den guten Mächten geborgen weiß.

 

Christus ist für ihn da. Bonhoeffer darf ganz Empfangender sein – und darin gerade frei. Er traut, dass Gott ihm selber so viel Widerstandskraft gibt, die er braucht – quasi in täglichen Rationen.

 

Kein Heiliger wollte er sein, sondern jemand, der diesen Glauben lernt – in der schwersten Zeit, bewährt und nochmals verdichtet an Ostern 1945, kurz vor dem seinem Ende.

 

Als 1944 das Hitler-Attentat scheitert, schreibt er seinem Freund Eberhard Bethge:

 

„Ich erinnere mich eines Gesprächs, das ich vor 13 Jahren mit einem französischen jungen Pfarrer hatte. Wir hatten uns ganz einfach die Frage gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er: Ich möchte ein Heiliger werden – und ich halte für möglich, dass er es geworden ist – ; das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach ich ihm und sagte ungefähr: Ich möchte glauben lernen. Lange Zeit habe ich die Tiefe dieses Gegensatzes nicht verstanden. Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte…Später erfuhr ich und erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann […]- dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern die Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist Umkehr; und so wird man Mensch, ein Christ.“

 

Spüren wir doch in diesen Tagen dieser radikalen Diesseitigkeit nach: dem Gefangensein in Sorgen und Ängsten, dem Bangen und Ausharren in einer für uns völlig unbekannten Situation. Ostern wird dieses Jahr anders sein, ja. Aber vertrauen wir darauf, wir nicht viel brauchen und zu tun haben, weil Christus durch sein Auferstehen – mit 1Petr gesprochen – uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung