„Schön wieder da zu sein“ (Predigt BVB-Saisonabschlussgottesdienst 2014)

Schön wieder da zu sein … Wir fahren nach Berlin – ins „Mekka“ des deutschen Fußballs! Wie wunderbar!

Predigt – Dreifaltigkeitskirche Dortmund

Saisonabschlussgottesdienst BVB 2013/14

„Schön, wieder da zu sein“

 

Dort wo ich sitze, im Südosten, wurde beim Halbfinale gegen Wolfsburg 90 Minuten lang gestanden. So sehr haben alle mitgefiebert, bis dann die Jungs am Ende zur Südtribüne kamen. Mit ihrem T-Shirt und Schal drückten sie genau das aus, was alle gespürt haben: „Schön, wieder da zu sein!“

 

Nach 2012 – schon wieder! Ich bin ja mit diesem Verein groß geworden, der Jahr für Jahr im Pokal in der ersten oder zweiten Runde an Wattenscheid 09, Eintracht Trier oder Wolfsburg Amateure scheiterte… Und nun schon wieder: Schon wieder die große Vorfreude: 50.000 Borussen an der Spree. Viel zu wenig Platz im Stadion, aber genug, um die Hauptstadt wieder in Schwarz-Gelb zu tauchen.

 

Erinnerungen vom letzten oder vorletzten Mal werden aufleben: die tolle Stimmung am Breitscheidplatz. Wie es dort Stunde um Stunde voller wurde. Wie sich Menschen um den Hals fielen, die gerade angekommen waren und sich kannten – oder auch nicht.

 

Eine echte Wallfahrt in ein „Fußball-Mekka“ – das klingt nicht zufällig religiös. Es gleicht dem, wie man sich für eine Pilgerfahrt vorbereitet: Wie man auf den einen Ort hinfiebert. Wie man Zwischenstationen hat – und damit meine ich jetzt weniger Autobahnraststätten entlang der A2, sondern die zurückliegenden Pokalspiele. Da haben sich schon viele ausgemalten, wie es wäre, wieder in Berlin zu sein.

 

Es hat etwas von einer Pilgerfahrt: Dass man unbedingt dort sein möchte, wo das Ziel wartet nach einem langen Weg – ja selbst, wenn man keine Eintrittskarte hat. Es ist doch erstaunlich (und dann freilich wieder ein schwarz-gelbes Phänomen alleine!), dass sich so viele aufmachen, um an einem Ort zusammen zu sein.

 

  1. Schön wieder in Jerusalem zu sein …

Szenenwechsel: Nicht Berlin, sondern Jerusalem. Nicht das deutsche Wembley seit 1986, sondern der jüdische Kultort zur Zeit Jesu, damals schon seit 1.000 Jahren. Jerusalem ist das religiöse Zentrum, das Gläubige anzieht: „Diese Jahr in Jerusalem“, heißt die religiöse Losung bis heute: Einmal muss man dorthin!

 

Denn an diesem Ort verdichtet sich allen Sehnsüchte und Hoffnungen. Dort stand zur Zeit Jesu der Tempel.

 

Dort zog er ein. Er, der einfach redete. Einfach von Gott. Und heilte und am Tisch saß mit den Absteigern seiner Zeit.

 

Das brachte die Mächtigen gegen ihn auf. Das enttäuschte das Volk. Denn es hoffte, dass er machtvoll die Römer verjagen würde.

 

Jesus gescheiterte – vermeintlich.

Er zahlte mit dem Leben für seine Botschaft vom liebenden Gott.

 

Jerusalem: ein Ort der Niederlage!

 

Im Lukasevangelium wird dann erzählt von zwei Jüngern, die nach dem Tod Jesu genau den umgekehrten Weg nehmen: von der Hauptstadt Jerusalem in die Provinz nach Emmaus. Total frustriert und alleine. Mit hängenden Köpfen.

 

Gefühlsmäßig können wir hier sicher einsteigen, nicht nur mit Blick auf Fußball-Niederlagen wie das Pokalfinale 2008 oder den Beinahe-Bankrott vor weniger als 10 Jahren.

 

Ich denke, wir können noch tiefsinniger einsteigen mit Geschichten und Erfahrungen aus unserem Leben jenseits des Fußballs: Jeder wird mal mit großer Hoffnung ein Ziel in den Blick genommen haben, wird einmal im Leben einen entscheidenden Ort aufgesucht haben – und ist womöglich bitter enttäuscht worden.

 

Die „Emmaus-Jünger“ merken erst gar nicht, als sich ein Dritter nähert. Er weiß augenscheinlich nicht, was in Jerusalem passiert ist. Sie erzählen ihm alles. Sie reden sich den Frust von der Seele.

 

Als sie ankommen und er gehen will, nötigen sie ihn, zu bleiben. Als sie dann abends zusammen sitzen und miteinander essen, bricht er das Brot, dankt und gibt es ihnen. So wie es Jesus zu Lebzeiten getan hatte. Da erkennen sie plötzlich in diesem fremden Dritten den auferstandenen Christus selbst.

 

Ihr Herz brennt! Weit weg von Jerusalem, abseits vom vermeintlichen Ort der Entscheidung, schöpfen sie neue Kraft und neue Hoffnung. Sie brechen noch nachts auf – es zieht sie zurück nach Jerusalem. Sie finden die Elf (gemeint ist keine Fußballmannschaft sondern die anderen Jünger!) und rufen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden – der christliche Osterruf bis heute.

 

Sie könnten auch gesagt haben: „Schön, wieder da zu sein!“

 

Der Ort der Niederlage löst keine Angst mehr aus. Sie sind innerlich gestärkt, können ihr Leben mit neuer Energie fortsetzen. Sie können Jerusalem sogar verlassen mit dem Gottvertrauen, dass die Geschichte Jesu hier nicht zu Ende ging, sondern ein neuer Anfang gemacht wurde. Die Freude über die Auferweckung breitet sich von hier aus! Es ist etwas passiert auf dem Weg nach Jerusalem zurück, was nur schwer zu erklären ist: Sie sind – in Reportersprache gesprochen – gestärkt aus einer Niederlage hervorgegangen!

 

 

  • Wie war’s denn im Wembley?

„Wie war’s denn in Wembley?“ wurde ich oft gefragt.

„Es war gigantisch!“ habe ich immer gesagt. Mein Herz brannte – um‘s biblisch zu sagen.

„Aber Ihr habt doch verloren?“

„Jaaaa?!??!“ – So kann nur einer fragen, der noch nicht dazugehört… Und dann habe ich erzählt von einem Ort der Niederlage, an dem ich so viele verrückte Geschichten vor und nach dem Spiel erlebt habe, Menschen getroffen und kennen gelernt habe. Wo viele tausend Schwarz-Gelbe „True Love“, „Echte Liebe“ zu unserem Verein, unter die Engländer gebracht haben.

 

Ich habe einfach davon erzählt. Man hat mir abgenommen, dass zwar die Niederlage nicht wegzudiskutieren ist, aber das Erlebnis paradoxerweise meine Bindung an den BVB gestärkt hat.

 

Ähnlich ergeht es den Jüngern, sogar weit existentieller um die Wendung ihres Lebens an sich. Selbst der Tod soll keine Macht mehr haben! Das schafft der Fußball nicht.

 

Aber Fußball und Glaube haben gemeinsam, dass die jeweilige Bedeutung dann entsteht, wenn drüber erzählt wird, so wie ich über Wembley erzählt habe und heute die Emmaus-Geschichte erzähle. Was man erlebt hat, gehört einfügt in eine Erzählgemeinschaft: die Erinnerungen, jede kleine Geschichte, Siege und Niederlagen gehören geteilt.

 

Norbert Dickel sagt über den Pokalsieg 1989: „Berlin hat mein Leben verändert.“

Auch ich erinnere mich noch, wie die Flanke kommt, wie sich Norbert frühzeitig zum Ball stellt und den Ball dann so trifft, wie es physikalisch eigentlich gar nicht geht … 3:1!

 

Aber das ist es ja nicht: dass er einen runden Lederball mit seinen Füßen zweimal zwischen zwei Pfosten hindurch geschossen hat. Sondern dass diesem Ereignis eine so große Bedeutung zugemessen worden ist und jeder davon erzählt hat: Der erste Pokalsieg seit 1965! Die schwarz-gelben Bananen! Das fit gespritzte Knie!

 

Bei Ostern ist es ähnlich: Die Erinnerung in einer großen Erzählgemeinschaft wie einer christlichen Gemeinde macht Ostern erst lebendig. Sie ruft Gott in Erinnerung und stärkt damit unsere Hoffnung auf unser Leben und sogar über unser Leben hinaus.

 

  1. Schön wieder hier zu sein (II)

Wir danken zum Saisonende Gott dafür, dass wir tolle Fußball-Erlebnisse hatten. Dass viele Menschen mir ihrer Rücksicht und ihrer Toleranz dazu beitragen, dass man bei uns sicher ins Stadion gehen kann. Und dass alle, die das nicht wollen, Schranken aufgezeigt bekommen.

 

Ich bin dankbar dafür, dass ich in Freiheit lebe und viele so viel Zeit, auch Geld, für Fußball verwenden kann. Donezk, Charkow, Liew – erst vor kurzem haben wir europäisch gegen Mannschaften aus der Ukraine gespielt, wo die Menschen nun Krieg fürchten. Mit zeigt das, dass der Fußball die schönste Nebensache der Welt ist, nicht mehr, nicht weniger. Insofern ist der Fußball nicht alles, aber er kann uns sensibel machen für die Nöte andere, weil er Menschen und Nationen zusammenbringt.

 

„Schön wieder da zu sein“ – ich verstehe dieses Motto daher auch in dem Sinne: Schön, dass wir uns hier in der Kirche zusammenfinden: um Gott zu danken für die Lebensfreude und die Bereicherung, die uns der Fußball verschafft.

 

Wir brauchen nicht für den Pokalsieg zu beten – da haben unsere Jungs gut trainiert.

 

Aber ich bin mir sicher: Auch Gott weiß: München mag näher an Rom liegen. Dortmund aber näher am Herzen.

 

Schön, wieder da zu sein: Und wenn wir einmal wieder da sind, dann holen wir auch den Pott! Amen.