Auf einer Postkarte zur Predigtreihe „Worüber ich schon immer eine Predigt hören wollte“ stand: Warum fällt es schwer, ein offenes Bekenntnis zu Jesus Christus abzulegen? Wo liegt die Antwort? Ich suche!
Predigt – Wiblingwerde, 14. So. n. Tr. (5.9.2010)
Warum fällt uns das Bekenntnis zu Jesus Christus so schwer?
Wem fällt das schwer? Dem Einsender, also einer Einzelperson? Uns, also der Kirchengemeinde, den Christen allgemein? Oder im Speziellen: Uns Predigenden?
Was ist ein offenes Bekenntnis? Ein Bekenntnis mit geöffnetem Herzen, also ein „herzhaftes“ Bekenntnis? Ein direktes, gerade heraus? Oder ein offenes Bekenntnis im Sinne eines „öffentlichen“?
Mit dem wöchentlichen Sprechen eines alten Glaubensbekenntnisses („Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn…“) scheint es nicht getan. Es reicht wohl auch nicht die Namensnennung „Jesus Christus“. Das ist ja an und für sich schon Bekenntnis: „Christus“ – nicht der Hausname Jesu, sondern der Titel. Und ich pflege daher auch stets zu sagen: „Jesus, der Christus“. Er: Der Gesalbte. Er: der Messias.
Nein, es ist immer wieder ein „Suchbewegung“ – selbstredend auch für studierte Theologen.
- Warum fällt das Bekenntnis schwer?
Ich möchte mit Ihnen überlegen, aus welcher Sicht, als welcher Ecke heraus der Verfasser der Postkarte so denken könnte. Vielleicht gehört er in die ehrbarer Gruppe der Moralisten:
1.1 der Einwand der Moralisten lautet: Jesus hatte dich einen radikalen Anspruch an seine Nachfolger!
Tatsächlich: Jesus macht sich nach seiner Taufe auf den Weg. Er zieht nach von Galiläa nach Jerusalem, weil das Gottesreich nahe herbeigekommen ist. Er predigt Buße, er heilt. Rastlos und heimatlos: „Der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann.“
Er setzt alles auf eine Karte – und ruft bedingungslos in die Nachfolge: Komm mit, lass alles stehen. Sogar: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“
Wir als volkskirchliche Ortsgemeinde könnten uns dann schnell als die fühlen, die zu Hause bleiben, wenn Jesus sagt: „Folge mir nach!“
Es fällt uns tatsächlich schwer, uns zu diesem radikalen Jesus zu bekennen. Wir relativieren gerne, z.B.: Die Bergpredigt war eine Ethik für die Jünger damaliger Zeit, heute müsse man das nicht genau beim Wort nehmen – oder könne es gar nicht. Aber warum schreiben wir dann die Seligpreisungen an die Empore unserer Kirche?
[Der Einwand der Frommen]
Vielleicht fragt der Postkartenschreiber aus der frommen Ecke heraus: Es steht doch alles geschrieben und muss nur gesagt und gelernt werden: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren sind, sondern das ewige Leben haben.“ (Joh 3,16)
Warum fällt es so schwer, das zu bekennen?
Und dann – überspitzt gesagt – wird die Predigt daran geprüft, ob solche Sätze möglichst jedes Mal vorkommen: dass Jesus für mich gestorben ist. Dass er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. – Auch die Liberalen oder Fortschrittlichen haben solche Lieblingssätze. Jeder Prediger hat sie.
Diese Sätze sind auch „wahr“. Aber: Um die Wahrheit solcher Verse und Sätze muss immer wieder neu gerungen werden. Sie müssen „über-setzt“ werden in unser Leben heute. Sonst bleibt es beim bloßen Schlagabtausch von Glaubenden und Nichtglaubenden, wie zuletzt in London, wo sich Christen und Atheisten ihre Glaubenssätze um die Ohren schlug: Die einen schickten Busse durch die Straßen mit der Aufschrift „Jesus lebt“, die anderen Busse mit dem Slogan „Gott ist tot“. – Da fällt das Bekenntnis tatsächlich schwer!
[der Einwand der Feminstin]
Vielleicht kommst die Postkarte auch aus dem feministischen Lager: Der Einwand dort lautet: Warum tun wir uns mit Christus immer so schwer, indem wir fast ausschließlich über Kreuz und Sühne, Blut und Tod reden? Verlangte Gott wirklich ein Menschenopfer, um seinen Zorn zu besänftigten? Warum reden wir nicht über das Leben Jesu – sondern vorrangig über seinen Tod?
In den letzten Jahren ist eine heftige Debatte ausgebrochen, inwieweit wir vom Gedanken des Sühnetod Abschied nehmen sollten. Oder wie man das Opfer Jesu heutzutage verstehen kann: Verengt der Blick auf Leiden, Tod und Sterben Jesu das Christus-Bekenntnis?
Überhaupt, so könnte man aus feministischer Sicht fragen: Was haben die Herren Bischöfe schon wenige Jahrzehnte später aus Jesus gemacht? Sie begannen, ihr Bischofsamt abzusichern, indem sie behaupteten, Jesus hätte es „gestiftet“. Sie stritten um politische Macht und konstruierten religiöse Kompromissformeln, über die wir uns heute den Kopf zerbrechen: Jesus Christus – wahr Mensch und wahrer Gott?! Wie ist das zu verstehen? Was gehört hier noch zum geglaubten Christus der Jünger nach Ostern, was zum historischen Jesus selbst?
[Der Einwand der religiös Distanzierten]
Vielleicht wendet sich der Postkartenschreiber auch an die religiös Distanzierten, die sich nicht festlegen wollen, oder an die Suchenden, die sich nicht festlegen können: Was bringt mir die Vorstellung, dass Gott Mensch wurde? Ich habe schon Schwierigkeiten zu glauben, dass es Gott wirklich gibt – und dann noch Jesus?
Jesus, heißt es oft, war ein charismatischer Mensch, der viel Gutes getan hat. Aber zu glauben, dass er göttlicher Natur war, dass er allein Gott offenbart hat – das ist zu exklusiv – und zu kompliziert. Gott kann man auch in der Natur finden.
Und steht nicht das Bekenntnis zu Jesus als Christus dem Dialog mit Juden und Muslimen im Weg? In diesen Religionen ist Jesus nicht der Messias, sondern ein Prophet.
Tatsächlich: Wer so denkt, dem fällt das Bekenntnis zu Jesus schwer.
- Die Begriffsstutzigkeit der Jünger (Mk 8.27-9,1)
Liebe Gemeinde,
aus welcher Ecke wir auch denken und auf Einwände stoßen: Gott sei Dank sind wir in guter Gesellschaft! Selbst die Jünger, die Jesus von Galliläa nach Jerusalem begleiten, erkennen nicht, wer er ist. Außer: Petrus.
Mk 8,27ff.: Das Bekenntnis des Petrus
Und Jesus ging fort mit seinen Jüngern in die Dörfer bei Cäsarea Philippi. Und auf dem Wege fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Wer sagen die Leute, daß ich sei?
28 Sie antworteten ihm: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer; einige sagen, du seist Elia; andere, du seist einer der Propheten.
29 Und er fragte sie: Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei? Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Du bist der Christus!
30 Und er gebot ihnen, daß sie niemandem von ihm sagen sollten.
Petrus nennt Jesus den Christus. Den Gesalbten. Das war in jüdischen Augen: der Messias. Es ist heute klar, dass Jesus kaum einen Titel selber im Mund führte, dem ihn die Evangelisten zugemessen. Auch in der Begegnung mit Petrus bestätigt er das Bekenntnis nicht, sondern fordert die Seinen zum Schweigen auf.
Die Menschen am Weg von Galiläa nach Jerusalem sollen ihn sehen, ihn hören, seine Taten merken und wie er ihr Leben verändert. Sie sollen Jesus begegnen – und damit Gott ganz neu sehen. Unabhängig von „Titeln“.
Erst vor dem Hohen Rat, als die Hohepriester Jesus fragen, „bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten?“, da antwortet Jesus lapidar: „Ich bin’s!“ Und Petrus bekommt daraufhin kalte Füße und verleugnet Jesus.
Entscheidend für mich ist: Die Menschen am Weg von Galiläa nach Jerusalem sollen Jesus sehen, hören, seine Taten spüren – und so Jesus als den Christus erkennen. Sie sollen merken, dass ihn ihm Gott selber sich den Menschen zuwendet.
Vor dem Bekenntnissatz zu Jesus als dem Christus stehen also die Begegnung und die Erfahrung, dass Jesus in meinem Leben vorkommt. Dass er auch meine Wege kreuzt. Martin Niemöllers hat das in die Frage gekleidet: Was würde Jesus dazusagen? Testen Sie das mal für ihr Verhalten und Ihre Entscheidungen in allen Lebensbereichen durch, indem Sie sich diese Frage stellen: Was würde Jesus dazu sagen?
Jesus hat zwischen Galiläa und Jerusalem alle Facetten des Menschseins durchlebt. So wie Petrus Erfahrungen macht und plötzlich schaltet, genauso kann sich in unserem Leben Jesus als der Christus bewahrheiten.
- Was könnte das Christus-Bekenntnis heute sein?
Was ist mir persönlich wichtig?
Jesus, der Diener (Mk 10,45)
In den Evangelien wird Jesus das Wort in den Mund gelegt (und wahrscheinlich ist es eines der wenigen echten Jesus-Wörter): „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sei Leben zu einer Erlösung für viele. (Mt 20,28 par.)
Jesus sagt dieses Wort, als die Mutter der Zebedäus-Söhne ihn fragt, ob ihre Söhne denn im Himmelreich zur Rechten und Linken Christi sitzen würden. Sie sorgt sich, wo ihre Kinder bleiben. Ob es da einen Lohn für die Nachfolge gibt. Der Einsatz muss ich ja auszahlen. Das Risiko, sich Jesus anzuschließen, muss ja irgendwie rückversichert werden.
Jesus sagt: Wer groß sein will, wer vorne mitlaufen will, der soll dienen. Wer unbedingt der erste sein will, der soll der erste darin sein, dem anderen ein Knecht („Helfer“, „Diener“) zu sein.
Vorne dabei sein, ist nicht oben! Erfolg hat nicht, wer möglichst Macht über den anderen hat, sondern wer ihm hilft!
Jesus dreht die Herrschaftsverhältnisse für seine Nachfolger komplett um – und fängt bei sich an. Er ist vom Vater gesandt, daher dient er. Er lässt sich nicht „bedienen“. Tatsächlich steckt im neutestamentlichen Dienstbegriff, der „Diakonie“, das alte Bild vom Schankwirt. Jesu ist der Kellner, der dient, nicht der Gast auf Erden, der bedient wird.
Nach diesem Bild baut sich besonders MtEv die Gemeinde auf: Sie ist die Dienst-Gemeinschaft. Sie hat die Schwachen und Armen in ihrer Mitte.
Sie gibt sich mit Jesus Christus in ihrer Mitte andere Gesetze als in der Welt: nicht das Gesetz des Herrschens, eines Oben und Untens, sondern Christi Gesetz ist erfüllt, wenn wen einer des anderen Last trägt. Im Gal steht nicht: Wenn einer dem anderen ein Bein stellt!
Kirche im Sinne Jesu kann nie um sich selbst kreisen, nie sich selbst genügen, sondern ist immer „Kirche für Andere“. Das gilt, auch wenn wir häufig dran scheitern. Wenn uns nun drei Jahrzehnte lang gebetsmühlenhaft erklärt wurde, dass zuerst das Ich zählt und die eigene Konkurrenzfähigkeit. In allen Lebensbereichen. Bis hin in unsere Familien und Beziehungen.
Für Jesus geht das Dienen, der Dienst, soweit, dass er dafür sein Leben lässt. Dass er sich „aufopfert“ – Ich glaube, so können wir Opfer verstehen: dass Jesus sich selbst gab aus Hingabe zur Welt. Nicht, dass Gott dieses Opfer brauchte, um versöhnt zu werden. Die Bibel sagt es ja ejer umgekehrt: Nicht versöhnte Gott sich mit der Welt, sondern er versöhnte die Welt mit sich, indem er Jesus sandte.
Liebe Gemeinde,
es gibt kurze Christus-Bekenntnisse: den Fisch am Auto, die Rose am Kirchengewölbe, das Kreuz am Hals. Aber diese Bekenntnisse müssen Leben bekommen, über die Äußerlichkeiten hinweg.
Der verstorbene rheinische Präses Peter Beier hat mal auf eine Pfarrkonvent gesagt – und ich denke, dass gilt nicht nur Pfarrinnen und Pfarrer, sondern für alle Getauften:
„All euer Dienst beginnt mit: Einer ging von Galiläa nach Jerusalem.“
Das heißt doch: Konzentriert Euch auf diese Geschichten! Erzählt immer wieder neu, was hinter Euren Bekenntnis-Sätzen für Erlebnisse und Erfahrungen mit Jesus, dem Christus, stehen! Befragt die Menschen und Orte, an denen Ihr lebt – und auch Eure Kirchengemeinde – mit der schlichten Frage: „Was würde Jesus dazu sagen?“
Einer ging von Galiläa nach Jerusalem: ein faszinierender Mensch. Ganz wie wir: ein Mensch. Und gleichzeitig ein von Gott Gesandter und Diener, der seinen Weg bis zum Ende ging.
Zeichnet Euer Leben ein in diesen Weg zwischen Galiläa und Jerusalem – und lasst Euch selber von ihm in den Dienst rufen. – Wer und wie wäre Gott-Vater ohne dieses Geschichte?
„All euer Dienst beginnt mit: Einer ging von Galiläa nach Jerusalem.“
Das ist jetzt kein offenes Bekenntnis im eigentlichen Sinne. Es ist eher der ständig neue Beginn einer Suche. Fromm gesagt: der „Ruf“, sich auf den Weg zu machen – und dann wie Petrus, nach vielen Eindrücken und Erfahrungen an einem Punkt, mitten auf dem Weg, klare Sicht zu finden: „Du bist Christus.“
3.1 Jesus, der Jude
Für mich ist das Bekenntnis zu Jesus, dem Juden, wichtig geworden. Mir ist eben nicht nur das Sterben und Leiden Jesu am Kreuz wichtig, nicht nur die Auferstehung, sondern sein Leben. Seine Herkunft. Seine eigene Religion und Gottesbeziehung, die er schon auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem an so vielen Stellen mit den Menschen teilt – und mit der er bei den Vornehmen und Gelehrten seiner Religion aneckt.
Jesus stellt den Menschen Gott neu vor. In einer Weise, wie Gott damals lange nicht mehr gesehen wurde: als naher, vergebender, liebevoller Gott. Jesus nennt ihn „Abba“, „Väterchen“ – ein Skandal.
Jesus nimmt uns als Christen hinein in die Verheißungen und Heilstaten Gottes mit Israel. Mit Blick auf Jesus, den Christus, können wir sagen: Auch uns gilt Befreiung, wie Israel befreit wurde aus der Knechtschaft. Uns gilt Beistand in schweren Momenten wie dem erwählten Volk in der Wüste. Auch uns gilt der unauslösliche Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden, die sie küssen.
Jesus öffnet die Schätze für das Alte Testament – und gleichzeitig ist er Kritiker der Religionsführer seiner Zeit, die sich Gott für ihre Zwecke zurechtlegte.