[Ein feste Burg ist unser Gott wird auf einer kleinen Spieluhr eingespielt.] Wie lieblich es klingt … So passt es gar nicht zu einer stattlichen Burg (Burg Altena): Wehrhaft, mächtig, angsteinflössend. So klingt es eher wie ein Wiegelied…
Predigt – Luther-Kirche Altena
Zum Mittelaltermarkt 1.8.2010
Ein feste Burg ist unser Gott (#EG 362)
So passt es gar nicht die Wirkungsgeschichte dieses Liedes: Kein Reformationsfest ohne „Ein feste Burg“. Ein Lied, das oft missbraucht wurde: Auf Konfirmationsscheinen im 1. Weltkrieg zum Beispiel, 1917, zum 400. Reformationsjubiläum: oben das Eiserne Kreuz, „Gott mit uns“, Trommel, Helm und Gewehr, die Einsegnung der Kriegsfreiwilligen. Ein deutscher Ritter, mit Schwert und Schild, darauf der Reichsadler. Und darunter: ein markiger Lutherkopf und der Schriftzug „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen.“
Oder als Kampflied – selber im Nationalsozialismus. Am 31. Oktober 1945 sagte ein deutscher Bischof: „Wir haben genug vorn Kämpfen. Ich kann dieses Lied nicht mehr singen.“
Was Luther wohl zu unserer Weise, wie wir es singen und hören, wie wir das Lied verstehen, sagen würde? Was ging ihm durch den Sinn, als er es dichtete?
II.
Erstmals wurde es veröffentlicht im Frühjahr 1529; geschrieben hat Luther es mit großer Wahrscheinlichkeit bereits im Herbst 1527. Was bewegt den Reformator damals, genau 10 Jahre nach dem Thesenanschlag?
Was ist eigentlich das bestimmende Thema des Liedes? Gott als Burg? – Gott als Zuversicht und Stärke? (Psalm 46) Womöglich! Aber vor allem dürfte Luther „alle Not, die uns getroffen hat“, vor Augen gehabt haben:
[„Große Not“ I:]
Luther leidet seit Mitte des Jahres an einem Nierenleiden, wohl etwas psychosomatisch: Die kirchliche und politische Lage geht ihm buchstäblich an die Nieren. Erstmals ist einer seiner Anhänger, Leonhard Kaiser, in Passau auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Sollte die deutsche Reformation enden wie in Prag, wo ein Jahrhundert vorher der Reformator Jan Hus ermordet wurde? Luther schreibt an seinen Freund Johann Agricola:
Gnade und Frieden in Christo! Ich danke Dir, mein lieber Agricola für den Trost, den Du mir dadurch gespendet hast, dass Du schreibst. Eure Gemeinde sei besorgt und bete für mich; der Herr tröste auch Euch in Eurer Anfechtung. Und ich bitte, laßt nicht ab, mich zu trösten: und für mich zu beten, „denn ich bin elend und arm“ (Ps. 86,1). (…) Der Satan wütet von selbst mit all seiner Macht gegen mich, und der Herr hat ihm mich, gleichsam als zweiten Hiob, zum Zeichen gesetzt und er versucht mich durch eine ungewöhnliche Schwachheit meiner Lebensgeister.
Luther zweifelt plötzlich an allem: War es das wert? Der Bruch mit der Kirche? So eine Eskalation? Es scheint, als ob er sich mitten im Kampf befände, zwischen Gott und Teufel. Als ob mit seiner – menschlichen – Macht nichts getan sei. Als ob die Welt vor Teufel wär‘.
Der sonst so statthafte, der kämpferische, der gewichtige Reformator – er wankt. Seinem Gemüt nach ist eher Spieluhr dran als Kampflied.
[„Große Not“ II:]
Und dazu kommen die Alltagssorgen der Familie. In Wittenberg geht die Pest um. Am 1. November 1957 schreibt er seinem Freund Nikolaus von Amsdorf in Magdeburg:
„Wie es dem Herrn gefällt, so geschieht es, mein lieber Amsdorf, daß ich, der ich bisher alle anderen zu trösten hatte, nun selbst allen Trostes bedürftig bin. (..) In meinem Hause ist allmählich ein Hospital entstanden. Hanna, Augustins Frau, hat die Pest in sich gehabt, kommt aber wieder auf. Margarethe von Mochau hat uns durch ein verdächtiges Geschwür und andere Anzeichen Angst gemacht, obwohl auch sie wieder gesund wird. Ich fürchte sehr für meine Käthe, die der Niederkunft nahe ist, denn auch mein Söhnchen ist seit drei Tagen krank, ißt nichts und fühlt sich schlecht. Man sagt es sei der Schmerz vom Zähnekriegen, aber man glaubt, daß beide in großer Gefahr sind.
Allagssorgen. Sie bringen alles ins Wanken. Und doch schimmert bei Luther in den nächsten Zeilen durch, was – wie es der Heidelberger Katechismus der Reformierten später formuliert – „der einzige Trost im Leben und im Sterben ist“, gerade angesichts der Zweifel, der bösen Mächte. Er schreibt, wer dem Satan, dem Teufel die Stirn bieten kann:
So sind äußerlich Kampfe, innerlich Angste, und sehr bittere. Christus sucht uns heim. Ein Trost bleibt, den wir dem wütenden Satan entgegensetzen, daß wir wenigstens das Wort Gottes haben um,‘ die Seelen der Gläubigen zu retten, wenn er auch die Leiber verschlingt. Darum befiehl uns den Brüdern und Dir selbst, daß Ihr für uns betet, daß wir die Hand des Herrn tapfer ertragen und des Satans Macht und List besiegen, es sei durch Tod oder durch Leben‘ (Phil 1,20), Amen.
Wittenberg, am Tage Allerheiligen, im zehnten Jahr, nachdem der Ablass zu Boden getreten ist zu dessen Gedächtnis wir in dieser Stunde trinken ganz und gar getröstet, 1527.
In diesen Wochen schreibt Martin Luther „Ein feste Burg ist unser Gott“. Erfahrungsgesättigt. Zweifelnd, und gleichzeitig so wortmächtig. Ein Trotz- und Trutzlied – und triumphal darin, dass Gott zur Hilfe eilt, was auch immer geschieht. Ein Lied der leisen Töne [Spieluhr].
Martin Luther – ein mittelalterlicher Mensch zwischen Gott und Teufel. Mitten hinein geraten in den Kampf zwischen Gott und Teufel, weil er den gnädigen Gott überhaupt erst wieder als Widersacher des Teufels neu entdeckt hat. – Es ist ja Legende, dass er mit dem Tintenfass nach dem Teufel warf – aber genauso stelle ich es mir vor: „Teufel, du kannst mich mal … Ich lass mich von Dir nicht unterkriegen! Denn Gott ist meine Burg!“
III.
Können wir das heute so nachsprechen? – Oder: Sind wir nicht eher dazu angehalten, so schroffe Gegensätze zwischen Gott und Teufel möglichst zu vermeiden? Wie gesagt: Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde dieses Lied nicht von ungefähr missbraucht. Es unterscheidet so schlicht und einfach zwischen Gut und Böse.
Und: Haben wir heute noch solche Teufelsvorstellun-gen? Oder ein Weltbild, als ob das Heil oder Wehe der Welt / im Kampf zwischen Gott und Teufel geklärt wird? – Wie ist es mit unserer Vorstellung eines Gottes Zebaoth? – Der Zeboath ist eigentlich der Kriegsführer. Haben wir ein Gottesbild von einem gegen seine Widersacher militärisch kämpfenden Gott?
Dieses Lied ist kein Lied fürs Rechthaben – nicht der Mensch hat zu entscheiden, welche Kräfte göttlich sind und welche Kräfte die Achse des Bösen bilden. Nein: Dieses Lied animiert uns dazu, neu hinzuhören und zu vertrauen: dem Vater Jesu, der angesichts der erlebten Anfechtung sich als Burg zeigt, als Zuversicht, als Hilfe.
Das Lied kann ich gut als Spieluhr-Lied hören. Kein Triumpflied, mehr ein Trostlied: Es ist ein Lied für kranke, angefochtene, mitleidende, traurige Menschen, weil es geschrieben wurde von einem, der krank, angefochten, mitleidend und traurig war.
Dieses Lied schlägt eine Brücke von den Leid-Erfahrungen dieser Welt zu dem Mann, „den Gott hat selbst erkoren“:
- Mit unserer Macht ist nichts getan / wir sind gar bald am Ende / es streit für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren / Fragst Du wer er ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein anderer Gott. Das Feld muss er behalten.
Der Herr Zebaoth kommt nicht militärisch-triumphierend ins Spiel, der dem Teufel eins auswischt. Sondern: Der Herr der himmlischen Heerscharen ist greifbar und nah in Christus, dem Gekreuzigten. Der hat selber auf Golgatha alle Höllenqualen erlitten und gottverlassen geschrieen hat. In diesem gottverlassenen Jesus begegnet der Herr Zebaoth. In ihm kann sich Martin Luther wieder finden – in seiner Lebensnot.
Hier liegt der Vergleichspunkt: in diesem Herrn Zebaoth, der zu uns in die Tiefe kommt. In die Nöte heute. In gewisser Weise ist die Welt ist „voll Teufel“: voller teuflischer Computern, die Menschen programmiert haben, um die Finanzmärkte zu steuern; voller teuflischer Bohranlagen, die Menschen in immer größeren Tiefen richten, um das zu Neige gehende Öl zu holen. Voller teuflischer Sorglosigkeit, die bei der Loveparade Menschenleben gefordert hat. Die Welt ist voller teuflischer Krankheiten, die uns treffen können …
Es geht nicht um die Frage, ob der Teufel spitze Ohren hat. Entscheidend ist doch, ob wir es uns heute, „selbst wenn die die Welt vor Teufel wär“‘, resignieren, abstumpfen, traurig werden. Oder ob wir es uns leisten können, uns nicht zu fürchten. Ob wir es uns trösten und aufrichten lassen.
Ob wir nicht trotz, sondern in allen Nöten einem Gott trauen, der – wo wir wanken – eine Burg wird. Der – wo wir zweifeln – eine Zuversicht wird.
IV.
Ein feste Burg ist unser Gott … – Ein Trostlied. Es darf auch leise und zögerlich erklingen. [Spieluhr] Hinhören sollen wir – auf das tröstende Wort Gottes, Mensch geworden, uns nahe gekommen in Jesus, dem Christus. Und trotzig es heraus posaunen: „Das Feld muss er behalten.“