Maßband anlegen (Konfirmation 2010 zu Hebr 10.11)

 

„Endlich geschafft!“ – dieser Gedanke mag vielen von euch heute im Kopf herumgehen. Seit gut eineinhalb Jahren habt ihr euch gemeinsam auf diesen Tag vorbereitet. Und jetzt – jetzt ist er da. Und wir können auf unseren gemeinsamen Weg zurückschauen.

Predigt Konfirmation – 2. Mai

Vom Kopf zum Herzen (Hebr 11-12)

[von der Kanzel herab: Überdimensionales Maßband mit Ziffern und zwischendurch Stationen wie: Start, Gemeinschaft, Zehn Gebote, Praktikum, Freizeit, …]

 

Vor etwa 18 Monaten wart ihr hier auf dem „Start“-Zettel. Und dann ging es über die ganzen Punkte bis zum heutigen Tag, bis zu dem Zettel, wo „Konfirmation“ draufsteht. Ein langer Weg. Das Ziel scheint erreicht – mit Blick auf den Konfirmandenunterricht ist es auch so.

 

Aber wenn ich den Sinn und Zweck unseres gemeinsamen Weges betrachte, stimmt es nicht. Bewusst fehlt auf dem Maßband das „Ziel“.

 

Ich möchte sogar behaupten, dass wahrscheinlich der weitaus größte Teil des Weges noch vor euch, vor uns liegt.

Ich werde euch den Weg genau abmessen: … so, das sind exakt 36 cm. In Wahrheit die längsten 36 cm der Welt.

 

(Maßband anlegen zwischen Kopf und Herz). Kopf und Herz sind bei mir etwa 36 cm voneinander entfernt sein. Ein kleiner Schritt. Eine lächerliche Entfernung – für meine Füße. Aber die Distanz von meinem Kopf zu meinem Herzen kann dauern.

 

 

II.

Vielleicht ging euch das im Konfi-Unterricht hin und wieder genauso. Wir haben einigen Stoff durchgekaut! Einige ältere Gemeindeglieder haben mich in den letzten Wochen gefragt: Lernen die heute denn noch etwas, so voll wie sie in der Schule schon gestopft werden? – Ja, ihr habt gelernt, auch Wissen. Aber ich hoffe vor allem: Dass Euch die Sache mit Gott vom Kopf ins Herz gegangen ist und geht.

 

Hebr 11: „Der Glaube ist eine feste Zuversicht auf das, was man hofft.“ Da steht nichts davon, dass es beim Glauben ums Wissen geht.

 

Der Glaube ist eine Sehhilfe – die man nicht nur auf die Nase setzt, sondern eher wie ein Stetoskop ans Herz hält.

 

Im Hebr ist der Glaube das Vertrauen, dass Gott mit jedem Menschen etwas Besonderes vor hat. Und dass jeder mit dafür verantwortlich ist, dass die Sache Gott weitergeht.

 

Zahlreiche Namen werden genannt: der gottesfürchtige Abel. Henoch, der durch seinen Glauben vom Tod gerettet wurde. Noah. Abraham und sein Glaube an die Verheißungen Gottes. Sara seine Frau. Schließlich Jesus von Nazareth, der uns den Weg zu Gott gewiesen hat.

 

Wir alle setzen diesen Glaubensweg fort. Eure Konfirmanden-Zeit ist zu Ende, aber ich bin sicher: nicht Euer Weg, was das Fragen und Suchen angeht, woran Ihr Euer Leben hängen wollt, was so Euch wichtig ist, dass es im Leben und Sterben Halt gibt.

 

Wir alle setzen diesen Glaubensweg fort: Nicht von ungefähr haben wir vorhin alte Bekenntnisworte aus dem 6. Jhd. gemischt mit Euren eigenen Worten. Zwei Jahrtauende lang haben Menschen Erfahrungen mit Gott gemacht – das ist ein unvorstellbarer Schatz, von dem wir alle nehmen dürfen: von den Erfahrungen Abrahams, vom Jesus, dem Christus, aus dem Taufbekenntnis des 6. Jhd., von den Gedanken Martin Luthers, von den Liedern Paul Gerhardts, der Widerstandskraft Dietrich Bonhoeffers usw.

 

Aber: Genauso braucht Ihr Euer eigenes Herz und das Hören darauf, was Gott mit Euch vorhat.

 

Der Weg vom Kopf zum Herz – die wohl längsten 36 Zentimeter der Welt – aber: Ihr werdet merken, dass auf diesem Weg buchstäblich Leben ist. Bei allen Personen, die im Hebräerbrief genannt werden, hat Glauben etwas mit dem Leben zu tun. Es wird berichtet von Menschen in ganz alltäglichen Lebenssituationen. Und plötzlich wird ihr Leben durch Gott durchbrochen. Als sie sich auf Gott einlassen, verändert sich ihr Leben heilsam. Sie bekommen festen Halt unter die Füße, weil ihr Leben auf Hoffnung fußt. Sie bekommen eine klare Sicht.

 

III.

Ich weiß, dass viele Menschen heute sagen: „Gott und Glaube sind mir wichtig. Aber dafür brauche ich die Kirche nicht.“ Durch die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und durch den Umgang damit, heißt es jetzt noch öfter: „Die Sache mit Gott mache ich lieber mit mir alleine aus.“

 

So wie Ihr mich kennengelernt habt, wisst Ihr, dass ich das anders sehe: Glaube ist etwas Intimes, aber nicht unbedingt nur etwas Privates. Eure Kirchengemeinde bemüht sich, für Euch ein Ort zu sein und zu bleiben, wo wir gemeinsam unseren Glaubensweg suchen.

 

Aber eins ist klar: Wenn man gemeinsame Glaubenswege in einer Gemeinschaft geht, ist das hochsensibel und hat mit immensem Vertrauen zueinander zu tun. Gemeinschaft kann auch scheitern. Unsere Kirchen können gar nicht anders gedacht werden als Orte, an denen auch Fehler gemacht werden.

 

Aber genau diese Erkenntnis trifft für uns Protestanten den Kern des Glaubens. Wir stehen ja immer im Ruf, dass wir zu viel von Schuld und Sünde reden und den Menschen kleiner machen, als er ist. Mag sein, aber mein Glaube hat eben damit zu tun, dass ich zu aller erst von der Gnade und Liebe Gottes abhängig bin. Und dass ich gleichzeitig darauf vertrauen kann, dass Gott mir jeden Tag neue Möglichkeiten schenkt – trotz meiner Schuld und meiner Begrenztheit.

 

Diese Erkenntnis macht Gemeinschaft erst möglich: keine Hierarchien, wenn es um Glauben geht; Ehrlichkeit und Verlässlichkeit, wenn es um das Miteinander geht; ein klares Bewusstsein für unsere Selbstbeschränkung und Schuld, gerade wenn es um die Beziehung zu Gott geht.

 

Ich möchte euch also Mut machen, das Thema Glaube nach der Konfirmation nicht einfach in eine Schublade zu stecken und zu denken: „Das hol‘ ich wieder raus, wenn ich fünfzig bin.“ Wartet nicht so lange. Sondern geht jetzt auf die Entdeckungsreise vom Verstand zum Herzen – und schaut nach Orten und Momenten, wo gemeinsam mit Anderen besser unterwegs ist als allein!

 

Wir bieten Euch an, diese Entdeckungsreise auch in dieser Gemeinde fortzusetzen. Viele gehen diesen Weg nämlich mit, Jüngere und Ältere. Alle sind auf dem gleichen Weg. Denn nur weil wir ein bisschen älter sind als ihr, sind wir deswegen an diesem Punkt auch nicht gescheiter.

 

Endlich geschafft? – Ich denke nein, wenn es um diese längsten 36 cm der Welt geht. Der Weg bleibt offen!