DK: Gott will mit uns die Erde verwandeln – so haben wir diesen Gottesdienst überschrieben: Eine Verheißung, die einem buchstäblich den Atem verschlagen kann!
Predigt – Einführungsgottesdienst, 1. So. n. Trinitatis 2008
Gott will mit uns die Erde verwandeln (EG 432,3) zusammen mit Gerald Becker
Gerald (unterbrechend von hinten):
[Singt Lied von den Hollies vor sich hin.]
Dietmar Kehlbreier:
Hey, was singst du denn da schönes? Hört sich nett an.
Gerald Becker:
Übersetzt das Lied. Und erzählt, dass das Leben schön sein kann und eigentlich alles easy und im grünen Bereich ist.
Dietmar Kehlbreier:
Das freut mich für dich. Aber sag mal: Du hattest doch in den letzten beiden Wochen 12 Beerdigungen. Kommst Du da nicht außer Atem? Oder machst Du Dir mit Deinem fröhlichen Lied nicht etwas vor?
Gerald Becker:
Da hast du sicher Recht. Der Pfarrberuf, und nicht nur dieser ätzende Talar, die Geschichten und Nöte der Leute, das nimmt mir schon oft den Atem.
Dietmar Kehlbreier (singend):
Gott gab uns Atem damit wir Leben…
Gott gab uns Atem. Darüber lass uns mal nachdenken!
Predigtteil Gerald Becker
Liebe Gemeinde, ich bin ja aktiver Schwimmer. Daher ein Impuls aus diesem Bereich.
Stell dir vor, ein Freund von dir würde behaupten, er könne weiter tau-chen als jeder andere in seinem Bekanntenkreis. Weil du aber davon überzeugt bist, dass du mit ihm mithalten kannst, forderst du ihn zu einem Wertrauchen heraus.
Die Nachricht von diesem Wettstreit verbreitet sich wie ein Lauffeuer, und schon seid ihr von einer johlenden Menge umgeben, die dem Spek-takel beiwohnen will.
Vor euch liegt der 50 Meter lange, leere Swimmingpool. Weil du der Herausforderer bist, musst du als Erster ins Becken. Sieger soll sein, wer die längste Wegstrecke zurücklegt, ohne zum Luftholen auftauchen zu müssen. Nach einem beherzten Absprung gleitest du in das angenehm frische Wasser hinein. Auf den ersten Metern sind die Lungen noch prall mit Sauerstoff gefüllt, den du vorher in tiefen Zügen ein-gesogen hast. Aber schon nach einem Drittel der Strecke wird die Luft knapper. Obwohl du dir vorgenommen hast, mindestens 50 Züge unter Wasser zu machen, um möglichst am anderen Beckenrand anzuschla-gen, bevor du wieder auftauchst, setzt schon jetzt die erste Ermüdung ein. Nur mit eisernem Willen zwingst du dich dazu, noch einen weite-ren Schwimmzug zu machen; dann noch einen. Noch immer ist das andere Ende der Bahn nicht zu sehen:
Als deine Lungen schließlich zu bersten drohen, machst du einen letz-ten langen Zug Lind tauchst dann nach Luft ringen.
Den anerkennenden Beifall der Freunde bekommst du nur am Rande verschwommen mit, wahrend sich dein Puls ganz allmählich den Weg zurück in die Normalität zu bahnen sucht.
Wer schon einmal im Wasser eine solche Kraftanstrengung unternom-men hat, der weiß die ersten Züge frischer Luft danach sehr zu schät-zen, denn ohne diese beständige Zufuhr an Sauerstoff ruft unser Körper schnell den Notstand aus!
Ein Lied von Marie Barnett verwendet eine ähnliche Metapher, um die Abhängigkeit von Gottes Gegenwart zu verdeutlichen. Sie sagt zwi-schen den Zeilen: Ohne seine Nähe fehlt mir der Sauerstoff zum At-men. Ich drohe im Smog der Gottesferne zu ersticken. Ich wünschte, wir würden uns viel früher für Gott öffnen und seine Nähe suchen!
Wir drohen schon kaputt zu gehen an dem Smog dieser Welt. Peking hält es uns auf drastischste Weise vor Augen. Wir gehen kaputt an den Dingen, die uns die Luft nehmen, Umweltkatastrophen, Klimawandel, Kriege, Terror, Hunger, Krankheit, Arbeitslosigkeit, politisch oder re-ligiöse Radikale, Armut, die ungewisse Zukunft unserer Kinder, Un-glaube, Ignoranz und Dummheit, unsere persönliche Arbeit….
Ist es da nicht zu einfach, zu sagen, dass bei Gott wieder frischer Atem getankt werden kann? Klingt dass nicht wie billige Vertröstung?
Doch natürlich! Aber was gibt mir dann Luft zu Atmen, wenn nicht die Verbindung zu Gott im Gebet und der Bibellese? Er ist für mich immer noch das einzig feste Element auf der Suche nach Hoffnung. Allen möglichen Mist probieren Menschen aus, um Hoffnung und erfülltes Leben zu finden.
Und es klingt fast zu einfach zu sagen, allein in Gott ist alles zu finden, was wir zum Leben brauchen. Aber es ist meine tiefe Glaubenserfah-rung, die selbstverständlich nicht frei von Tiefschlägen und Zweifeln ist.
Natürlich: In der Beziehung zu Gott braucht es einen langen Atem, das wir Gottes Wirken oft nicht sehen oder verstehen. Abraham ist mir da ein Vorbild. Gegen alle Widerstände in sich selbst, gegen alle Anfech-tungen und Prüfungen Gottes, gegen alle Logik, hält er an Gott fest und erfährt Gott immer wieder als Kraftquelle seines Lebens.
So möchte ich sein. Feste stehen in der Zeit und an dem Ort, da Gott mich hingestellt hat und darauf vertrauen, dass er mit mir und uns allen ist, um die Zeit, der er uns zugemessen hat, auf dieser Erde sinnvoll und gesegnet zu bestehn. Aber …
LIED: EG 432,1-3 wird gesungen
Predigtteil Dietmar Kehlbreier
[I.]
Ich wollte einmal die Welt verändern. Deshalb studierte ich und engagierte mich, deshalb studierte ich Theologie. Ich verschob es dann erst einmal auf morgen, denn als Student … Was kann man da schon bewirken?
Als ich Vikar wurde, wollte ich die Welt verändern: Denn ich kam in eine Gemeinde, in der frischer Wind wehte. – Und ich verschob das Welt-Verändern erst einmal auf morgen, denn als Vikar…
Als ich Pfarrer im Predigerseminar wurde, da dachte ich: Jetzt veränderst du weniger die Welt, als dass Du mithilfst, pastorale Weltveränderer auszubilden. Und in der Diakonie zuletzt – dort veränderte sich so wie so alles so rasch …
Welt verändern – das kommt dann, wenn du Gemeindepfarrer wirst… Und nun also gibt es in Altena zwei neue Gesichter. Und das Leitwort heute ist der Satz aus der 3. Strophe: „Gott will mit uns die Erde verwandeln“. Als ob sich unserer Welt – gerade in den letzten 20 Jahren – nicht schon genug verändert hat … Und in dieser Kirchengemeinde …
[II. Gott will]
Ganz entscheidend ist für mich, wer das Subjekt und der Inhalt der Veränderung ist: Gott hat den unendlich längeren Atem mit uns, als wir mit der uns anvertrauten Erde haben: Wir haben das gerade eindrücklich im Bild des Tauchers gehört. Die Überforderung könnte nicht größer, die Enttäuschung nicht tiefer sein, wenn wir nicht darauf trauten: Gott will mit uns die Erde verwandeln.
Es ist alles andere als selbstverständlich, Gott dieses Wollen und – vor allem – das Können zur Veränderung zuzutrauen.
Sicher, „Gott“ wird wieder häufiger und selbstverständlicher in den Mund genommen. Es wird wieder nach religiösen Traditionen gefragt. Aber so leidenschaftlich, wie einst Gottes Existenz bezweifelt wurde, so gleichgültig wird heute häufig seine Existenz vorausgesetzt – ohne damit zu rechnen, dass Gottes Atem unser wohl eingerichtetes Leben mächtig durchpusten kann.
Eine Studie hat neulich ans Licht gebracht, dass Kinder und Jugendliche / Gott nicht zutrauen, dass er in ihr Leben eingreift und ihnen z.B. in leidvollen Erfahrungen beisteht. Eine Zehnklässlerin sagt: „Wenn jemand stirbt, dann mach ich das doch mit mir aus und nicht mit Gott.“
Verdunstet Gott?
Ganz anders in diesem Lied, das die biblischen Gottesbilder aufgreift: Gott als Schöpfer, der nicht sich nach seinem Schöpfungswerk nicht abgewandt hat, sondern der – obwohl er erfährt, wie die Menschen untereinander und mit der Erde umgehen, verspricht: Saat und Ernte, Frost und Hitze sollen nicht aufhören!
Ein Gott, der uns konfrontiert, aber der uns genauso mitnimmt: Er will mit uns die Erde verwandeln – daraus spricht eine unglaubliche Nähe zwischen Schöpfer und Geschöpf: Eine Kooperation. Kein dogmatisches Nacheinander von Zuspruch und Anspruch. Nicht erst Gesetz, dann Evangelium. Sondern ich stelle mir Gott vor, der die Menschen mitnimmt. Quasi an die Hand.
Ein ungewöhnliches Bild. Als dieses Lied ins Evangelische Gesangbuch aufgenommen werden sollte, wurde der Texter Eckhart Brücken von der Gesangbuch-Kommission gebeten, den Satz „Gott will mit uns die Erde verwandeln“ doch etwas abzumildern. Er tat’s – wie wir sehen – nicht!
[III. Gott verwandelt]
„Gott will mit uns die Erde verwandeln“: Dieses „Verwandeln“ ist etwas grundlegend anders als die Veränderungen, die wir mitunter fürchten, eine andere Kategorie als Aufschwung und Abschwung, Reform und Reförmchen.
Was Gott unter Verwandeln versteht, beschreibt das Lied in Sätzen wie „Er gab uns Augen, damit wir uns sehen“: Gemeint ist sicher „uns“ im Plural: dass wir uns einander ansehen.
Gott verschafft uns einen verwandelten Blick auf den Anderen, so wie viele Jesus-Geschichten berichten: Wegsehen von mir selber. Blicken auf den Anderen, auch (gerade dann!) wenn er ein Zachäus ist.
Der gewandelte Blick ist für mich die Keimzelle für alles Weitere, Größere und für die Frage: Wo möchte Gott heute mit uns die Welt verwandeln?
Ich denke an die viele kleine Schritte. Quasi die Schritte zu einer verwandelten Erde aus der letzten Woche: An den Erstklässler in unserer Grundschule Mühlendorf. Seine Eltern können das Essensgeld in der Ganztagsbetreuung nicht zahlen. Dabei wäre sie für den Jungen so wichtig, dorthin zu gehen. Ein Gemeindeglied hat spontan und ohne großes Aufheben geholfen und eine Patenschaft übernommnen.
Das Leben dieses Erstklässler hat sich verwandelt, weil jemand aus dessen Augen gesehen und ihn in den Blick genommen hat.
Unter uns warten viele, deren Leben Gott mit uns verwandeln will. Und Gott hat keine Hände, außer unsere. Jeder kann einen Beitrag leisten.
Wahrscheinlich werden wir nicht den Kurs der Welt verändern, keine Helden auf internationaler Bühne werden. Aber: Dort wo wir stehen, werden wir gebraucht.
Das habe ich selber gelernt / bei meinem Ansinnen, die Welt zu verändern: Es beginnt alles im Kleinen, oft im Unscheinbaren. Mit einem verwandelten Blick. Mit einem Beispiel, das andere mitzieht – und die weite Verheißung nicht aus dem Blick verliert, dass Gott nicht weniger als die Erde, die ganze seufzende Schöpfung verwandeln will.
Ob ich möglicherweise doch die Welt verändert habe? Nicht allein, nicht im Großen, sicher auch nicht immer im Guten. Aber: Vielleicht im Kleinen? In die richtige Richtung? Und wie groß können die Kreise werden, wo Gott uns alle zusammen an die Hand nimmt?
[IV. „mit uns“]
Gerald Becker:
Da bin ich ja mal gespannt, wie es hier klappt mit dem Weltverändern …
Die Kinder unseres Kindergartens Rahmende haben zum Thema wie selbstverständlich zwei Menschen auf die Erdenkugel gemalt, wie man auf der Vorderseite des Programms sehen kann. Die Kinder meinten wohl netterweise, dass Gott mit uns beiden die Erde verwandelt.
Dietmar Kehlbreier:
Deshalb ist mir dieses „mit uns“ nochmals besonders wichtig: Wir haben es ja gerade schon aus dem 1. Korintherbrief gehört: Es sind alle verschiedenen Gaben und Fähigkeiten gefragt, ohne die die anderen nicht können: die einen haben den klaren Blick, die anderen die tätigen Hände, andere die besonders feststehenden Füße.
Alleine schaffen wir neuen Pfarrer nicht viel.
Dass eine Fußballmannschaft „wie verwandelt“ aus der Kabine“ kommt – das liegt in der Regel nicht daran, dass zwei neue Mitspieler eingewechselt werden, sondern daran, dass man als Mannschaft in der Kabine durchatmet und sich auf seine Fähigkeiten besinnt.
Gerald Becker:
Dieses Durchatmen — sei es in der Fußballkabine oder im Schwimm-becken nach dem Tauchwettkampf: Das ist und bleibt die Vorausset-zung fürs Handeln und für die Taten.
Dieses Durchatmen mit und bei Gott ist das, was mir hilft, die Auf-gaben, die mir gestellt sind und die Wege die ich zu gehen habe, in einer gewissen Gelassenheit und im Vertrauen auf Gottes Begleitung zu gehen.
Marie Barnett dichtete in dem schon vorhin kurz angesprochenen Lied: Das was mich atmen lässt, ist dein Heiliger Geist, der in mir lebt, dein Wort, dass du zu mir gesprochen hast. Im Vertrauen auf diesen Geist und dieses Wort können wir immer wieder neu ins Leben gehen und das Leben anpacken. AMEN!
[Dietmar Kehlbreier: Kanzelsegen]