Hau ihn ab! – Nein! (Buß- und Bettag 2009 zu Lk 13,6-9)

Pfarrer: Hau ihn ab! Lass ihn! Das sind die unterschiedlichen Meinungen zu einem Feigenbaum. Jesus erzählt in einem Gleichnis vom Feigenbaum, der keine Frucht bringt. Drei Jahre lang wächst keine einzige Feige am Baum. Eine schlechte Bilanz – zumindest für den Weinbergbesitzer, der scheinbar den schnellen Erfolg will. „Hau den Baum ab“, fordert er vom Weingärtner.

Predigt: Buß- und Bettag – Luther-Kirche Altena

Gleichnis vom Feigenbaum, #Lk 13,6-9

 

Da macht sich der Weingärtner zum Anwalt des Verurteilten. „Lass ihn noch dieses Jahr“! Ein Gnadenjahr. „Lass ihn!“ Hier wird dasselbe Wort verwendet, das im Neuen Testament sonst für das Erlassen, für die Vergebung der Sünden steht: ein Lassen, das überlebensnotwendig wird, das über Leben und Tod entscheidet. Hau ihn ab! Lass ihn! Welche Perspektive nehmen wir ein, wenn wir diese Geschichte hören?

 

Person 1: Ich denke doch die Perspektive des Weinbergbesitzers! Ich verstehe seinen Ausruf „Hau ihn ab“: Wir hatten mal einen Pflaumenbaum im Garten, der auch nichts brachte. Wir haben ständig das Laub weggefegt, er blühte auch mal recht schön, aber er trug nichts. Wir haben alles versucht, aber das war aussichtslos. Genauso wird der Weinbergbesitzer alles versucht haben.

 

Person 2: Er hat alles versucht? Das war doch wohl eher der Gärtner, der den Feigenbaum täglich gepflegt und gegossen hat. Der Weinbergbesitzer sieht doch nur das Ergebnis. Daher sehe ich die Geschichte eher aus dem Blickwinkel des Gärtners, der sagt: Lass ihn! Er kennt seinen Baum. Er weiß, dass er womöglich noch Zeit braucht. Der Weinbergbesitzer will doch nur Rendite kassieren!

 

Person 1: Moment mal! Der Baum zieht viel Kraft aus dem Boden. Und zu allem Überfluss nimmt er den anderen Bäumen, die Früchte tragen, auch noch die Nährstoffe weg.

 

Person 2: Man könnte aber auch sagen: Dieser Baum braucht die Nährstoffe um so mehr! Vielleicht weiß der Gärtner sogar, dass dieser Baum keine Früchte trägt. Aber er schont ihn dennoch.

 

Person 1: Bei unserem Pflaumenbaum sind wir auch manches Mal an den Punkt gekommen, wo wir gesagt haben: Also, einmal versuchen wir’s noch … Aber dann muss auch mal Schluss sein!

 

Pfarrer: Einmal ist die Geduld am Ende! Johannes der Täufer hat in einem ähnlichen Bild gesprochen: „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ Jesus erzählt diese Geschichte aber irgendwie anders …

 

Person 3: Vielleicht, weil er die Sichtweise des Feigenbaums einnimmt…

 

Pfarrer: Wie wirkt denn die Geschichte aus Sicht des Feigenbaums?

 

Person 3: Ich stelle mir das gerade vor, dass man so mitten im Leben steht – wie ein Baum im Weinberg -, aber augenscheinlich unnützlich und unproduktiv. Das Gefühl, dass man irgendwie im Weg ist. Man zerbricht an den Ansprüchen, die gestellt sind. Das geht Kindern so, die in der Schule nicht zurechtkommen. Das geht uns im Glauben an Gott so: „Von Zweifeln ist mein Leben übermannt“, haben wir gerade gesungen. „Mein Unvermögen hält mich ganz gefangen.“ Ich sehe mich auch als Christin oft in der Rolle des Feigenbaums!

 

Person 2: Das ist auch so, wenn man zum Beispiel älter wird. Das schöne Bild, dass man gewachsen ist wie ein Baum – in diesem Gleichnis ist es fast bedrohlich, weil dem Baum das Abholzen droht, wenn er keine Früchte trägt.

 

Person 3: Ja, aus Sicht des Feigenbaumes erschrickt man, wie sehr man auf die Geduld von anderen Menschen angewiesen ist. Wenn ich mal an meine Generation denke: Wir haben als Eltern viel Geduld in unserer Kinder investiert. Zuhören. Abwarten. Wir haben sie in die eine Richtung wachsen sehen, dann auch manchmal in eine andere Richtung. Wir haben gehofft und gebangt, dass aus ihnen etwas wird. Ein ums andere Mal haben wir eine Spanne mehr Geduld gehabt, als man eigentlich eingeräumt hätte. Und das war gut so!

 

Person 1: Heute ist es eher umgekehrt: Wir brauchen Geduld von anderen. Geduld muss uns erwiesen werden. Wir verstehen manche Dinge nicht mehr. Die Welt verändert sich so rasant. Man muss uns vieles mit viel Geduld erklären.

 

Person 2: Das ist genau das, was ich gerade sagte: Wenn wir schwächer und kranker werden – wie viel Geduld muss uns dann erwiesen werden? [Zu Person 1:] Oder wenn ein Ehepartner krank wird, lieber Weinbergbesitzer: Dann kann man nicht einfach sagen: Weg damit! Bringt nichts mehr! Dann braucht man einen Fürsprecher, der sagt, hab Geduld! Denn ich habe Geduld!

 

Pfarrer: Einen Fürsprecher… Einer, der sagt: „Lass ihn! Ich habe Geduld mit dir und ich lege ein Wort für dich ein, dass der – der über dich bestimmt – nicht sagt: „Hau ihn ab“, sondern meiner Hoffnung folgt: Vielleicht trägt er ja in einem Jahr Früchte … Jesus erzählt dieses Gleichnis ja nicht, um uns Tipps für die Pflege im Garten zu geben …

 

Person 3: Nein, ich denke, dass es hier darum geht, sich eines gnädigen Gottes zu vergewissern. Ein Gott, der aus Liebe sagt: Lass ihn! Lass sie! Noch einmal Gnade! Womöglich sogar Gnade vor Recht.

 

Person 1: Das würde ja auch zum Buß- und Bettag passen. Ich erfahre Vergebung, wenn mein Leben keine Glaubensfrüchte trägt. Ich bekomme eine neue Möglichkeit, gerade auch dann, wenn ich an Gott zweifele.

 

Pfarrer: Aber da muss ich nun doch einhaken: Buße – das hört sich für mich nach Reue an, nach „in Sack und Asche gehen“, nach tätiger Wiedergutmachung. Der Baum sagt in diesem Gleichnis kein Wort! Er ist total passiv.

 

Person 2: Weil er in dem Weingärtner einen Fürsprecher hat: Dieser tritt beim Weinbergbesitzer vor und sagt: Bitte noch einmal Gnade!

 

Person 3: Aus Sicht des Baumes ist das doch auch das einzig Mögliche: Wie sollte er in diesem Zustand tätige Reue zeigen? Sein Problem ist doch gerade, dass er nichts tun kann.

 

Pfarrer: Das heißt: Das Wesentliche ist nicht eine Wiedergutmachung, die geleistet werden muss, sondern die Tatsache, dass jemand anderes für mich in die Bresche springt und mich verteidigt, wo ich wie gelähmt herumstehe.

Johannes der Täufer predigt Gericht: Die Axt ist an die Bäume gelegt; Gott wird strafen und vernichten. Jesus hat eine andere Botschaft: Er kennt auch den strafenden Gott, aber er bietet sich den Menschen an, um bei Gott ein gutes Wort für uns einzulegen. Nicht Strafe und Vernichtung soll die Folge sein, wenn wir keine Glaubensfrüchte tragen, sondern er bittet um Verschonung, um Erbarmen, um eine neue Chance. Lass ihn! – Hau ihn nicht ab! Vielleicht wächst ja demnächst Glaube und Zuversicht! Vielleicht lebt dieser Mensch demnächst nach Gottes guten Weisungen, teilt mit anderen Menschen sein Gottvertrauen. Das wären ja die Glaubensfrüchte, die sich freilich ganz massiv von den Früchten unserer Zeit, wo nur Leistung zählt, unterscheiden!

 

Person 1: Aber nochmals aus der Sicht des Weinbergbesitzers: Macht das denn wirklich Sinn, dass er gnädig bleibt?

 

Person 2: Es wird nicht erzählt, dass er gnädig bleibt, sondern die Geschichte endet offen: „Vielleicht, ja vielleicht bringt er ja doch noch Frucht!“ Vielleicht.

 

Pfarrer: Übertragen heißt das: Jesus weiß nicht sicher, ob wir Glaubensfrüchte tragen werden. Aber allein für das „Vielleicht“ lohnt es sich für ihn, bei Gott für uns vorzusprechen. Uns die Tür offen zu halten.

 

Person 1: Womöglich verändert Jesus mit seiner Bitte Gott. Denn mal ehrlich. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Gott so gnadenlos sein will wie ein Weinbergbesitzer, der einfach einen unfruchtbaren Baum umhaut.

 

Person 3: In der Rolle des Feigenbaums frage ich mich dann: Lass ich mir das Bild von einem gnädigen Gott gefallen – bei allem, was mir in meinem Leben misslingt? Ob ich das glauben kann, dass ich Gott recht bin und allein aus seiner Güte heraus lebe?

 

Pfarrer: Am Buß- und Bettag geht es also darum, sich neu Jesus, dem Christus, zuzuwenden, der für uns bei Gott um Geduld bittet, und darum zu beten, dass dieser Gott sich gnädig zeigt.

Eines haben wir übrigens noch gar nicht gesagt: Eigentlich trägt ein Feigenbaum erst nach sechs Jahren Früchte, der Weinbergbesitzer hat jedoch schon drei Jahren keine Geduld mehr.

Jesus, der Christus, ist unser Fürsprecher vor einem ungeduldigen Gott. Er aber, der Heiland, auf den wir bald in der Adventszeit warten, er wendet sich mit Geduld an seinen Vater. Für uns. Aus dem „Vielleicht“ wird die hoffnungsvolle Perspektive: Gott lässt uns – er erlässt uns, was uns von ihm trennt. Für ein stets erneuertes Leben! Amen.