Ostern hinter der Tür (Ostern 2009 zu Joh 20,1-19)

Hätte ich Chancen, Sie zu überzeugen, dass ich den Herrn gesehen habe, vorhin, 9.30 Uhr, als Sie leider noch nicht da waren? Da kam er durch die verschlossenen Türen, mitten in diese Kirche hinein und sagte „Friede sei mit dir“…?

Quasimodogeniti #Joh 20,1-19 (Der ungläubige Thomas)

Wiblingwerde, 19. April 2009

 

Ich fürchte, allzu großen Glauben daran würde ich dafür nicht finden. Und bevor Sie sich mit dem Protagonisten des heutigen Predigttextes identifizieren lassen, dem so genannten „ungläubigen Thomas“, werden Sie vermutlich einwenden, dass bei Thomas der Glaube wohl um einiges näher gelegen hätte als bei uns heute. Denn dem JohEv zufolge hatte Jesus seine Auferstehung nun wirklich hinreichend angekündigt, und seine Kreuzigung liegt gerade einmal zwei Tage zurück, als Jesus „am Abend des ersten Tages der Woche“ zu seinen Jüngern kommt.

Aber heute, im 21. Jahrhundert sind wir in einer anderen historischen Situation. Wir erwarten die Wiederkunft des Herrn womöglich noch – aber heute? Eher unrealistisch!

Aber so ist es streng genommen auch mit Ostern, das wenige Tage zurückliegt: unrealistisch im positiven Sinne! Ostern ist ein Widerspruch gegen alles, was Menschen der Neuzeit realistisch erwarten und vermuten können. Ein Fest der unrealistischen Erwartung. Die Auferstehung von den Toten widerspricht allen Erfahrungsgehalten. Doch bei Gott hat der Tod nicht das letzte Wort. Ist das Leben und die Liebe stärker sind, weil er, der Gott der Liebe und des Lebens, stärker ist als der Tod.

So sagt es der christliche Glaube. Und immer, wenn dies verkündigt wird, wenn ein Mensch dies einem anderen erzählt, dann beginnt das alte Spiel zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Vertrauen und Vernunft, zwischen Gewissheit und Zweifel. Genau in dieses Spiel führt uns der Predigttext hinein. Diese beiden Pole, Zweifel, rationale Vernunft, Unglaube auf der einen Seite und Glaube, Vertrauen und Gewissheit, werden in der modernen Gesellschaft nicht selten auf das Gegenüber von modernem naturwissenschaftlichen Weltbild und Christentum verteilt.

In der Schule wird gelegentlich, nicht zuletzt durch das Darwinjahr, der Gegensatz zwischen einem Schöpfungsglauben, der im Religionsunterricht vermittelt wird, und Evolutionstheorie, die im Biologieunterricht gelehrt wird, wieder neu inszeniert. Auch wenn moderner Religionsunterricht vermittelt, dass der biblische Schöpfungsbericht einem mythischen Weltbild entspricht, die sieben Tage natürlich nicht wörtlich zu nehmen sind und der Schöpfungsbericht nicht beweisbar ist. Der Glaube fragt gerade nicht nach der Wahrscheinlichkeit, sondern folgt der „feste[n] Zuversicht auf das, was man hofft“ (Hebr 11,1). Dies ist der Unterscheid zwischen Glauben und Nichtglauben.

Wenn da der Auferstandenen in ihre Mitte kommt und zu ihnen spricht: „Friede sei mit euch“, dann sind sie hoch erfreut. So erzählt es Johannes wenigstens von den Jüngern, als Jesus zu ihnen kommt und ihnen seine Hände und seine Seite zeigt. Von Erschrecken, Zweifel, Misstrauen, Abwehr ist nicht die Rede, es heißt nur: „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.“ Ebenso klar, wie das Erscheinen Jesu geschildert wird – Jesus kommt, tritt in ihre Mitte, entbietet ihnen den Friedensgruße und zeigt Hände und Seite – ebenso klar scheint auch die Reaktion der Jünger: Freude! Ein großer Gegensatz zu der Erzählung unmittelbar vor unserem Predigttext, in der eine viel komplizierter Begegnung erzählt wird: Maria von Magdala geht zum Grab, sieht den Stein weggerollt, erzählt es Petrus und dem Lieblingsjünger, diese laufen zum Grab laufen und gehen hinein, Maria von Magdala hingegen steht vor dem Grab und weint, spricht mit zwei Engeln, dreht sich dann um und sieht Jesus, weiß aber nicht, dass er es ist, erkennt ihn dann doch, darf ihn aber nicht berühren – was für eine unglaublich komplizierte Geschichte.

Im Gegensatz dazu ist diese Erzählung doch wirklich einmal klar und deutlich: Kommen Jesu, Friedensgruße, Zeigen der Wunden – Freude. Dann sendet Jesus seine Jünger, bläst sie mit dem heiligen Geist an und spricht ihnen Vollmacht über die Sünden andere zu. Sprachlos – die Jünger – vielleicht angesichts der Gewichtigkeit der Worte Jesus, angesichts der Größe des Auftrags, angesichts der zugesprochenen Macht ….

 

II.

Schade nur, dass einer nicht dabei ist. Thomas. Ausgerechnet Thomas, ausgerechnet der Jünger, von dem wir einige Kapitel vorher (Joh 14,5) schon erfahren, dass er sich unsicher ist über den Weg, den er mit Jesus gehen soll. Als Jesus seinen Jüngern zuspricht, den Weg zu kennen, ist er es, der sagt:: „Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?“ Ob er nur den Zweifel ausspricht, den auch andere Anhängerinnen und Anhänger haben, oder ob er der einzige ist, der keine Gewissheit über den Weg Jesu und seinen Weg mit ihm hat? Dass gerade er als Störer der klaren, glatten Gewissheit und der österlichen Freude fungiert, dürfte hingegen kein Zufall sein. Thomas war nicht da. Wo er war, warum er nicht da war, erfahren wir nicht. Er hatte sich hinausgewagt aus den verschlossenen Türen der glaubenden Gemeinschaft, ob freiwillig oder mit Nötigung, er hatte sich anderem zugewendet, vielleicht lebensnotwendigen Dingen, vielleicht Ablenkungen, vielleicht wollte er der gemeinschaftlichen Trauer entfliehen, ertrug die Enge nicht mehr. Wie auch immer.

Nun erhält er eine schlicht erzählte Nachricht: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Vielleicht auch „Wir haben den Herrn gesehen“ (triumphierend gesprochen) oder „wir haben den Herrn gesehen“ (erstaunt gesprochen) oder „wir haben den Herrn gesehen (und du man nicht) (schadenfroh gesprochen). Wie auch immer er diese Botschaft gehört hat, wie auch immer die anderen Gewissheit habenden Freunde dabei erlebt hat, er reagiert mit dem berühmten Satz: „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.“

Die anderen können ihm viel erzählen. Hörensagen reicht nicht aus. Worte sind Schall und Rauch. Das Zeugnis anderer kann noch so klar sein, es ersetzt nicht die eigene Erfahrung. Thomas stört die glatte und klare Erscheinungsszene. Er findet sich nicht damit ab, etwas erzählt zu bekommen, sondern er möchte sich sein Urteil selbst bilden. Er möchte sehen, verstehen, begreifen. Bitte auch noch fühlen. Alle Sinne einsetzen bei so einer unglaublichen Nachricht, die alle Wahrscheinlichkeiten und alle Logiken der Welt sprengt.

Eine so unglaubliche Botschaft kann man nicht nur mit dem Verstand aufnehmen, da ist der ganze Mensch gefragt, mit seinen Sinnen: sehen, hören, tasten.

Das klingt in meinen Ohren mehr als nachvollziehbar, zumal als Mensch des 21. Jahrhunderts. Einfach dem folgen, was einem jemand erzählt? Darüber nicht nachdenken, sich damit nicht auseinandersetzen, es einfach abnicken? In die Masse einstimmen, einfach mitschwingen, ohne sich ein eigenes Urteil zu bilden? Oder: Die Chancen, es mit eigenen Augen zu sehen,? Man stelle sich vor, Thomas hätte gesagt: „Ah ja, der Herr war hier? Er ist also wirklich auferstanden? Oh, das ist schön, ich freue mich auch.“

Ehrlich gesagt, liebe Gemeinde, ich bin froh, dass Johannes eine so holprige Szene einstreut. Denn der Glaube an die Auferstehung wird so deutlich als das, was er ist: als das Unwahrscheinliche, Unglaubliche, Fragwürdige und Zweifelhafte. Dass Gott Jesus von Nazareth von den Toten auferweckt hat, ist eine so ungeheuerliche Botschaft, dass sie manchmal Abwehr und Entsetzen, manchmal auch große Freude, in jedem Fall aber Zweifel an ihr hervorruft.

Thomas reagiert nicht nur menschlich nachvollziehbar, sondern auch der Nachricht angemessen! Der Zweifel gehört zur Auferstehungsbotschaft offensichtlich konstitutiv hinzu. Die Auferstehung kann in ihrer Sprengkraft, die die erwartbare weltliche Logik konterkariert, nur erfasst werden, wenn sie als gerade nicht logisch, sich nicht nahtlos einfügend in die Erfahrung dargestellt wird. Sie entspricht nicht den Vorgängen in der Natur. Ostern ist nicht einfach ein Frühlingsfest und vergleichbar mit dem Saatkorn, das in die Erde gelegt wird und aus dem Neues wächst.

 

 

III.

Die Geschichte geht in noch einer anderen Weise holprig weiter. Thomas bekommt tatsächlich, was er braucht, um glauben zu können. Genau nach einer Woche, eine Woche nach dem Tag der Auferstehung, am heutigen Tage also, kommt Jesus ein weiteres Mal durch die verschlossenen Türen in den Jüngerkreis. Und jetzt ist Thomas dabei. Friede sei mit Euch – dann geht Jesus auf direkt auf Thomas zu und fordert ihn auf, genau das zu tun, was er als Bedingung, glauben zu können, benannt hat: „Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“

Jesus akzeptiert seinen Wunsch, seine Forderung, seine Bedingung! Das finde ich insofern bemerkenswert, weil die Evangelisten und vor allem Johannes nicht selten berichten, dass sich Jesus Erwartungen und Wünschen entzieht und gerade nicht nach menschlichem Wunsch und Willen handelt. Wie kurz vorher bei Maria von Magdala, der er eine Berührung untersagt hat. Hier jedoch bietet er Thomas an, genau das zu tun, um dadurch gläubig zu werden.

Jesus akzeptiert offensichtlich nicht nur den Zweifel, sondern auch die Bedingungen, ihn überwinden zu können. Er akzeptiert den Weg des Thomas und geht ihn mit. Und es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass auch der eine oder andere von den anderen Jüngern sich hier ebenfalls wieder findet. Ein seelsorglicher, empatischer Jesus, kein fordernder, ungeduldiger!

Und Thomas? Legt er den Finger wirklich in die Seite, jetzt als er kann und darf? Es bleibt offen. Dazu äußert sich Johannes nicht, und vermutlich nicht zufällig. Nutzt er die Chance? Oder ist es nicht mehr nötig, sie zu nutzen? Ist die Scheu doch zu groß? Erzählt wird nur die Antwort des Thomas: „Mein Herr und mein Gott“. Thomas glaubt.

 

IV.

Aber kein wirkliches Happy end folgt, denn noch einmal bricht Johannes mit seiner Erzähllinie. Jesus sagt: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“

Doch eine Kritik an Thomas? Vielleicht. Oder eine Ausnahme von der Regel? Muss man womöglich doch auch sehen, um zu glauben? Was heißt das für uns, wo Jesus nicht sichtbar ist?

Zum Abschluss heißt es: (Joh 20,31): „Diese (sc. Zeichen) aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“

Glauben ohne Sehen ist unsere Realität – und zu dieser Realität gehört der Zweifel hinzu. Jesus akzeptiert hier den Umweg übers Sehen, er akzeptiert den Zweifel.

Der Satz „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ zielt womöglich auf die anderen Jünger.

Das ist auch unsere heutige Erfahrung: Gut ist es doch, wenn nicht alle gleichzeitig zweifeln. Und: Wenn die Anderen, die glauben, ohne gesehen zu haben, sich nicht moralisch über den einen, der zweifelt, erheben. Die Gemeinschaft wird hier nicht aufgekündigt. Vielmehr eröffnet erst Thomas durch seine Zweifel eine zweite Begegnung mit dem Auferstandenen und eine neue Erfahrung: diesmal weniger glatt und klar, sondern anders, aber nicht weniger real.

Glauben und Zweifel, Vertrauen und kritisches Hinterfragen sind keine Gegensätze, weder damals noch heute. Es gibt wohl unterschiedliche Wege zum Glauben an die Auferstehung und unterschiedliche Grade von Gewissheit und Zweifel, die die Gemeinschaft der Glaubenden aushält.

Gott sei Dank: Es gibt im Osterglaube keine verschlossenen Türen, hinter denen wir meinen könnten, uns in Gewissheit und Sicherheit zurückziehen zu können!