Unerhört – so vieles rund um Familien: Wir haben davon gehört, was uns aus der Ambulanten Jugendhilfe unserer Diakonie berichtet wurde. Was Familien heute betrifft – das passt nicht mehr in den Ordnungsrahmen aus dem Epheserbrief, der das Leben der Familien und der christlichen Gemeinde klar ordnen möchte: Wie dort von Mann und Frau gesprochen wird; oder also ob so wie in dieser“ Haustafel“ das Leben von Familien funktionierte..
(Predigt – Erlöserkirche Haltern Diakoniegottesdienst 14.9.2018, „Die Alten werden Träume haben“, Joel 3,1)
(Vorab als Lesung: die Haustafeln nach Epheserbrief 5,21-24;6,1-3 mit einem aktuellen Zwischenruf)
Man möchte fast mit der Diakonie-Kampagane „unerhört“ dem Verfasser des Epheserbrief entgegen rufen: Hör doch mal genauer zu! Entsprechend der Zwischenruf nach der Lesung!
Es ist ein starkes Stück, wie das Elterngebot – „Ehre Vater und Mutter“ verändert wird! Im Zusammenhang der 10 Gebote geht es eben nicht um Gehorsam – wie nun im Epheserbrief! Wie viel Macht und Missbrauch hat das Elterngebot entfacht, wenn es darin vorrangig um Gehorsam ging! Unerhört! Eigentlich geht es Fürsorge: Die erwachsenen Israeliten sollen beim Auszug aus Ägypten ihre alten Eltern nicht buchstäblich in Wüste sitzen lassen! Die Alten, die die Verheißung empfinden, sollen mit den Jungen das Gelobte Land erreichen!
II.
Damit sind wir beim Thema dieses Diakoniesonntags: Unerhört diese Familie – bewusst in der Erweiterung des Plakatmotivs, das auch hier in Haltern hängt: „Unerhört – diese Alten“. Es geht doch darum, das Miteinander verschiedener Generationen in den Blick zunehmen, so sinnbildlich dafür in der oberen Etage Ihres Gemeindehauses Frühförderung, Familienhilfe und Diakoniestation auf einem Flur nebeneinandersitzen und Ambulant Betreutes Wohnen und Schuldnerberatung nicht nach Alt oder Jung fragen.
In einem der klassischen Pfingst-Predigttexte sind die Alten und die Jungen gleichermaßen angesprochen Bei Joel, dem Propheten aus dem 4. Jhd. v.Chr. heißt es für die Zukunft, besser: die Endzeit:
1 Und ich will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure jungen Leute Visionen.
2 Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen. 3 Und ich will Wunderzeichen geben am Himmel und auf Erden: Blut, Feuer und Rauchsäulen.
4 Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des HERRN kommt.
5 Und es soll geschehen: Wer des HERRN Namen anrufen wird, der soll errettet werden. Denn auf dem Berge Zion und zu Jerusalem wird Errettung sein, wie der HERR verheißen hat, und bei den Entronnenen, die der HERR berufen wird.
Eure Alten sollen Träume haben,
und eure jungen Leute Visionen.
Nahezu einträchtig und gleichrangig wird für den Moment der Geistausgießung Alten wie Jungen zugeschrieben: Ihr werdet Träume haben und Visionen formulieren. Ihr werdet ein Bild für eure gemeinsame Zukunft miteinander teilen. Nicht nur die Jungen werden sich um die Zukunft kümmern, sondern die Alten genauso – unabhängig davon, dass ihnen weniger Zeit bleibt.
Unerhört – diese Alten!
Die Worte des Propheten verkehren heilsam so manche Bilder, gerade von den Alten!
III.
Daher möchte ich einen Moment bei den Alter bleiben – und ich rede von „Alten“, nicht von „Senioren“, „Älteren“, lebensreifen Menschen o.ä.
Die Alten kleiden sich anders als früher; heute 70jährige sind durchschnittlich so fit und agil wie vor 30 Jahren die 65jährige.
Es gibt nicht mehr das „Alter“, sondern viele AltersphasenIn der Diakonie machen wir die Erfahrung, dass weniger das Lebensalter als Lebenssituation bestimmt, wie „alt man ist“.
Wenn etwa Menschen eine brüchige Erwerbsbiographie hatten, dann sehen sie oft schon mit Renteneintritt buchstäblich „alt“ aus. Es gibt dann im Rentendasein noch weniger Möglichkeiten zu reisen oder kulturelle Angebote wahrzunehmen. Die Miete zehrt ein großen Batzen der Rente auf . In zukünftigen Generationen werden die Unterschiede noch viel größer werden, und Überschuldung von Alten wird zunehmen.
Ein weiteres Beispiel, das das „Altern“ nicht nur an den Lebensjahren hängt: Ehepaare sind oft mobil und frei, können reisen, sind eingespannt in die Sorge um Enkelkinder oder betätigen sich ehrenamtlich – oft aber mit einer richtigen Zäsur, wenn ein Ehepartner pflegebedürftig wird. Dann dreht sich plötzlich alles um die Organisation von Pflege und wie man im Alltag überlebt. Beide sind eingeschränkt. Freundschaften und Außenkontakte können bröckeln, weil die ganze Kraft in die Pflege des Partners gesteckt wird. Freie Zeit, wenn es sie gibt, dient der eigenen Erholung und Entlastung. Die Mitarbeitende der Diakoniestation und der Wohnraumberatung können davon jede Menge Geschichten erzählen. Wie unerhört groß sind oft die Lebensleistungen von pflegenden Angehörigen!
Es liegt also nicht immer in der Hand der Alten, Träume aufrechtzuerhalten und Pläne noch frei umzusetzen – jedenfalls wie wir herkömmlich Träume definieren.
Wofür nutze ich die längere Lebenszeit, solange ich noch frei darüber entscheiden kann? Der Sozialwissenschaftler Gerhard Wegner fragt provokativ: „Kreuzfahrt oder Engagement für die Bürgergesellschaft?“
Tun wir im Alter in erster Linie – konsumorientiert – etwas für uns, weil wir im Erwerbsleben keine Zeit dafür hatten oder es aufgehoben haben für den Ruhestand? Genießen wir, solange wir können?
Oder – und hier sind wir natürlich eher bei der christlichen Vision, die auch der Prophet Joel nährt – nutzen wir im Alter die Zeit, uns für andere zu engagieren, mit den Jungen unsere Träume zu teilen, über uns selbst hinauszublicken?!
Die Alternative, als ob es nur das eine oder andere gäbe, ist überzogen, weiß auch Gerhard Wegner. Es gibt Grau- und Zwischentöne. Und keiner sollte einem Alten neiden, wenn er den Ruhestand genießt.
Aber in dem Joel-Text steckt für mich eine provokante Verheißung, dass die Alten – genauso wie die Jungen – nicht auf ihre begrenze Lebenszeit blicken, sondern – das steckt ja im Träumen – sich auf die Zukunft einlassen. Es geht eben nicht darum, nur um sich selbst zu kreisen, sondern:
Eure Alten sollen Träume haben,
und eure jungen Leute Visionen.
Es geht darum, sich mit dem Geist Gottes an der Verheißung nach vorne auszurichten lassen.
Im Joel-Wort steckt ein radikaler Gedankenwechsel: Denkt – egal ob jung oder alt – nicht von der Lebensspanne aus, die euch noch bleibt. Sondern schaut darauf, was euch zum Leben geschenkt ist. Natürlich setzt der Tod uns das natürliche Ende. Aber warum müssen unsere Pläne auf diesen Punkt abgestimmt sein? Ist Gottes Vision in Jesus Christus, uns ewiges Leben zu verheißen, nicht davon entkleidet, auf unsere verbleibende Lebenszeit zu starren?
Christliche Altersforscher ermutigen uns, auf genau den anderen unbeeinflussbaren Punkt zu blicken: auf die Erfahrung der Geburt zu blicken. An die Geburt erinnert man sich zwar nicht, aber sie symbolisiert, das das Leben geschenkt ist und von Anfang an im Werden ist und immer neu werden kann – auch im Alter.
IV.
Neuwerden im Alter – gerade trotz offenkundiger Begrenztheiten: Ich will das konkreter sagen: In diesen Wochen eröffnen wir eine Wohngemeinschaft mit Menschen mit Demenz in Recklinghausen. Dort ziehen Menschen ein, die anfangs wissen, dass sie bald in einer anderen Welt leben und das Gedächtnis schwinden wird. Wir kümmern uns um genau diese Personengruppe, weil wir wissen, wie sehr das für die Betroffenen ein Schicksalsschlag ist und wie schwer es die Angehörigen haben.
Wir tut das aber eben auch deshalb, weil wir einen Ort bieten wollen, an dem auch Menschen mit Demenz noch ihre Träume haben sollen. Sie werden noch lieben können und sagen können, was sie tagsüber gerne tun wollen. Sie werden vielleicht einmal ihre Angehörige nicht mehr einordnen können, aber sie werden Zuwendung erfahren können. Sie werden nicht mehr die Stationen ihres Lebens aufzählen können, aber sie sollen noch sagen können, was ihnen wichtig war und ist im Leben.
V.
Der Prophet Joel ermutigt uns, dass bei Alten wie bei Jungen gleichermaßen das Leben offen ist – auf Gottes Geist und Gottes Zukunft hin. Jungsein- und Älterwerden ist ein Geschenk.
Das hat letztlich hat auch eine gesellschaftspolitische Dimension, die wir als Diakonie auch mit der Kampagne „Unerhört“ herausstellen wollen:
Unerhört diese Alten – die haben doch Lebenserfahrungen und Weisheiten gewonnen, die auch Junge hören sollten, an denen sie ich reiben können sollen, die sie für ihr Leben mitnehmen können. Vielleicht sind es in diesen Monaten die Erfahrungen der ganz Alten, dass eine Demokratie nicht als gottgewollte Ordnung vom Himmel gefallen ist, sondern aus der Erfahrung einer menschenverachtenden Diktatur erst aufgedrückt oder dann aber nach und nach von den Nachkriegsgenerationen gestaltet worden ist. – Und es ist der Anspruch an die Jungen, diesen Schatz nicht zu „ver-träumen“, sondern zu gemeinsam zu fragen: Welche Visionen und Träumen haben wir für ein friedliches Zusammenleben von Verschiedenen? Was sind die Regeln, auf die wir uns immer wieder neu verständigen wollen?
Hier sind wir womöglich wieder ein wenig bei der Haustafel des Epheserbrief. In ihrer Konkretion kann die Haustafel heute wenig bewirken, aber ganz sicher in ihrer Intention: Es geht ja mit der Haustafel im Epheserbrief um ein Leben der Menschen in der Ehrfurcht vor Gott, um die Verantwortung, als Christinnen und Christen zu leben und bezeugen, wie Jesus von Nazareth sich zu den Menschen seiner Zeit gestellt hat. Wie er gerade darin klar war, keinen auszugrenzen, sondern Grenzen um der Menschen willen überschreiten. Und: Jesus verkündigte das nah herbeigekommene Himmelreich, er steckte also Menschen an von diesen Träumen, von den Joel schon spricht, alte wie junge Menschen.
VI.
Insofern weitet sich das Motto „Unerhört – diese Familien“ in ein gemeinsames pfingstliches Träumen aller Generationen:
Ich träume von einer Kirche, Gemeinden, Christen,
die sich als Vorreiter der göttlichen Zukunft verstehen,
die sich nicht abfinden mit der Realität,
die Zeichen einer anderen Möglichkeit vom Leben setzen.
Ich träume von einer Kirche, Gemeinden, Christen,
die sich nicht zufrieden geben mit der Welt, wie sie ist,
die nicht fertig damit werden, wenn Menschen leiden,
ganze Scharen unter den Teppich von Wohlstand, Dummheit, Achselzucken gekehrt werden – […]
Ich träume von einer Kirche, Gemeinden, Christen,
die einander stark machen, helfen, die einander gelten lassen, ehrlich einander begegnen, die aufhelfen, wo einer müde wird, und sich helfen lassen, wo sie müde werden.
Abschließende Worte – und passende Worte für einen Diakoniesonntag, wie ich finde – aus einer Pfingstpredigt zu Joel 3, von Rolf Sonnemann, von dieser Kanzel, von 1975, von einem der Alten. Heute von einem Jüngeren wiederentdeckt und weitergeträumt!
Denn eure Alten sollen Träume haben,
und eure jungen Leute Visionen.
Unerhört – Träume!