In diesen Tagen wimmelt es ja nur von Gipfeltreffen: G20-Gipfel in London, NATO-Gipfel in Straßburg und Kehl. Und immer die gleichen Bilder: Da putzt sich eine Stadt heraus, da wird schon Tage lang vorher das normale Leben lahm gelegt wegen der Sicherheitsvorkehrungen.
Predigt Palmarum 2009– Ort: Lutherkirche Altena
Predigtthema/-text: Joh 12,12-19
Da werden Podeste aufgebaut für das obligatorische Gipfel-Foto. Man will gar nicht darüber nachdenken, wie viele Hotelbetten und Mittagessen gebraucht werden. Barak Obama allein kam mit 500 Mitarbeitenden zum Finanzgipfel nach London!
Und das Volk: Es hat vor allem grenzenlose Erwartungen: Da kommen sie nun, die Politiker, die bitte schön die Finanzkrise in den Griff bekommen sollen. Da kommen sie nun, die den Fondmanagern endlich die Handfessel anlegen bei ihrer Zockerei. Da kommen sie nun endlich, die doch die Arbeitsplätze retten sollen … Eine gigantische Erwartungshaltung!
II.
Ähnlich stelle ich mir die Erwartungshaltung vor, als Jesus in Jerusalem einzieht. Da kommt nun endlich einer, der den ungeliebten Römer Beine macht. Der dem Volk wieder Ehre zurückgibt. Der das Volk eint.
Großartige Dinge erzählte man sich von diesem Mann. Er kann’s doch – wenn nicht er, wer dann? Hatte er nicht viele Kranke geheilt? Hatte er nicht Blinden zum Sehen verholfen und Gelähmte zum Laufen gebracht? Hatte er nicht Wasser in Wein verwandelt? Hatte er nicht mit wenigen Broten Tausende satt gemacht? Und das alles war noch gar nichts gegen die letzte Tat, die er vollbracht hatte und die nun wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund ging: Er hatte einen Toten zum Leben erweckt! Sollte diesem Mann überhaupt etwas unmöglich sein?
Und: Gott ist mit ihm. Schon mischt sich in das Jubelgeschrei der Ruf: „König von Israel!“ Schon heißt es: Hosianna!“ Hilf uns aus unserer Not! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!
Gleich wird aus ihm der Messias: O Tochter Zion, freue dich sehr, dein König kommt zu dir! Ein Gerechter! Ein Helfer!
III.
Allerdings: Nicht alle sind begeistert. Im Hintergrund sammeln sich schon diejenigen, die in Jesus von Anfang an als Störenfried gesehen haben. Sie fühlen sich in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Sie haben anscheinend als einzige die ganze prophetische Verheißung im Ohr: „Und er reitet auf einem Esselfüllen.“
Und tatsächlich: Dieser Retter kommt auf dem Verkehrsmittel der armen Leute. Welch ein Symbolgehalt!
Das macht gefährlich. Für die Pharisäer ist das Maß voll. Hält dieser Jesus sich für den Messias? Gotteslästerung! Und was könnte darüber hinaus noch politisch passieren: Revolution? Krieg in der heiligen Stadt? Jesus muss weg. Notfalls mit Gewalt!
In dieser brodelnden Atmosphäre könnte man eines fast übersehen, dass Jesus schweigend kommt. Er badet nicht in der Menge. Genießt nicht die jubelnde Zustimmung.Seine Geste ist – der Esel.
Sein Auftreten: irritierend, ja für viele sicher enttäuschend. Die Massen laufen ihm entgegen und bereiten ihm einen grandiosen Empfang. Er aber nutzt die Gunst der Stunde nicht. Dabei wäre das doch ein Leichtes für ihn. Er könnte in die begeisterte Stimmung hinein eine zündende Ansprache halten, gespickt mit Angriffen gegen die römischen Besatzer. Dann müsste er das Volk nur noch an die vergangenen Zeiten nationaler Größe erinnern und sich auf Gottes Verheißungen berufen – und schon lägen ihm alle zu Füßen. Dies macht ja das Talent von großen politischen Führern aus: die Stimmung im Volk richtig einzuschätzen, die allgemeinen Erwartungen aufzunehmen und darauf eine Antwort zu geben.
IV
Nichts dergleichen geschieht. Die Sehnsucht der Jerusalemer nach dem Superstar, dem Erfüller ihrer Erwartungen, verpufft. Jesus geht in den Tempel und verscherzt sich alle Sympathien. Statt die Römer aus der Stadt zu jagen, wirft er die Tempelhändler hinaus. Statt sich in Hasstiraden gegen die Besatzer zu ergehen, stößt Obrigkeit der eigenen Religion vor den Kopf. Statt eine Armee aufzustellen, sitzt er mit seinen engsten Freunden zusammen und feiert Abendmahl. Schließlich: Statt sich zur Wehr zu setzen, lässt er sich gefangen nehmen und wie ein Schaf zur Schlachtbank führen.
In jeder Beziehung tut er exakt das Gegenteil von dem, was man erwarten durfte.
Aus dem Hosianna wird das „Kreuzige ihn!“ Hinweg mit diesem Mann, der unsere Erwartungen so bitter enttäuscht hat!
V
Welche Erwartungen haben wir, die unerfüllt bleiben? Oder anders herum gefragt: Von wem erwarten wir, das sich möglichst per Knopfdruck alles zum Guten verändert?
Man kann Angst haben davor, wie viel Erwartungen in solche politischen Gipfeltreffen gesteckt werden – und wie viel Enttäuschungen Wut und Aggression auslösen könnten.
Denn die handelnden Akteure haben – weil sie eben anderen Menschen sind als Jesus – kaum die Kraft, so über die Interessen hinwegzusehen.
Welche Erwartungen haben wir – auch gegenüber unseren Ehepartner, unseren Familien? Unseren Arbeitskollegen? Sind die nicht auch oft unmenschlich hoch?
Wie schnell nehmen wir teil am Hochjubeln von Menschen – wo wir eigentlich wissen könnten, dass sie im nächsten Moment wieder fallengelassen werden: Deutschland sucht den Superstar – und wenn er gefunden ist, sucht Deutschland den nächsten Superstar. Oder Heidi Klum sucht Germany’s next Topmodell. Oder: Wenn das 17jährige Toptalent im Fußball mit 18 Jahren keine Tore mehr schießt – was ist denn dann?
Die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem begegnet uns zweimal im Kirchenjahr: am 1. Advent. Und am Anfang der Karwoche.
Ich frage mich, wenn die Hirten aus der Weihnachtsgeschichte in Jerusalem dabeigewesen wären: Wären auch ihre Erwartungen enttäuscht worden? Oder hätten sie vielleicht gesagt: Irgendwie ist er sich treu geblieben! Er ist nie dem Erwartungsdruck der Massen erlegen. Schon damals nicht: Er kam als König nicht im Palast zur Welt, sondern in einer Krippe – und das hat schon von Anfang an Erwartungen enttäuscht – Aber Gott sei Dank hat es das! Und genauso ist dieser König sich und seiner Mission treu geblieben: Nun kommt er auf dem Esel, wo alle von ihm einen machtvollen Einzug erwarten!
Diese Ent-Täuschung (im Sinne von: eine Täuschung zerstäubt) ist maßgeblich – scheint geradezu notwendig.
Wer in Jesus nicht einen gewaltsamen Anführer sieht, der verliert ja erst die Illusionen, dass man mit Gewalt die Welt retten könnte.
Wer in ihm nicht nur einen frommen Wanderprediger sieht, sondern den Messias, der auf dem Esel einreitet, der merkt ja erst, dass Gott diese Welt längst gerettet hat – trotz Finanzkrise, trotz Klimakatastrophe.
Wer sich über diesen Jesus nicht wundern kann, weil er nicht auf sich selbst blickt oder seinen Erfolg und sein Prestige, der wird selber nicht so frei, um sich seinem Nächsten zu öffnen.
Das ist freilich alles sehr anstrengend. Der Anfang des Advents und das Ende der Passionszeit haben aber zweierlei gemeinsam: Falsche Erwartungen sollen platzen. Denn die Erwartung ist Gott selbst: „Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus.“ (Lk 2,11)
Und: Täuschungen sollen sichtbar werden – und wenn’s so radikal ist wie am Kreuz Jesu. „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ (Mk 27,54b) sagt der Hauptmann im Matthäus-Evangelium, als Jesus gestorben ist.
Paradox gesprochen, sagt der Einzug Jesu in Jerusalem: Es hätte sich nichts geändert, wenn Jesus das geändert hätte, was die Menschen von ihm erwartet haben.