Weihnachten hervorholen (Weihnachten 2008 zu Lk 2)

Haben Sie gestern zu Hause vor der Weihnachtskrippe gesessen? Mir ist die Krippe lieb geworden, die in unserem Gemeindebüro steht. Vor Weihnachten ist jede einzelne Figur ausgepackt worden. So eine Krippe packt man ja nur einmal Jahr aus, wenn Weihnachten ist. Ansonsten verschwindet sie ja wieder für ein Jahr. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Predigt – Lutherkirche 1. Weihnachtstag 2008

Das Leben mit Gott hervorholen

15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Laßt uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.

16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.

18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. 19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

 

Und dann steht sie nun da. Direkt im Gemeindebüro.

 

Da ist der Stall. Nicht in einem Palast, nicht im Machtzentrum Jerusalem kommt der König der Ehren zur Welt. Sondern ein Stall ist die Kulisse! Das Ereignis stellt die Welt auf den Kopf: Im kleinen Bethlehem – da kommt ein Kind zur Welt, dem kein anderer Anspruch zugemessen wird als der Anspruch Gottes, die Welt zu retten. Frieden zu verheißen, für die ganze Erde.

Nicht dort, wo die Musik spielt, wo man meinen würde, dass die Macht über Krieg und Frieden liegt, nein: Dort wo es um das Elementar-Menschliche geht, in einem Stall in Bethlehem, zu deutsch: Brot-hausen – dort läßt Gott sich blicken. Dort erblickt er das Licht der Welt.

Es stellt auch das hinlängliche Bild von Gott auf den Kopf! Kein Gott, der mit machtvollem Brausen die Welt verändert, sondern aus dem Blickwinkel eines hilfsbedürftigen Säuglings mit einem Krippenplatz.

 

Der Stall ist die Kulisse für Weltgeschichte. Weitere Personen der Krippe: natürlich Josef und Maria: Josef mit einem stattlichen Wanderstab – Ausdruck für die Beschwerlichkeit der Reise. Ein gemütliches Weihnachten, stille Nacht und „süßer die Glocken nie klingen“ – das ist nicht ihre Situation.

 

Maria: Sie ist in der Weihnachtsgeschichte die erste, in deren Leben Gott mit seinem unglaublichen Plan tritt: Du wirst ein Kind gebären. Er wird Sohn des Höchsten genannt werden, verheißt der Engel. –Durch eine einfache Frau, gerade einmal verlobt, handelt Gott.

Die Marienfigur hat den Kopf geneigt, als beuge sie sich liebevoll über ihr Kind. In der Weihnachtsgeschichte allerdings hat Maria nichts Unterwürfiges oder Demütiges. Von wegen Jungfrauengeburt: Es wird von einer ganz normalen Geburt berichtet. Kein göttliches Einschreiten erspart Maria die Schmerzen der Wehen und die Angst vor der ersten Geburt. Gott macht es Maria – und sich! – nicht leicht. Ob sie in dieser Lage überhaupt an Gott denkt? Ob sie nicht an der Verheißung zweifelt, Mutter des Höchsten zu werden?

 

Komisch: Jedes Mal, wenn ich kurz vor Weihnachten ins Gemeindebüro kam, begleitete mich immer die bange Frage: Wo ist der Hauptdarsteller von Weihnachten? Die kleinste Figur. Die zerbrechlichste. Und doch die wichtigste! Die sichtbare Gestalt dafür, dass sich die Verheißung an Maria doch erfüllt. Gott wird Mensch.

Was wäre das denn, eine Krippe ohne das Christuskind? –

Ich hatte ja schon die Idee, einmal das Christuskind für einige Tage aus der Krippe herauszunehmen. Ob’s jemand gemerkt hätte? Dieser Gedanke ist sinnbildlich für eine einfache theologische Erkenntnis: Um diesen Jesus an Weihnachten wahrzunehmen, muss man genau hinschauen.

 

Und dann: Das Christuskind ist klein, aber buchstäblich das Greifbarste, was wir von Gott, den Unsichtbaren, haben. Besonders heilsam in der postmodernen Welt, in der Gott nicht mehr selbstverständlich ist. Besonders heilsam gegen religiösen Fundamentalismus jeglicher Religion, wo Jenseitsphantasien postuliert werden… Dafür möchte ich das Jesuskind hervorholen – um etwas Greifbares in der Hand halten als Zeichen dafür, dass Gott sehr wohl in diese Welt gekommen ist. Unseren Alltag durchkreuzt. Eingewoben ist in meine Geschichten – aber wohl nie abstrakt, sondern stets in menschlichen Situationen wie bei Marias schmerzhaften Geburt. Wie bei Josef, der zur Volkszählung muss, und mit allem rechnet – womöglich nur nicht mit Gott!

 

Die Krippe steht direkt neben den Hirten, – Das passt ja: Jesus bei den Hirten – die Hirten bei Jesus. Wie die Hirten vor den Toren der Stadt weit weg vom eigentlichen Leben sind und dann plötzlich die ersten Zeugen der Geburt werden, genauso sitzt der erwachsene Jesus später zu Tisch bei den Armen, Ausgegrenzten und Sündern.

 

Und jene erfahren durch Jesus von Gott, der allen Menschen gleiche Würde zumisst und sie ins Leben zurückholt. Heute rücken wir Jesus und die Randständigen oft zu weit voneinander weg. Als ob die Kirche vorrangig fürs Bürgerliche da wäre oder zur Untermauerung eines konservativen Gesellschaftsbildes. Ich werde die Figuren von Jesus und den Hirten nahe zusammenstellen!

 

II.

Einmal im Jahr wird der Weihnachtsschmuck hervorgeholt. Vielleicht ging es ihnen genauso. Buchstäblich eine „Wieder-holung“ im wortwörtlichen Sinn: Wir holen uns immer etwas wieder, einmal im Jahr.

 

Und ich bin mir ganz sicher, dass es nicht nur mir so ergeht: Mit diesem Wieder-Hervor-Holen von äußerlichen Dingen, die für uns zu Weihnachten gehören, holen wir auch immer wieder noch etwas anderes hervor: Hoffnung und Sehnsucht, dass so etwas wie Weihnachten sich immer wieder ereignet:

 

– Dass immer wieder die Botschaft des „Friedens auf Erden“ neu ausgerufen wird. Das war nicht nur gestern – sondern erst recht heute und morgen: Diese Welt hat viel zu wenig hoffnungsvolle Ereignisse hat wie die Eröffnung des passfreien Grenzverkehrs in Europa vor einem Jahr. Schnell haben wir’s vergessen. Noch vor einem Menschenleben war Krieg – nun immer sichtbarer: Brücken, Frieden, neues Vertrauen! Gott sei Dank!

 

– Oder dass das Wunder des Menschseins – und seine schnelle Gefährdung – in den Mittelpunkt rückt. Das war nicht nur die Botschaft gestern – sondern erst recht heute und morgen. Wir haben viel debattiert im letzten Jahr über Krippenplätze, über Bildungschancen. Der Kirchenkreis hat die Offene Tagstagsschule im Mühlendorf übernommen. Wir bemühen uns nach Kräften, unsere Kindergärten zu erhalten, obwohl es uns das Land entgegen den eigenen Ankündigungen nicht leichter gemacht hat. Gut so: Denn Kindergärten, Grundschulen – das sind die Orte, an denen Kinder hoffentlich auf solche Figuren und Haltungen treffen, wie sie die Hirten an den Tag legen: Sie kommen ohne Reichtümer, aber geben der Gottesfamilie so viel, weil sie einfach für sie da sind und sich über das Kind freuen. Weise ändern ihre Prioritäten und beugen sich ehrfurchtsvoll über ein Kind.

 

Hoffnung und Sehnsucht hervor-holen! Und sie nicht so schnell wieder einpacken – das wünsche ich uns allen an Weihnachten! Denn Weihnachten setzt jedes Jahr einen neuen Anfang. Das Kommen Gottes in Jesus Christus ist kein Ereignis der Vergangenheit. Sondern Gott will unser gegenwärtiges Denken, Reden und Handeln ansprechen: An welcher Stelle, als welche Figuren stehen wir im Stall? Wo trifft uns persönlich diese Weihnachtsbotschaft?

 

Es gibt keinen Bereich unseres Lebens, in denen nicht der Mensch gewordene Gott uns ein gelingendes Leben schenkte. Kein Moment und keine Situation im neuen Jahr, in dem Gott nicht unser Leben berührte. In der Gemeinde gehen wir diesen Stationen des Lebens nach, wenn wir im Jahreslauf neben Weihnachten Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten feiern. Streng genommen auch keine abgehobenen Feiertage, sondern das Aufspüren Gottes in den Höhen und Tiefen unseres alltäglichen Lebens.

 

III.

Zu guter Letzt schweift mein Blick über die Engel in unserer Krippe. Sie singen uns den cantus firmus der Freudenbotschaft: Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Die Engel kommen von oben, vom Schöpfer. Und unten, auf der Erde, wird Friede. – Das ist die alte Botschaft. Und sie verbindet sich schon jetzt mit der Jahreslosung, die noch begleitet, wenn die Krippe im Gemeindebüro schon längst wieder in den Kartons verschwunden ist: Also nochmals: Friede auf Erde – ist die Weihnachtsbotschaft. Und die Jahreslosung: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.