Zur Einführung habe ich viele Grüße in Briefform erhalten. Gute Ratschläge. Offenen oder indirekte Aufforderungen. Erwartungen. Liebesvolles, weil man uns kennt und mag, weil man Vertrauensvorschuss leistet.
1. So. n. Trinitatis #1Thess 5,14-24(23)
Sonntag: 14. So. n. Tr.
Ref. Kirche/Lutherkirche Altena
Die Gemeinde in Thessaloniki erhält am Briefschluss des Briefes von Paulus auch Grüße. Wir kennen es von längeren Briefen, dass man am Ende nochmals auf den Punkt kommt:
14 Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: [a] Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann.
15 Seht zu, daß keiner dem andern [a] Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
16 Seid allezeit fröhlich, [a]
17 betet ohne Unterlaß, [a]
18 seid [a] dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.
19 [a] Den Geist dämpft nicht.
20 Prophetische Rede verachtet nicht.
21 [a] Prüft aber alles, und das Gute behaltet.
22 Meidet das Böse in jeder Gestalt.
23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
I.
Mit „Ermahnungen“ wird dieser Briefschluss oft überschrieben. Doch über die Brillengläser hinweg oder gar mit dem erhobenen Zeigefinger muten die Ratschläge beim zweiten Blick nicht an: Dazu hat Paulus hat die Thessalonicher viel zu sehr ins Herz geschlossen. Sie gelten als seine Lieblingsgemeinde, bei der er auf seiner zweiten Missionsreise durch Europa längere Zeit aufgehalten hat und an die er schreiben kann: Ich weiß Euch in einem guten Zustand: glaubenseifrig, gelassen, fröhlich.
Diese Fröhlichkeit soll bleiben! – Die Menschen sollen ihr Leben heiligen. Daher die Ratschläge und Mahnungen, mitten in eine Zeit hinein, als der Anfangsschwung der ersten Jahre abebbt und die Christen der Hafen- und Handelsmetropole Thessaloniki zwischen alle Stühle geraten: Ihr Glaube an Jesus, den Christus, scheidet sie von Heiden und Juden. Alltägliche Reibereien drücken auf die Glaubenszuversicht.
Paulus reagiert und ermuntert: Bleibt standhaft! – Er kommt nicht mit einer hohen Kreuzestheologie wie später im Römerbrief, sondern mit einer einfachen Ethik für den Alltag: Heiligt Euer Leben, bleibt an Geist und Seele unversehrt! Rückt zusammen!
Konkret meint das:
Unordentliche – zurechtweisen!
Mutlose – trösten!
Schwache – tragen!
Geduldig sein! Nicht Böses mit Bösem vergelten! Sondern: Das Böse meiden!
Fröhlich sein! Beten!
Dankbar sein – in allen Dingen!
Über alle Punkte könnte man eine eigene Predigt halten. Summa sumarum: Prüft alles, und das Gute behaltet!
III.
Ob das auch eine Überschrift ist für unsere Gemeindesituation: Prüfet aber alles – und behaltet das Beste? –
Paulus und die Thessalonicher gehen von ganz anderen Voraussetzungen aus: Sie rechnen zu ihrer Zeit noch mit einer baldigen Wiederkunft des Auferstandenen. Heiligung des Lebens wird so etwas wie die letzte Vorbereitung für die entscheidende Gottesbegegnung, für den Moment, wenn die Toten auferweckt und alle Lebenden in die Wolken des Himmels entrückt werden (4,17).
Nüchtern müssen wir heute konstatieren: Paulus hat sich geirrt. Das Erlösung der Welt steht noch aus. Christus ist noch nicht wiedergekommen.
Taugt die Ethik des 1Thess – das Leben zu heiligen, alles zu prüfen und das Gute zu behalten – vielleicht nur für die damals angenommene kurze Zwischenzeit zwischen Ostern und der Wiederkunft Christi? Eine solche „Interimsethik“ ist auch der Bergpredigt zugemessen worden. Das Problem dabei: Es wird so getan, als ob eine Orientierung an Jesus, dem Christus, nur kurzfristig zumutbar wäre. Die Geschichte zeigt aber, dass es immer Menschen gegeben hat, die alles geprüft und das Gute im Sinne Jesu behalten und zu leben versucht haben: die getröstet, die Schwachen getragen haben, die Geduld aufgebracht haben … Ich denke in diesem Zusammenhang an Johann Hinrich Wichern, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird: Er gründete in Hamburg das Raue Haus, nahm in Not geratene Kinder und Jugendliche auf. Er hat nicht einen Gedanken daran verschwendet, dass solche „Tugendkatalog“ wie am Ende des 1Thess nur für die letzten Tage gelten könnten!
Mir fallen für heute konkrete Dinge ein, wo wir Gutes bewahren – aber auch das Böse meiden können: Müssen wir uns am Fernsehschirm unbedingt daran ergötzen, wie so genannte Sozialfahnder Hartz-IV-Empfänger auf Leistungsmussbrauch abklopfen? Sind die wirklichen Sozialbetrüger nicht eher in Lichtenstein zu suchen, auch wenn ihre Jagd kein taugliches TV-Format darstellt?
„Schwache zu tragen“, heißt für mich an diesem Beispiel konkret, deutlich zu sagen, dass es hier wohl kaum um „Gerechtigkeit“ geht, wie SAT 1 behauptet, sondern darum, im billigen Privatsender-Stil in Not und Armut geratene Menschen vorzuführen und zu diffamieren. Und auf ihre Kosten Quote zu machen.
III.
Wir merken: Uns heute mag es wohl – im Vergleich zu den Thessalonichern – weniger darum gehen, uns auf die baldige Wiederkunft Jesu vorzubereiten. Sondern: Der Text gibt uns heute Orientierung, wie wir die Welt, die noch auf Erlösung wartet, in Sinne Jesu gestalten können.
Das heißt nicht, dass wir nicht mit Gottes Gegenwart rechnen sollten oder nicht auf die Wiederkunft Christi hoffen könnten. Es geht um ein stetiges Wachsen zu dem hin, der das Haupt ist, nämlich Christus (Eph).
„Betet ohne Unterlass!“ – Im „Vater unser“ beten wir immer noch „Dein Reich komme“ – das ist weiterhin die Vision. Es bedarf heute also der Geduld und des Wartens. Wir harren aus, so wie sieben klugen Jungfrauen Öl aufbewahren, um auf den Bräutigam zu warten (Mt 25).
Das Gebet um den Lauf des kommenden Himmelreiches verstummt nicht. Die Geduld unseres liturgischen Sprechens, die ewige Wiederholung der hoffnungsvollen Worte „Dein Reich komme“ bewahrt die Verheißung auf eine Zeit, in das Gute für alle Menschen Wirklichkeit wird. So wahr, wie wir mit jedem „Vater unser“ um mehr bitten, als wir begreifen und selber erfüllen können.
Prüft aber alles, und das Beste behaltet! Wir neuen Pfarrer haben viele Briefe erhalten, mit Grüßen und Ratschlägen. Alles ist nicht zu leisten, sagt Paulus in seinem Gruß an die Thessalonicher, aber manches kann geprüft werden. Gemeinsam werden wir hier zu überlegen haben, was das Gute ist und was wir behalten wollen! Und – und das kann ja auch eine Entlastung sein, was wir hinter uns lassen können.
Wir Pfarrer haben viel Vertrauensvorschuss erfahren, in jedem Gruß, der uns erreichte. So ähnlich, wie Paulus auch der Gemeinde in Thessalonich einen immensen Vertrauensvorschuss geleistet hat. Das ist die Grundlage für jedes Miteinander: Vertrauen. Erst dann kann Paulus seine Gemeinde „ermahnen“, ohne moralisch zu werden. Erst durch die Freude über den vorhandenen Glauben kann Paulus davor warnen, dass der Glaube gefährdet ist.
Wir kennen alle solche Situationen, wo wir es eher beim freundlichen, unverbindlichen Ton belassen: bei dem magersüchtigen Mädchen, dass immer dünner wird; bei dem alten Nachbarn, der immer hilfloser seinen Alltag fristet… Und wie schwer uns ein ehrliches Wort, eine gut gemeinte Mahnung fällt, wenn wir vorher nicht eine Beziehung und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut haben.
Greifen wir – bildlich gesprochen – Paulus zu Papier und Feder: Begegnen wir einander wie Geschwister, die sich vertrauen, und sich daher auch offen „mahnen“ können. Ringen wir um das Gute!
Und: Lasst uns allezeit fröhlich sein vor unserem Gott!
Amen.