Pfarrern, so sagte neulich eine Kollegin, geht’s nur dann richtig gut, wenn sie jammern können. Sie jammern darüber, dass sie die Menschen da abgeholt haben, wo die sie befanden.
Predigt über 1. Korinther 9, 19-23 Wiblingwerde
Dass sie die Tauffeier so gestaltet haben, wie die Taufeltern es wollten. Dass versucht haben, ihre Sprache zu sprechen. Und: Dass das alles nichts gefruchtet hat. Ähnlich geht es Paulus, der sein Apostelamt – wenn auch nicht so jammernd – wie folgt beschreibt (1Kor 9,20-23)
Obwohl ich also frei und von niemand abhängig bin, habe ich mich zum Sklaven aller gemacht, um möglichst viele für Christus zu gewinnen. Wenn ich mit Juden zu tun habe, lebe ich wie ein Jude, um sie zu gewinnen. Ich selbst bin nicht mehr an das Gesetz des Mose, an die Tora gebunden; aber wenn ich unter Menschen bin, die noch daran gebunden sind, lebe ich wie sie nach dem Gesetz, um sie für Christus zu gewinnen. Wenn ich dagegen Menschen gewinnen möchte, die nicht nach dem Gesetz leben, beachte ich es auch nicht. Das bedeutet nicht, dass ich das Gesetz Gottes verwerfe, aber ich bin an das Gesetz Christi gebunden! Wenn ich mit Menschen zu tun habe, deren Glaube noch schwach ist, werbe ich wie sie, um sie zu gewinnen. Ich stelle mich allen gleich, um überall wenigstens einige zu retten. Das alles tue ich für die Gute Nachricht, damit auch ich selbst Anteil an dem bekomme, was das Evangelium verspricht.
(1. Korinther 9, 19-23 – Übersetzung nach „Gute Nachricht Bibel“)
Soll wirklich alles erlaubt sein, wenn es der Sache Jesu dient? Muss ich als Prediger so anpassungsfähig sein, dass ich die Botschaft des Gekreuzigten jedermann und jederfrau mundgerecht machen, annehmbar verkünden kann – Häppchen-Christentum statt Vollwertkost? Oder gibt es Grenzen, nicht nur die des guten Geschmacks? Wann beginnt die Sprache des Botschafters die Botschaft zu verändern, zu verfälschen, zu erschlagen? Wann wird aus Anpassung bloße Anbiederung?
Das sind Fragen, die aktueller denn je sind: Denn längst bewegt sich die Kirche auf einem „Markt der Religion“, wo es mehrere Sinnanbieter gibt, die mit ihren Angeboten und Sinndeutungen werben.
Im Rahmen der Friedhofsvisitation im Kirchenkreis ist uns Pfarrerinnen und Pfarrern nochmals neu in Erinnerung gerufen worden: Längst drängen sich freie Redner in das eigentliche Metier der Kirche, übernehmen privatwirtschaftliche Unternehmer, was jahrhundertelang unser Handwerk: Trauungen (auch ganz ohne Kirchenmitgliedschaft), Bestattungen ganz nach dem Wunsch der Angehörigen: Sprechen Sie bei der Beerdigung nur nicht über den Tod! Sprechen Sie ja nicht über Sünde und darüber, was im Leben vom Opa alles nicht gelungen ist! – – Salbungsvolle Worte werden als Dienstleistung gebucht. Je nach Wunsch formuliert’s der Redner so oder so, wobei hier nicht verschwiegen werden soll, dass es auch manchmal berechtigerweise heißt: Machen Sie etwas liebevolle als es der Pfarrer das letzte Mal machte!
Das Grundproblem ist aber eben ein anderes: Gerät der Pfarrer – gerade in dieser Konkurrenzsituation – nicht unter den Druck, es allen recht zu machen, steht er nicht in der Gefahr, zu einer konturlosen Persönlichkeit zu werden, die man nicht zu fassen bekommt – ähnlich dem Pudding, den man nicht die Wand nageln kann? Ich bin allen alles geworden, sagt selbst Paulus.
Verkündigung des Evangeliums
Nun werden Sie sagen: Moment, der Pfarrer, die Pfarrerin verkündigen doch das Evangelium. Doch auch das macht den Unterschied nicht mehr aus, denn freie Redner bedienen sich längst biblischen Texten, Gebeten, dem Evangelium. Paulus nennt daher kurz vor unserem Predigttext ein anderes Unterscheidungsmerkmal (1Kor 9,16-18).
16 Denn daß ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muß es tun. Und [a] wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!-
17 Täte ich’s aus eigenem Willen, so erhielte ich Lohn. Tue ich’s aber nicht aus eigenem Willen, so [a] ist mir doch das Amt anvertraut.
Für Paulus ist also das Entscheidende, dass er nicht aus und für sich selbst redet und auch kein Geld dafür nimmt, um nicht den Hauch eines Verdachts aufkommen zu lassen, dass er sich an seiner Predigt und seiner Mission persönlich bereichern wollte. – Daher bekommt ein Pfarrer/eine Pfarrerin auch von der Kirche das gleiche Gehalt – und nicht nach Anzahl von Besuchen, Gottesdiensten, Amtshandlungen – Gott sein Dank!)
Paulus predigt nicht aus Privatvergnügen, sondern weil ihm ein Amt anvertraut ist. Heute würden wir sagen: Wir Pfarrer predigen, weil wir eine öffentliche Beauftragung durch Sie, die Gemeinde, dazu haben. Das ist der wesentliche Unterschied: Wenn wir Menschen bestatten, tun wir das – zumindest vom Kirchenbild her – aus der Gemeinschaft einer Kirchengemeinde heraus. Wenn wir predigen, geht es nicht darum, Interessen der Einzelnen zu bedienen, sondern aus einer Gemeinschaft heraus das Wort Gottes für die heutige Zeit auszulegen und damit die Gemeinschaft neu auszusenden in den Alltag.
Ich bin kein religiöser Dienstleister, sondern wir gemeinsam ringen in der christlichen Gemeinschaft um nichts weniger als die Wahrheit. Da habe ich die ungeheure Freiheit, Worte zu finden, die ich alleine, „aus eigenen Willen“, nicht fände und mich traute, zu sagen.
Über Grenzen hinweg für alle da?:
Warum aber passt Paulus sich dann in seinem Selbstverständnis den Menschen an, wird den Juden zum Juden, den Heiden zum Heiden?
Paulus versucht, falsche Grenzziehungen, Berührungsängste, Distanzen zu überwinden. Sein Ziel ist: Menschen vom Evangelium zu überzeugen. Dabei nutzt er die Menschennähe der Botschaft Jesu aus. Und dieser ist schließlich ein Freund der Sünder und Zöllner gewesen und hatte keine Bedenken, an die Hecken und Zäune zu gehen und sich mit zwielichtigen Gestalten an einen Tisch zu setzen. Das aber führt fast zwangsläufig zu Missverständnissen und Widersprüchlichkeiten.
Nein – Paulus geht es im 1. Korintherbrief nicht um billige Kumpanei, um Anbiederung, bei der dann die Botschaft Jesu zur werbewirksamen Attitüde verkommt. Es geht nicht darum, die Sprache, die Argumente, die Lebensweise anderer unkritisch und bedenkenlos zu übernehmen.
Etwas anderes ist wichtig: Paulus versucht, die Menschen zu verstehen, denen er das Evangelium nahe bringen will. Er stellt sich auf sie ein. Darum steht am Anfang seiner Mission auch nicht die Forderung: Werdet erst einmal so wie ich. Auch stülpt er den Menschen nicht irgendwelche Richtigkeiten oder Wahrheiten über, die mit dem Leben der Menschen gar nichts zu tun haben bzw. die diese überhaupt nicht mit ihren Ansichten in Beziehung setzen können.
Damit weist Paulus uns auf eine unaufgebbare Voraussetzung jeder Verkündigung: Wir müssen erst einmal die Menschen, die wir vom Evangelium überzeugen wollen, in ihren konkreten Lebensbezügen, in ihren Nöten und Beschwernissen, in ihren Empfindungen und religiösen Ansichten, in ihren Bedürfnissen kennen lernen, ehe wir in der Lage sind, ihnen die Botschaft von Jesus Christus zu verkünden. Dazu gehört auch, dass wir die Hürden bzw. Gräben sehen, die Menschen von der Botschaft Jesu, vom Glauben trennen.
Vielleicht gibt es auch bald in unsere Gegend freie Redner, die sich gerne über die Lebensbezüge der Menschen informieren, die sich die Nöte berichten lassen, weil es ihr Beruf ist, aus diesen Informationen eine würdige Veranstaltung zu kreiieren.
Ich bin aber der festen Überzeugung, dass eine christliche Gemeinde aber aus dem Dienst- und Gemeinschaftsgedanken heraus tragfähigere Beziehungen knüpft. Dass ihre Pfarrerinnen und Pfarrer freier – und damit hilfreicher – reden können, weil sie nicht nur nicht ihre eigenen Worte benutzen, sondern auch nicht im eigenen Auftrag („aus eigenem Willen“) sprechen, sondern als Beauftragte der christlichen Gemeinde.
Der ganzen Gemeinde anvertrauten Dienst
Die Stärke der christlichen Gemeinde – auf die macht schon Paulus aufmerksam! – Wenn wir so als ist, dass ihr als ganze der Dienst anvertraut ist. Gemeinde in Sachen „Frohe Botschaft weitersagen“ aktiv sind, dann gilt es aber ein paar Einsichten zu beachten, die wir dem Apostel Paulus verdanken:
1. Mission, Verkündigung ist immer den Menschen zugewandt – unabhängig von ihrem Denken, ihren Überzeugungen, ihren Stärken und Schwächen. So wie Jesus den Hausherrn im Gleichnis vom großen Abendmahl keine Bedingungen hat stellen lassen an die, die er eingeladen hat und die er schließlich von den Hecken und Zäunen holte, so sollen wir auch keine Vorbedingungen stellen.
2. Wer andere Menschen überzeugen will, muss selbst überzeugt sein. Voraussetzung aller Mission ist: Dass wir selbst ergriffen sind von Jesu Botschaft, und dass wir das glaubwürdig vertreten und leben, was wir anderen als unverzichtbare Hoffnungskraft anempfehlen.
3. Der überzeugte Glaube, die Erfahrung der Gnade schenkt uns die innere Freiheit, angstfrei auf die Menschen zugehen, die unsere Überzeugungen nicht teilen, sie ablehnen, deren Lebensweise und Sprache uns abschrecken. Von dieser Freiheit, das schönste Geschenk des Glaubens, gilt es, Gebrauch zu machen – auch im Blick darauf, dass wir die Vielfalt des Denkens und Glaubens als grundsätzlich positiv bewerten. Allerdings sollte uns bewusst sein: Wer immer sich auf den Markt der sinnstiftenden Angebote begibt, wer sich mit seinem Glauben dem rauen Klima des Pluralismus aussetzt, gibt ein Stück Sicherheit seines Glaubens auf.
4. Auch als Kirche, als Gemeinde haben wir dieses Risiko einzugehen, wenn wir uns den Menschen zuwenden, aus unseren Gemäuern heraustreten, unsere Türen öffnen. Dann müssen wir damit rechnen, dass auch Menschen zu uns stoßen, denen wir erst einmal zuhören müssen, um sie zu verstehen. Deren Sprache wir lernen müssen, um zu begreifen, was sie bewegt.
5. So entspricht die Missionsstrategie des Paulus dem, was ein wesentlicher Bestandteil einer auf Verständigung angelegten und in der Feindesliebe wurzelnden Friedensethik ist: Vom anderen her denken, sich zunächst auf seine Bedürfnisse, Fragen, Ängste einlassen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern erfordert die Stärke befreiten Glaubens.
6. Aber dann gilt es auch Farbe zu bekennen – wenn dies überhaupt noch nötig ist. Denn wenn wir den Menschen so begegnen, wie dies Paulus getan hat, dann ist das schon in sich Verkündigung: Verzicht auf eigene Ansprüche, Neugier auf das Gegenüber. Dem Menschen sagen: Du bist mir wichtig, nicht als Objekt meines missionarischen Eifers, sondern als Mensch, als Geschöpf Gottes, dessen Lebenswert nicht vom Erfolg meiner Bemühungen abhängt. Es kommt mir darauf an, dass du etwas erfährst von der Rechtfertigung deines Lebens vor Gott.
Wir möchten die Menschen verstehen – auch das verstehen, was Menschen abhält, Jesus Christus nachzufolgen (und manchmal sind wir selbst ja die Schwellen, die anderen unüberwindlich erscheinen). Und wir möchten den Menschen das nicht vorenthalten, was jeder Mensch dringend zum Leben brauchen: Die Maßstäbe der Gebote und die Botschaft Jesu, dass jeder Mensch von Gott geachtet und zum Leben eingeladen ist, selbst der, der sich zunächst hinter den Hecken und Zäunen versteckt.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.