Glaubwürdig sein als Christ (Septuagesimae 2006 zu Lk 9,57-62)

Sind wir als Gemeinde glaubwürdig? Bin ich es als Pfarrer? Seid Ihr es als Konfirmanden, als Taufpate, als Frauenhilfsfrau, als Presbyterin? – Nimmt man uns ab, dass wir uns zu Jesus, dem Christus, zählen und so leben wollen, wie er es uns gezeigt hat?

Predigt – Paul-Gerhardt-Haus

Sonntag: Septuagesemiae Datum: 12.2.2006

 

Da haben wir sicher alle leise Zweifel. Albert Schweitzer, der Urwaldarzt in Lambarene, der war ein Vorbild im Glauben; Mutter Teresa, die in Kalkutta die Kinder von der Straße holte – sie war eine große Zeugin des Glaubens. Und Martin Luther King, der in den USA gegen die Diskriminierung von Schwarzen kämpfte, weil er verstanden hatte, dass Jesus keinen Unterschied zwischen Menschen machte. Aber wir …?

 

Hängen wir’s tiefer und vergleichen wir uns nicht gleich mit den Heiligen des 20. Jahrhunderts! Dennoch ist es unser Thema: Denn von Glaubwürdigkeit reden heute viele: im Verhältnis von Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern, in der Politik, in der Kirche. Menschen sollen her, denen man abnimmt, wovon sie reden, weil sie tun, was sie sagen.

 

Hin und wieder ist es eminent wichtig, sich diese Frage zu stellen: Sind wir glaubwürdig? – Denn in unserer Volkskirche – das ist ja ihre große Stärke – gehören erst einmal alle dazu, die getauft sind. Der evangelische Glaube beschert eine große Freiheit. Jeder selbst ist verantwortlich: Ob er sich einmal in der Woche Zeit für Gott nimmt und in den Gottesdienst kommt; ob er sein Kind taufen lässt oder nicht. Ob er zur Konfirmation geht – und das nicht nur, weil es Geschenke gibt. Ob er regelmäßig seine Kirchensteuer zahlen will oder austritt. All das schreiben wir Amtsträger Euch nicht vor, sondern es liegt in der Freiheit und in der Verantwortung jedes einzelnen.

 

Gott sei Dank ist das so! – Religion ist nicht Zwang. Und Glaube ist nicht ein Fürwahr-Halten dessen, was irgendwelche Autoritäten meinen, was wir für wahr halten sollen. Sondern: Religion ist meine ganz persönliche Beziehung zu Gott, die ich mit anderen teilen soll und die veränderbar ist, die mir aber niemals von außen aufgezwungen werden kann. – Das ist nicht nur die Erkenntnis Martin Luthers gegen die Lehrautorität der mittelalterlichen Kirche gewesen. Es ist eine sehr aktuelle Erkenntnis in Zeiten, in denen fundamentalistische Islamisten ihre Glaubensbrüder zur Gewalt anstacheln und in der arabischen Welt westliche Botschaften brennen. Religion muss frei sein von jeglicher Indoktrination. Sie muss frei sei, und jeder muss selber die Heilige Schrift – welche auch immer – lesen können und verstehen dürfen. Und natürlich darf dann jeder auch protestieren gegen die Verletzung seiner religiösen Gefühle – aber friedlich, im Geiste seiner Religion.

 

Hier sind wir bei Dietrich Bonhoeffer: Er wurde dadurch glaubwürdig, dass er durch die Bibel seine eigene Beziehung zu Gott fand – und dass er sich in diesen Glauben nicht absprechen ließ: Weite Teile der evangelischen Kirche ließen sich 1933 vor den Karren der Nationalsozialisten spannen. Alttestamentliche Elemente wurden als der Liturgie verbannt. Pfarrer, die jüdische Vorfahren hatten, wurden aus dem Dienst entfernt, weil die Rassegesetze auch in die Kirche Einzug hielten. Bonhoeffer erkannte, dass dies mit Jesus, dem Christus, nichts zu tun hatte. In der eigenen Kirche stellte er die Bekenntnisfrage: „Wer nicht für die Juden schreit, darf auch nicht mehr gregorianisch singen.“ Wessen Glaube also nicht mehr am Ruf Jesu und an der Schrift hing, sondern an der nationalsozialistischen Ideologie, der gehörte für Bonhoeffer nicht mehr zur Kirche – auch wenn er getauft war.

 

In Finkenwalde, im Predigerseminar der Bekennenden Kirche, sammelte er junge Theologen um sich. Gemeinsam lebten sie und üben sie, wie man Christ sein kann. Wie man glaubwürdig wird. Wie man ernsthaft Christus nachfolgt.

 

In Finkenwalde entstand Bonhoeffers Buch „Nachfolge“. Das Neue Testament kennt viele Nachfolge-Geschichten, an denen sich auch Bonhoeffer immer wieder orientiert hat und die helfen, auch für uns über neue Glaubwürdigkeit nachzudenken:

 

Lk 9,57 Vom Ernst der Nachfolge

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.

58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

59 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.

60 Aber Jesus sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

61 Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. [a]

62 Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. [a]

 

 

Drei Männer begegnen also Jesus. Der erste sagt etwas sehr Intimes: Ich will dir folgen. Stürzt er sich in blinde Abhängigkeit? Gibt er seine Freiheit auf?

Ganz im Gegenteil: Jesus nutzt die Situation nicht schamlos aus, wie es ein religiöser Führer machen würde, der möglichst viele Gläubige um sich scharen will. Er stellt nüchtern fest, dass es nicht einfach ist, ihm nachzufolgen: Die Füchse haben Gruben, die Vögel unter dem Himmel haben Nester. Aber der Menschensohn hat keinen Ruheplatz. Er ist schutzlos, er ist rastlos, heimatlos.

Eine eindringliche Warnung: Christsein spielt sich nicht unbedingt in einem gemütlichen Kirchengebäude ab, nicht an einem festen heimischen Platz. Sondern auf dem Lebensweg, im Alltag. Auch mal dort, wo man kein schützendes Dach über dem Kopf hat. Oder gar dort, wo einem der Boden unter den Füßen verloren gegangen ist.

 

Bonhoeffer hat diese Schutzlosigkeit gespürt: Er verlor seine Lehrerlaubnis als Hochschullehrer, sein Predigerseminar wurde geschlossen. Er flüchtete in die USA und entschied, dass er seine Freunde in den deutschen Gemeinden nicht im Stich lassen wollte. Gezielt in die Schutzlosigkeit kehrte er zurück. Er wurde 1943 verhaftet – und selbst im Gefängnis blieb sein Glaube an Jesus Christus. Er schrieb Gedichte und aufmunternde Briefe an seine Verlobte.

 

Wie viel weniger riskieren wir heute, wenn wir unseren Weg mit Jesus, dem Christus, suchen?

 

III.

Der zweite Mann wird von Jesus selber angesprochen: „Folge mir nach!“ Jesu Ruf trifft diesen Menschen aus heiterem Himmel. Er wehrt sich nicht einmal. Er will auch mitkommen. Aber wenn er schon alles aufgibt und seine Familie im Stich lässt, will er wenigstens noch das tun, was das Mindeste: seinen Vater begraben. – Die Haltung Jesu wirkt pietätlos: Lass die Toten ihre Toten begraben und folge mir nach!

 

Die Situation erforderte eine sofortige Entscheidung. – Vor einer solchen Entscheidung stand immer wieder auch Dietrich Bonhoeffer – und eigentlich auch wir: Hören wir darauf, was unser christliches Gewissen sagt? Gehorchen wir Gott mehr als den Menschen (Apg 5,28)? Für Bonhoeffer fiel sogar die Entscheidung, in den politischen Widerstand zu gehen: Man muss nicht nur die Opfer am Wegesrand verbinden, hat er gesagt, sondern dem Rad in die Speichen greifen.

 

Wenn sich unser Christsein wirklich im Alltag erweist, dann stehen wir immer wieder vor solchen Entscheidung wie dieser Mann, dem der Ruf ereilt ereilt:

– auf dem Schulhof: wenn ich gemobbt oder geschlagen werde – gebe ich mir einen Ruck und schlage nicht zurück?

– in der Nachbarschaft: wenn ich höre, dass jemand krank und alleine ist – gebe ich mir einen Ruck besuche ihn?

– im Bus: wenn jemand abfällig über die Ausländer spricht – gebe ich mir einen Ruck und rede dagegen?

Nachfolge Jesu, wo wie Bonhoeffer sie verstand, hat immer auch mit Zivilcourage zu tun: Es gibt laufend Situation, in denen wir vor die Frage gestellt sind, ob wir in unserem Handeln Jesus folgen wollen.

 

 

 

IV.

Der dritte Mann schließlich sagt selber, dass er Jesus nachfolgen will. Aber erlaube zuvor, dass ich Abschied von meinem Haus nehme.

Ja, aber! Hier hat ein Mensch seinen eigenen Plan und teilt ihn Jesus mit. Er stellt eine Bedingung: Ich folge dir, wenn ich eben kurz noch Abschied nehmen kann. Er nimmt die Nachfolge in die eigene Hand.

 

Doch da macht Jesus nicht mit: Wer seine Hand an den Pflug legt und erst noch zurück sieht, der ist nicht für die Nachfolge geeignet. Ein harter Grundsatz! – Aber ein logischer: Denn auch für Dietrich Bonhoeffer konnte es in der Nachfolge keine „ja aber“’s geben und keine Kompromisse: Der Glaube an Christus und der Glaube an Adolf Hitler war nicht gemeinsam möglich. Der Glaube an den Schöpfer aller Menschen und der irrsinnige Glaube, dass die deutsche „Rasse“ überlegen sein sollte, passte nicht zusammen.

Gerade dass Bonhoeffer – um im Bild des Pfluges zubleiben – nicht zwei Dinge den Blick nehmen konnte, macht ihn mir glaubwürdig.

 

V.

Wo sind unsere Orte, an denen wir glaubwürdig werden? – Gibt es eine innere Haltung, um neue Glaubwürdigkeit zu gewinnen?

 

Bonhoeffer hat immer wieder in der Bibel gelesen, vor allem im Gefängnis. Er hat auch immer wieder seine Zweifel ausgedrückt, so wie im Gedicht „Wer bin ich“. Wenn er für uns also ein glaubwürdiges Vorbild sein kann, dann gerade auch dadurch, dass er wie ein Mensch wie Du und ich bei allem Gottvertrauen aus seiner Angst und seinem Zweifel keinen Hehl gehabt hat.

 

Aber: Er hat sich von Gott geborgen gewusst – und das ist das aller Erste und Wichtigste für die Nachfolge, zu sagen oder manchmal auch nur zu stammeln:

Von guten Mächten wunderbar geborgen/

Erwarten wir getrost, was kommen mag,

Gott ist bei uns am Abend und am Morgen

Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Wie viele Menschen haben Leid und sogar den Tod ertragen, weil er sich von guten Mächten geborgen wusste?

 

In Bonhoeffers Glaubensbekenntnis heißt es:

„Ich glaube,

dass Gott in jeder Notlage

so viel Widerstandskraft geben will,

wie wir brauchen.

Er gibt sie aber nicht im Voraus,

damit wir uns nicht auf uns,

sondern auf ihn verlassen.“

 

 

VI.

Wie erlangen wir neue Glaubwürdigkeit als einzelne Christen und als Kirche? – Ich denke, wir brauchen zwei Dinge:

 

Wir brauchen das feste Zutrauen, wirklich von guten Mächten treu und still umgeben zu sein – von Gott, der am Abend und am Morgen – und ganz gewiss an jedem neuen Tag – bei uns ist. Gerade auch dann, wenn wir den schweren Kelch zu trinken haben. Er gibt uns Halt, was auch immer auf uns einprasselt. Selbst dann, wenn wir ernstlich an ihm zweifeln, gilt: Gott kennt mich!

 

Und zweitens wünsche ich mir, dass wir in Bewegung kommen und zum Aufbruch: Dietrich Bonhoeffer war glaubwürdig, weil er so handelte, wie er redete, und so redete, wie er handelte. Bei Johannes Rau war es ähnlich.

Mir ist es nicht egal, wenn Menschen in oder außerhalb der Gemeinde nicht mehr nachvollziehen können, warum wir dies hier alles (noch) machen: Gottesdienste, Konfirmandenunterricht, Frauenhilfe.

Sondern jeder soll uns abspüren können, dass wir ernst nehmen, was wir sonntags von Gott und Jesus hören, uns einander ernst nehmen und dass es für uns Konsequenzen hat montags bis samstags. Dazu brauchen wir nicht ein Albert Schweitzer, eine Mutter Theresa oder ein Dietrich Bonhoeffer zu werden.

 

Wir werden andere werden, zu denen man hoffentlich sagt: Ich nehme Dir ab, dass Du mit Gott durchs Leben gehst.