Solange die Erde noch steht (20. So. n. Tr. 2005 zu Gen 8,18-22)

Die Sinnflut ist zu Ende. Noah und die Seinen verlassen die Arche, danken Gott mit einem Brandopfer. Gott antwortet: „22 Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

Predigt – Paul-Gerhardt-Haus

Sonntag: 20. So. n. Trinitatis Datum: 09.01.2005

Predigtthema/-text: #Gen 8,18-22

Dieser Satz scheint doch reichlich lapidar. Dass der Tag auf die Nacht, der Sommer auf den Winter folgt, dass Frost und Hitze sich abwechseln und Aussaat auch zur Ernte führt, das sind ja selbstverständlich. Das kommt ganz von alleine. Die Natur hat ihren verlässlichen Verlauf. Darauf können wir uns auch verlassen.

 

Oder?

 

Ich habe noch die Bilder von den Hurrcans Kathrina und Rita in den USA vor Augen. Oder das Seebeben vor Asien am Jahresanfang. Da ist der Lauf der Natur alles andere als normal gewesen. Oder ich weiß: Die Sommer werden immer heißer. Das sind die Vorboten des Klimawandels; und der natürliche Ablauf von Sommer und Winter ist durchbrochen.

Heute säen viele Menschen auf der Welt aus, aber das Getreide verdorrt. Kein Wasser! Saat und Ernte wechseln sich nicht überall ab.

Überhaupt: Der Lauf der Dinge ist nicht so automatisch vorgezeichnet: Dass jeder junge Mensch schnell einen Ausbildungsplatz findet – nicht mehr selbstverständlich. Dass die einmal geschlossene Ehe für immer hält – schon zur Zeit Jesu nicht garantiert [Evangelium]. Oder: Es ist kein Selbstläufer, dass ich viele Jahrzehnte gesund durchs Leben gehe. Dass die Eltern vor mir sterben. Es kommt oft anders!

 

 

  1. Will Gott bestrafen?

 

Wehe, es kommt anders als üblich! Dann ist unser Vertrauen in diese Erde erschüttert. Wir fragen uns, wenn Fluten alles mit sich reißen oder sich andere Katastrophen ereignen: Warum? Wieso dort? Wieso mich? Wieso die? Hat hier jemand etwas falsch gemacht? Hätte man das verhindern können?

 

Als New Orleans buchstäblich unter ging, hatten christlichen Fundamentalisten schnell eine Erklärung parat. Sie sagten: Der Herr straft die sündigen Menschen – und New Orleans sei eine Stadt der Sünde gewesen: Voller Sex, Drogen, Gewalt, Alkohol.

 

Der Hurricane als eine Strafe Gottes? Eine zweite Sinnflut, so nach dem Motto?:

„Als aber der Herr sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten des Herzens nur böse war für immerbar, da reute es ihn, dass er den Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Memschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“ (Gen 6,5ff.) Und Gott schickte die Sinnflut über New Orleans, die Stadt der Sünde.-

 

 

Liebe Gemeinde,

bis auf den letzten Satz stehen diese Sätze tatsächlich am Anfang der Sinnflutgeschichte. Der Schöpfer hat seine Geschöpfe satt. Er will sie vernichten.

Und ich kann ihn verstehen:

Als noch alles wüst und leer war, hat er eine Erde geschaffen, auf der alles gut ist:

Das Licht, Tag und Nacht – war gut!

Himmel und Erde, Meer und Land – war gut!

Tiere – waren gut!

Den Mensch schließlich: er war sehr gut. Gott schuf ihn als seinen Vertreter und Verwalter auf der Erde: Der Mensch sollte die Erde bebauen und bewahren. Gott schuf den Menschen, um jemanden lieb haben zu können, um mit jemanden sprechen zu können. Er gab ihm viel Freiheit, denn das ist ein echter Liebesbeweis: Freiheit.

 

Und dann? – Der Sündenfall. Adam und Eva. Da ging es nicht um Sex, Drogen, Alkohol und Gewalt, was die Fundamentalisten in New Orleans „Sünde“ verstehen. Sondern es ging um wirklich „fundamentale“ Frage: Kommen wir Geschöpfe auch gut ohne unserern Schöpfer aus? Brauchen wir wirklich seine Gebote? (Hier lauert die eigentliche Sünde.)

 

Und direkt danach: Kain schlägt seinem Bruder Abel den Schädel ein – der erste Mord der Menschheitsgeschichte gleich im vierten Kapitel der Bibel! – Was ist aus dem freien Menschen, dem Gottesgeschöpf, geworden?

 

Gott nimmt sich vor, zu strafen. Er sieht seine Liebe verraten. Der fühlt sich um sein großes Herz betrogen: Warum war ich nur so naiv, den Menschen so lieb zu haben, dass ich ihm alle Freiheiten gab, selbst die Freiheit, sich und seine Beziehungen zu zerstören? Ich sende eine große Flut, die alles platt macht.

 

 

  1. [Gottes Kertwende]

 

Haben also die fundamentalistischen Christen recht, wenn sie den Hurricane von New Orleans als Strafe Gottes deuten? Ist Gott ein rächender Gott? (Allzu oft wird behauptet, dass Gott im Alten Testament ein rächender Gott, während Gott im Neuen Testament dargestellte Gott der gütige und liebende Vater Jesu Christi ist. Stimmt’s?)

 

Liebe Gemeinde,

Gott sei Dank geht die Sinnflut-Geschichte geht anders weiter. Überraschend anders. Und das macht das Versprechen Gottes, dass Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören möge, zu alles anderem, nur nicht zu einer Lapalien!

 

Gott rettet durch die Sinnflut hindurch den Noah und die Tiere. Noah verlässt nach langer Zeit der Angst die Arche.

18 So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, [a]

19 dazu alle wilden Tiere, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen.

 

Noah dankt Gott für die Errettung aus der Flut durch ein Brandopfer:

20 Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem [a] reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar.

 

Und dann wird die Kehrtwende Gottes deutlich. Als ob er sich dafür schämt, was er den Menschen angetan hat:

 

21 Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen;

 

Der Gott, der kurz zuvor noch mit seiner Schöpfung abschließen wollte – der will den Menschen nicht mehr verfluchen. Gerade noch sollte Saat und Ernte nicht mehr einander folgen, auf Sommer kein Winter mehr kommen, dem Tag nicht mehr die Nacht folgen, geradezu kein Stein mehr auf dem anderen bleiben.

 

Doch Gott hat seinen Plan umgeworfen. Und nun wird das augenscheinlich Selbstverständliche ein großes Wunder: Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht – sie sollen sich doch weiterhin abwechseln. Gott hat sich anders entschieden: Er hält an seiner Schöpfung und an uns Geschöpfen fest.

 

Gott ist hier nicht der unbewegte Urheber aller Dinge, der einmal die Erde geschaffen hat und sie dann zurückgezogen hat. Das ist nicht irgendein absolut höchstes Wesen, unendlich und leidensunfähig, wie die Philosophie Gott denkt. Sondern: Gott liebt und bereut. Wie ein Mensch – und er wird dann ja auch Mensch. Gott ist ein „Du“, ein Gegenüber, so pesönlich und nah wie ein Vater. Jesus hat ihn „Väterchen“ genannt.

 

Diese Kertwende Gottes macht es mir unmöglich, beim Hurricane an eine Strafe Gottes zu denken. Solange die Erde steht, schickt nicht Gott nochmals eine solche Sinnflut, lautet sein Versprechen. Daran halte ich mich!

 

 

  1. [Der Mensch vor Gott]

 

Gott übersieht nicht, wie der Mensch ist. Er hat so seine Erfahrungen gemacht:

21b Denn das [a] Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.

 

Aber obwohl – ja gerade weil! – er weiß, dass der Mensch fehlbar ist, hält er an ihm fest. Kain und Abel laufen auch durch unsere Straßen heute. Der Griff zu den verbotenen Früchten ist auch uns nicht fremd. Und wie häufig bringen die guten Weisungen, die Gebote Gottes unsere Augen nicht zum Leuchten (Wochenpsalm 19), sondern erscheinen uns als unnötig.

 

Weil Gott das sieht, weiß er auch, dass er mit seiner Liebe immer in „Vorleistung“ gehen muss. Dass er enttäuscht werden kann. Aber er tut’s trotzdem – uns zur Liebe.

 

Er schränkt uns nicht ein: Er belässt es bei unserer Freiheit. Mehr noch: Er bestätigt am Ende der Sinnflut unsere Freiheit neu. Er bestätigt den Rahmen für unser Leben: die die guten Ordnungen der Schöpfung mit Saat und Ernte, Frost und Hitze, mit Sommer und Winter, Tag und Nacht. Vieles ließe sich ergänzen!

In diesen Rahmen sind wir frei und es ist uns möglich, diese Welt zu bewegen, zu bepflanzen, zu bebauen:

Wir haben die Freiheit, zu ernten und miteinander zu teilen, was die Erde hergibt [Abendmahl]. Es reicht für alle!

Wir haben die Freiheit, uns füreinander Zeit zu nehmen, denn Tag und Nacht wechseln sich ab, solange die Erde steht. Es dürfte keiner einsam sein!

Wir sind so frei, über diese Erde zu staunen: Welch ein Wunder sind die Jahreszeiten, welche in Wunder, dass die Ernte eingefahren werden konnte. [Dafür haben letzte Woche beim Erntedankfest gedankt.] Es müsste nicht mehr gedankenverloren die Erde ausgebeutet werden!

 

Glaubte ich an einen strafenden Gott, wäre mir diese Freiheit genommen. Dann käme ich um vor Angst. Dann könnten mir Menschen Angst machen mit Gott, wie es oft genug Fundamentalisten machen. Dann trennte sich die Welt in die, die sich für gut genug erachten, von Gott belohnt zu werden, und in die, die bestraft werden müssen.

 

Hier aber tritt uns der liebende Gott gegenüber. Er greift uns unter die Arme mit einem Versprechen, dass alles andere als selbstverständlich und lapidar ist:

 

Tatsählich, so ist es: So lange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

 

Amen.