Worauf warten wir? (2. Advent 2002 zu Lk 21,25-31 mit EG 536)

Worauf warten wir? Betriebsam arbeite ich meinen Terminkalender durch, gerade jetzt vor Weihnachten. Viel zu kurz die Zeit, dass ich gemütlich vor dem Adventskranz sitze, das Weihnachtsoratorium auflege – und in mich aufnehme, was da verheißen ist.

 

Steht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. […] Das Reich Gottes ist nahe.

 

So nennt es der heutige Evangeliumstext. Aufrüttelnd, animierend, geradezu selbstverständlich scheint der Text aufzurufen:

 

Auf, auf ihr Christen alle, euer König kommt heran! / Empfanget ihn mit Schalle, / den großen Wundermann. / Ihr Christen, geht herfür, lasst uns vor allen Dingen / ihm Hosianna singen / mit heiliger Begier.

 

So haben wir es auch gerade gesungen.

 

 

  1. [Wir wissen nicht, was kommt.]

Aber es sind ja nicht nur die Erledigungen, die vorweihnachtliche Hetze, die uns belasten – und uns womöglich den Blick verstellen auf das Kommen des Menschensohnes.

 

Es gibt viel tiefergehende Ängste: Existenzängste, Zukunftsängste, die tiefen Seufzer der Kreatur, die wir von uns – und wenn wir gut zuhören – auch von unseren Nächsten kennen: Wir wissen nicht was kommt.

 

In der Sprache des Lukas:

25 […] , und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und den Wogen des Meeres,

26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht […].

 

Wir wissen nicht, was kommt.

Wenn Sie nochmals das Lied aufschlagen mögen, das wir gerade gesungen haben (EG 536):

Dieses Lied ist gezeichnet von existentiellen Ängsten, vor Furcht vor dem völlig Untergang.

Johann Rist, der es textete, kennt „betrübte Herzen“ und Menschen mit Angst und Schmerzen (Strophe 2). Er hat „Vielgeplagte“ und Menschen in Not vor Augen (3).

Kein Wunder: Das Lied entstand wenige Jahre nach dem 30-jährigen Krieg – auch die Zeit Paul Gerhardts, eine Zeit der Weltuntergangsstimmung, des Zweifels an der Menschheit.

 

Auch heute mag man den Eindruck haben, wo der Terror kein Ende nimmt und die ungerechte Verteilung unserer Lebensgüter weite Teile der Erde in den Ruin treibt:

Wir wissen nicht, was kommt.

 

III. [ Wir wissen, wer kommt.]

Aber – und das ist die zweite Botschaft, die der Predigttextes und das Liedes von Johann Rist in die Furcht des Menschen hineinsprechen:

 

Wir wissen, wer kommt.

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! (Ps 24)

Ein ganz anderer König, als der Jesus dann später nach Jerusalem einreitet: nicht majestätisch, sondern auf einem Esel, nicht distanziert und unnahbar, sondern ein zum Greifen naher Mensch:

Dieser König ist gar nah!

Und was er zu leisten vermag:

Er ist nahe und tröstet: Seht, wie so mancher Ort / hochtröstlich ist zu nennen, / da wir ihn finden können (Strophe 2)

Er ist nahe und hilft:

Der Herr will in der Not / mit reichem Trost euch speisen,

er will euch Hilf erweisen, ja dämpfen gar den Tod.

 

Wir wissen nicht, was kommt, aber wir wissen wer kommt:

Gott selber wird Mensch. Er begibt sich mitten in die Welt. Das lässt hoffen.

Für mich hat diese Hoffnung hat einen Namen: Jesus von Nazareth.

Für mich hat diese Hoffnung ein Gesicht: das Angesicht Gottes, das in ihm aufleuchtet.

Für mich ist diese Hoffnung eine Person: ein Mensch, kein Gespenst oder ein entfernt thronender, jenseitiger Gott, sondern ein Mensch wie Du und ich:

Er kommt in einem einfachen Stall zur Welt, in Armut und unbemerkt. Dieser Mensch entwickelt seine eigenen Hoffnungen, er erfährt Enttäuschungen und leidet Schmerzen durch quälendes Unrecht, das ihm widerfährt.

Schließlich: Er stirbt, wie ein Mensch stirbt. Sogar: Er stirbt den unwürdigsten und hässlichsten Tod, den man sich damals vorstellen konnte: am Kreuz.

 

Die Adventsbotschaft des heutigen Sonntags mag gar nicht vorwiegend für die gedacht sein, denen es gut geht, sondern: Diese Adventsbotschaft gilt denen, die in Angst und Not stecken. Dabei machen es sich sowohl der Evangelist als auch der Lieddichter nicht einfach:

 

Das Leid dieser Welt wird einfach weggewischt: Für unsere Zukunfts- und Existenzängste gibt es meistens keine schnelle Lösungen. Das kennen Sie, das kenne ich nur zu gut: Ängste und Schmerzen gibt es, Verängstigte und vom Schmerz Gezeichnete begegnen uns.

 

Weggewischt ist das nicht einfach. Aber: Gott kommt mitten hinein in diese Ängste und Schmerzen. Er lernt sie quasi am eigenen Leibe kennen.

 

 

  1. Worauf warten wir!]

Für Johann Rist bleiben die Hochbetrübten zunächst die Hochbetrübten (Strophe 5), aber: Angst und Pein haben an Macht verloren, weil Gott an unserer Seite steht.

 

Wir singen die Strophen 4+5.

 

  1. Frischauf in Gott, ihr Armen,

der König sorgt für euch;

er will durch sein Erbarmen

euch machen groß und reich.

Der an das Tier gedacht,

der wird auch euch ernähren;

was Menschen nur begehren,

das steht in seiner Macht.

  1. Frischauf, ihr Hochbetrübten,

der König kommt mit Macht;

an uns, sein‘ Herzgeliebten,

hat er schon längst gedacht.

Nun wird kein Angst noch Pein

noch Zorn hinfort uns schaden,

dieweil uns Gott aus Gnaden

läßt seine Kinder sein.

 

Die bange Frage, „worauf warten wir?“, wird zur einladenden, aufrüttelnden Handbewegung: „Worauf warten wir!“

Mitten in die Nachkriegszeit des 30-jährigen Krieges hinein: ein Aufschrei, ein Appell, die Arme zu öffnen für Gott.

Unser Gesangbuch ist voll von Liedern, in Not und Angst gedichtet, die aber mutig und vertrauend auf Gottes Hilfe das Licht im Dunkel des Lebens beschreiben:

Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern“, dichtete Jochen Klepper, verheiratet mit einer Halbjüdin, 1938: Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein: / Der Morgenstern bescheine auch deine Angst und Pein.

 

Keine schnelle Veränderung, aber Befreiung aus Angst und Lähmung:

„So lauf mir schnellen Schritte, den König zu besehen“ (6):

Worauf warten wir!!!

Solche schnellen Schritte, die Johann Rist beschreibt, können wir alle laufen: auch die Alten, die Angst und Not aus Krieg und Nachkriegszeit kennen, die ihre Erfahrungen mit einem gnädigen Gott weitersagen können!

Solche schnellen Schritte können auch die Jungen laufen, die andere, aber für sie nicht weniger wichtige Ängste kennen und doch oft unbekümmert nach Gott fragen!

Solche schnellen Schritte können wir als Kirchengemeinde tun: Der Advent drängt uns, alles zu tun, was die Botschaft dieses Jesuskindes sichtbar macht – und alles zu lassen, was uns in eine andere Richtung laufen lässt!

 

Wir singen die Strophe 6-7:

 

  1. So lauft mit schnellen Schritten,

den König zu besehn,

dieweil er kommt geritten

stark, herrlich, sanft und schön.

Nun tretet all heran,

den Heiland zu begrüßen,

der alles Kreuz versüßen

und uns erlösen kann.

  1. Der König will bedenken

die, welch‘ er herzlich liebt,

mit köstlichen Geschenken,

als der sich selbst uns gibt

durch seine Gnad und Wort.

Ja, König hoch erhoben,

wir alle wollen loben

dich freudig hier und dort.

 

Das Lied schließt mit einem großen Engelchor, einem großen Hosianna, das wir als „Heilig, heilig“ gleich, wie immer, auch vor dem Abendmahl singen:

Drum woll’n wir alle singen / die Stimmen hoch erschwingen, / dir Hosianna singen / und ewig dankbar sein.

 

Der Advent ist keine oberflächliche Zeit der Freude.

Der Advent ist ein tiefer dankbarer Seufzer, der sagt: Wir wissen, wer auf uns zukommt! – Wir wissen nicht, was auf uns zukommt, aber wer:

 

– ein gnädiger Gott.

– ein befreiender Gott, der uns Zwänge nimmt, uns den Blick schärft für das anbrechende Gottesreich.

– ein Gott, der es mit uns immer wieder neu versuchen will, wenn wir ihn aus dem Blick verloren haben.

 

Worauf warten wir also!!!

Lasst uns ihm das Hosianna, das Gotteslob, singen (Strophen 8).

 

  1. Nun, Herr, du gibst uns reichlich,

wirst selbst doch arm und schwach;

du liebest unvergleichlich,

du jagst den Sündern nach.

Drum wolln wir all in ein

die Stimmen hoch erschwingen,

dir Hosianna singen

und ewig dankbar sein.

 

Kanzelsegen