Es nützt nichts, sich darüber zu beklagen, dass es an Pfingsten mehr um das Urlaubswetter und die Verkehrsnachrichten geht als um das wichtige Ereignis, von dem wir gerade in der Lesung gehört haben: Gott sendet seinen Geist aus, der die Jüngerinnen und Jünger Jesu wie eine Windböe packt und aufrüttelt. Sie sollen und können die Frohe Botschaft von diesem Gott weitersagen – allen Sprachbarrieren zu Trotz.
Wir sollen die Tragweite dieses Ereignis für uns hier und jetzt nicht unterschätzen! – Die Geistausgießung auf die Jüngerinnen und Jünger Jesu ist das Ereignis, das die Kirche immer noch in Atem hält, weil es ihr Atem verschafft. Es ist das Geschehen, dass uns auch nach 2.000 Jahren verbindet mit der Hoffnung und dem Glauben der Nachfolgern Jesu. Und: Pfingsten verknüpft wie ein Band die weltweite Kirche mit dem Herrn der Kirche, Jesus Christus, selbst.
Deshalb: Mitten in den Urlaubs- und Feriengeist dieser Tage hinein der Versuch, dieses Pfingstenerlebnis in unserer Welt aufzuspüren.
[I. Psalm 67 auf deutsch, polnisch, arabisch, kisuaheli – oder: Gottes Geist bewegt den ganzen Erdkreis]
Am vergangenen Sonntag kamen über 100.000 Menschen zum Gottesdienst vor dem Reichtag: Abschluss des 1. Ökumenischen Kirchentages in Berlin.
An jenem Sonntag – da passt der Einleitungssatz der Pfingstgeschichte – „waren sie alle an einem Ort versammelt“: Protestanten und Katholiken; Christen und Nichtchristen, Deutsche und viele tausend Gäste aus der weltweiten Ökumene.
Unterschiedliche Sprachen wurden gesprochen, auch im Gottesdienst: Der Psalm wurde erst auf Deutsch gelesen und dann in unterschiedlichen Sprachen wiederholt.
Auf Polnisch: dem Papst-Land, dem EU-Beitrittsland.
Auf Arabisch: Hinweis auf die Christen in der orientalischen und arabischen Welt, aber auch darauf, dass Moslems den Koran immer auch mit Blick auf die älteren Worte des Alten und Neuen Testaments lesen.
Und schließlich: Kisuaheli, die Sprache Ostafrikas – ein Fingerweiß, dass diese Welt nicht nur aus der reichen Nordhalbkugel besteht.
Das ist für mich das Pfingstwunder: Gottes Wort macht nicht halt vor politischen oder kulturellen Grenzen, nicht einmal vor den Grenzen der Religionen und erst recht nicht vor den Grenzen der Konfessionen: Welche Sprache man spricht, in welchem Dialekt man denkt, aus welcher Welt man kommt: Gottes Geist bewegt den ganzen Erdkreis.
Und hüten sollten wir uns davor, Pfingsten als Gegengeschichte zur Turmbaugeschichte von Babel zu lesen: als die Welt noch mit einer Zunge sprach und Gott nach dem sündhaften Turmbau das Sprachgewirr als Strafe geschickt haben soll. – Nein, das passt nicht: Auch an Pfingsten bleiben die unterschiedlichen Sprachen erhalten.
Verständigung ist manchmal sehr schwer: In Geiseke bereits spricht man womöglich eine andere Sprache als an St. Viktor, wenn es um die Ausgestaltung des Gemeindelebens geht. – Christen in Lateinamerika reden anders von Gerechtigkeit und Recht: Meine Freundin ist derzeit in Argentinien und lernt in einer evangelischen Gemeinde kennen, welche materiellen Nöten den Einzelnen bestimmen und welche wirtschaftlichen Zwänge ein ganzes Land.
Und in unterschiedlichen Sprache über den Glauben sprechen – das ist auch nicht einfach: Es gibt die (wahre oder gut erfundene) Geschichte vom Übersetzungscomputer, dem man in englischer Sprache den biblischen Satz eingab: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Man ließ das den Computer ins Russische übersetzen und zurück ins Englische. Und aus dem Satz des Matthäusevangeliums war ein Satz geworden, der eher in einem Restaurantführer hätte stehen können. Aus „Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach“ war geworden: „Der Schnaps ist gut, aber das Fleisch taugt nichts.“
Also, die unterschiedlichen Sprachen bleiben auch mit Pfingsten bestehen – mit allen Schwierigkeiten und der Notwendigkeit, sich zu verständigen. Aber: Der Geist Gottes schafft eine Brücke, der Motor, aufeinander zugehen zu können.
[II. Kirchentag in Berlin – Das Stimmengewirr einer pluralistischen Gesellschaft]
Damit sind wir bei einem zweiten Punkt: Dieses Pfingstgeschehen mögen einige nicht greifen oder be-greifen zu können: Herbeigekommene meinen, die Jünger, die die Menschen in ihren eigenen Sprachen ansprechen, seien schlichtweg betrunken. Kopfschütteln, ja Spott ernten sie auf die euphorische und offene Rede von Gott.
Beim Kirchentag konnte man zuweilen Ähnliches erleben: Eine Journalistin spottete in der FAZ-Sonntagszeitung über ein christlich-muslimisches Begegnungszentrum und schrieb: „Ganz Kreuzberg“ – das ein Berliner Bezirk, in dem viele Ausländer wohnen – „sei rund um die Uhr ein solches Begegnungszentrum, da müssten sich Christen nicht extra engagieren.
Allen Spott zu Trotz: Pfingsten macht die großen Taten Gottes öffentlich. Und macht uns fähig, diese Tagen weiterzusagen: nicht nur die Ordinierten auf evangelischen Kanzeln und nicht nur die Geweihten hinter katholischen Altären, sondern alle! Gottes Taten gehörten in alle Öffentlichkeit. In Berlin. In Schwerte.
Menschen sollen etwas spüren können von christlichem Lebensmut, zu dem uns der Geist ermutigt. Von unserem langen Atem, den uns der Geist einatmet. Von unserer begründeten Hoffnung, dass dieser Geist Gottes wirklich weht, wo er will, und gerade uns dort Türen aufschließt zu Menschen, die uns auf den ersten Blick fremd sind.
Pfingsten markiert für die ersten Christen einen Wendepunkt: raus aus der trauten Versammlung, hinein in die Öffentlichkeit – auch wenn manche, die hinzukommen, spötteln.
[Dem deutschen Volk – Der Segen Gottes für die ganze Welt – oder: Zeugen zu sein]
Ein dritte Verknüpfung zwischen Pfingsten und Kirchentag: Beim Abschlussgottesdienstes blickte ich auf den Reichstag. Dort die Aufschrift „Dem deutschen Volke“. Darunter das Dach der Altarbühne mit der Aufschrift: „Gottes Segen für die ganze Welt.“
Ein Widerspruch? Die Politik dem deutschen Volke verpflichtet? Der Gottes Segen aber für die ganze Welt?
Auch hier stoßen wir wieder auf die Pfingstgeschichte: Lukas nennt nicht umsonst haargenau und nervig detailliert alle Völker, die in Jerusalem das Pfingstwunder miterleben: Pather, Meder, Elamiter, Menschen aus Mesopothaminen, Judäa, Kappadozien … Und noch viele mehr: Insulaner und Menschen aus dem Vorderen Orient, Migranten und Einheimische.
Wir könnten uns auch in diese Aufzählung einreihen: Als Christen an einem ganz bestimmten Ort, mit einer spezifischen Herkunft und einer ganz bestimmten Lebenssituation, in der wir von Gottes Taten hören . Raus aus unserer Haut können wir nicht.
Und doch gilt das Weltumspannende: Petrus verweist auf den universalen Segen Gottes, der allen zugleich gilt: Gott gießt seinen Geist auf alles Fleisch aus, so prophezeit es bereits Joel, dessen Worte Petrus in seiner Predigt aufnimmt.
Und Gott will Zeichen und Wunder tun: am Himmel – also allumfassend, universal – und unten auf der Erde: schon heute, an unseren konkreten Orten, wo die Menschen in ihrer Sprache Gott hören und in ihrer Sprache von Gott reden. Genau so wie der Auferstandene, Jesus Christus selbst, beides verkörpert: Er kam als Mensch an einen konkreten Ort, fassbar, geschichtlich, geradezu an-fassbar. Und durch seine Auferstehung umhüllt er den ganzen Erdkreis: „Er sitzt zur Rechten Gottes.“
Durch den Geist Gottes können wir selber von den großen Taten Gottes reden. „Weissagen“ übersetzt Luther die Worte des Joel. „Prophezeien“ können wir sagen, „Zeugen sein“: Joel schreibt:
Eure Söhne und Töchter können Zeugen sein.
Eure jungen Leute können Visionen haben.
und Eure Alten können Träume haben.
Gestärkt und ermöglicht durch Gottes Geist: Atem zum Leben, erfrischender Wind, Tröster, Fürsprecher vor Gott.
Ich würde heute ergänzen: durch Gottes Geist, der ein Übersetzer ist. Der uns über-setzt zu Menschen, die uns zunächst noch fremd sind.
Helmut Thielecke, 1986 verstorbener luth. Theologe (Erlangen) erzählt:
„Ich habe einmal, kniend im Steppensand, mit einigen Hereros in Südwestafrika das Mahl des Herrn gefeiert. Keiner verstand auch nur einen Laut von der Sprache des anderen. Aber als ich mit der Hand das Kreuzeszeichen machte und den Namen „Jesus“ aussprach, strahlten ihre dunklen Gesichter auf.
Wir aßen dasselbe Brot und tranken aus demselben Kelch, und sie wussten nicht, was sie mir alles an Liebe erweisen sollten..
Wir hatten uns nie gesehen. Soziale, geographische und kulturelle Grenzen standen zwischen uns. Und doch umschlossen uns Arme, die nicht von dieser Welt sind.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich begann die Pfingstgeschichte zu begreifen.[…]“
Gleich am Tisch des Herrn wünsche ich uns, dass wir diesen einen Geist unter uns spüren. Amen.