Träume und Visionen – 50. Todestag Martin Luther King

Am 4. April jährt sich der Todestag von Martin Luther King zum 50. Mal, dem „Träumer“ für eine gerechtere Welt ohne Rassendiskriminierung und Unterdrückung. Hören für unsere Zeit genauer hin für unsere Visionen. 

(Andacht Leitungskonferenz Diakonie im KK Recklinghausen, Februar 2018 / Gründonnerstagsgottesdienst in Altena)

We shall overcome: Wir werden es überwinden. Der Gospel von 1901 wurde zum Song der US-Bürgerrechtsbewegung, als er 1963 beim „Marsch auf Washington“ erklang: 250.000 Menschen, Schwarze und Weiße, Christen aller Konfessionen nahmen daran teil. Friedlich. Und tief beeindruckt von der Rede Martin Luther Kings: „I have an dream“.

Ich habe den Traum, dass endlich alle begreifen, dass die Menschen gleich geschaffen sind. Ich habe den Traum, dass Menschen nach ihren Eigenschaften beurteilt werden, nicht nach ihrer Hautfarbe. Und sich weiße Jungen und schwarze Mädchen an den Händen fassen – das war damals so unmöglich und unbeschreiblich weit weg wie die Möglichkeit, dass Täler erhöht und Hügel und Berge erniedrigt werden.

Als junger Baptistenprediger Montgomery, Alabama, hatte Martin Luther King als Pastor eine strikte Rassentrennung erlebt: Schwarzen durfte nur im hinteren Teil der Verkehrsbusse Platz nehmen, vorne war für die Weißen reserviert. Die größte Demütigung hatte darin bestanden, dass die Schwarzen ihre Plätze freimachen mussten, wenn die Sitze für die Weißen nicht ausreichten. Die Näherin Rosa Parks weigerte sich, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast zu räumen – und wurde verhaftet. Es war zu erheblichen Unruhen gekommen. In einer mitreißenden Rede forderte Martin Luther King die schwarze Gemeinde zu einem monatelangen Bus-Boykott.

Gewalt kam nicht in Frage: „Wenn wir Frieden erklingen lassen“ – „dann sind wir frei“, endet die „I have a dream“-Rede: Martin Luther King war überzeugt davon, dass Gewalt mit Gewaltlosigkeit begegnet werden muss. Mahatma Gandhi war sein großes Vorbild. Er übte mit seinen Gemeindegliedern Gewaltfreiheit, die sich in den Straßenprotesten erweisen musste, wenn die Polizisten auf die Schwarzen einprügelten.

Völlige Gewaltlosigkeit war in der schwarzen Bevölkerung nicht unumstritten. King sei ein verrückter Träumer. Möglicherweise dadurch aufgestachelt, stieß eine verwirrte Frau Martin Luther King einen Brieföffner in die Brust (1958). Die Klinge verfehlte die Herzarterie um Haaresbreite und nur durch eine sofortige Notoperation konnte sein Leben gerettet werden. Die New York Times berichtete am nächsten Tag, er wäre gestorben, wenn er nur geniest hätte. Ein 9jähriges Mädchen schrieb:

»Lieber Dr. King! Ich bin eine Schülerin der 9.. Es sollte zwar keine Rolle spielen, aber ich möchte doch erwähnen: ich bin ein weißes Mädchen. In der Zeitung las ich von Ihrem Leiden. Ich las auch, dass Sie gestorben wären, wenn Sie hätten niesen müssen. Ich schreibe Ihnen ganz einfach deswegen, weil ich Ihnen sagen möchte: Ich bin so glücklich, dass Sie nicht niesen mussten.“

I have a dream: dieses Mädchen hatte schon verstanden und hatte „überwunden“…

II.

Martin Luther King lebte aus einer klaren Theologie: Wahrheit und Liebe als Triebfeder. Er nannte sie die mächtigsten Waffen der Welt. Befreiung – bis ins Politische hinein: Endlich frei werden! – Er stand für eine Kirche, die Stimme derer ist, die keine Stimme haben. Für die Unerhörten solle sie sprechen. Wenn die Kirche hier versage, sei sie nicht mehr die Kirche Jesu Christi.

 

Die biblischen Zukunftsbilder, die dazu gehören: der Auszug des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten. Die mutige Rede der Propheten, die das Volk Israel aber immer wieder an Gottes Gerechtigkeit erinnern und gegen alles Leid und alles Unrecht die Visionen eines neuen Himmels und einer neuen Erde aufrecht halten – etwa Jesaja: Er verheißt, dass Gott die Verhältnisse umkehrt, so wie die Täler erhöht und die Berge erniedrigt werden. Beim neuen Himmel und der neuen Erde sind alle Tod bringenden Gegensätze ein für alle Mal überwunden: Wolf und Lamm weiden auf einer Weide (Jesaja). Ein neues Jerusalem schwebt vom Himmel herab: in den alten Gassen trocknet Gott allen Menschen die Tränen. Selbst der Tod wird nicht mehr sein (Apk 21).

Bei Jesus ist es die Rede vom Reich Gottes, von einer Welt, wie Gott sie will. Und diese Welt ist schon mitten unter uns. Er erzählt davon in Gleichnissen. Er redet und handelt danach. Es bleibt für mich das absolute Faszinosum des christlichen Glaubens, dass Gott in einem Menschen, in Jesus Christus, diese neue Welt aufscheinen lässt. Bei allen Zweifeln an der Welt und den Abgründen des Menschen: Gottes neue Welt bleibt nicht spekulativ! Jesus, der Christus, hat bereits erfüllt, was noch unsere Träume sind: dass sich alle „Kinder Gottes, Schwarze und Weiße, Juden und Heiden, Protestanten und Katholiken“ – ich ergänze: – behinderte und nichtbehinderte, Arbeitssuchende und Arbeitfindende, Alte und Junge, Gesunde und Kranke, Frauen und Männer – dass alle Kinder Gottes sich bei den Händen fassen können.

Das ist ein Traum. Sicher naiv. Aber gleichsam so befreiend einfach. So zielführend. Aber heute genauso legitimationsbedürftig, weil nicht mehr selbstverständlich.

 

III.

Wo sind und was sind unsere Zukunftsbilder? Für unsere gemeinsame Arbeit? Aber auch für uns persönlich? Woran halten wir uns, wenn es existentiell wird? (Im Heidelberger Katechismus der Reformierten heißt die erste Frage: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“) Wofür setzen wir unsere Lebenszeit ein? Was wird uns zum Lebensthema?

Das hat jede und jeder für sich zu klären. Es wird nicht jeder ein Martin Luther King werden; es braucht auch immer einen Kairos. Aber es braucht auch eine Empfindsamkeit und eine Ansprechbarkeit für Visionen und Träume! Es braucht die Zeiten, Träume zu entwickeln und der Mut, sie mit anderen zu teilen – das ist doch dran!

Andersherum gesagt: Ich lasse mir nicht absprechen zu träumen – als ob es eben eine rationalistische Zeit wäre, eine digitalen Epoche, die allein im Hier und Jetzt kreiste, dass jetzt keine großen Entwürfe dran wären, sondern Realpolitik. Oder dass „Träume“ heute eben zu austauschbare Lappalien verkommen dürften („Es schon immer mein Traum war, bei diesem Verein zu spielen …“)

Nein! Wir lernen in unseren Arbeitsfelder eine Menge über die Zukunftsaussichten unsere Klienten – aber dadurch auch von unseren Klienten und ihren Träumen: Eine eigene Wohnung. Endlich wieder Arbeit. Erst einmal Deutschlernen. Im Alter sein und – anders – werden dürfen.

Halten wir Träume fest! Gerade wenn sie an den Realitäten platzen!

Eugen Eckert, Liedermacher und Pfarrer aus Frankfurt, war zu Anfang seines Berufslebens Sozialarbeiter in einer Jugendhilfeeinrichtung. Er begleitete lange einen Jugendlichen, der suizidgefährdet war.

Lebensträume miteinander leben, Freiheitsräume zusammen entdecken, liebevolle Menschenfreundlichkeit fürs eigene Leben mitnehmen – das alles hat alles nicht verhindert, dass sich dieser Junge schließlich das Leben nahm.

Eugen Eckert hat zur Beerdigung das nun folgende Lied geschrieben: „Halte deine Träume fest. Lerne sie zu leben.“ Er hat es wohl geschrieben, damit alle, die dabei waren, bei ihren Träumen blieben. Oder sie finden, wie man ein Lebensthema finden kann, auch aus einer schwierigen Lebenserfahrung, wie es Martin Luther King ja auch war.

Dieses Lied ist für mich mehr als ein Beerdigungslied: Es handelt davon, sich nicht beirren zu lassen. Sich nichts ausreden zu lassen. An Werten und Wertvollem festzuhalten. In der Hoffnung zu bleiben.

  Lied: Halte deine Träume fest