Im südschwedischen Städtchen Växjo ist im Glasmuseum alles Wissenswertige über die skandinavische Glaskunst ausgestellt: eine wertvolle Sammlung aus über 100 Glasfabriken ab dem 15. Jahrhundert. Mein Blick bleibt schon an einem Kunstwerk im Eingangsbereich hängen: Dort klettern und turnen kleine Menschen aus Glas eine riesige Fensterfront hinauf und herunter. Ihre Körper, vielleicht so groß wie eine Wasserflasche, biegen sich in den Raum. Mit ihren Händen und Füßen haften sich an der Fensterschreibe. Dahinter strahlt der satte blaue Himmel. Er spiegelt sich im Körper und den Gliedmaßen der Glas-Menschen wider.
Ich habe damals, vor drei Jahren, ein Foto gemacht. Es ziert heute meinen Handy-Bildschirm, und ich habe dieses Bild nicht aus dem Kopf bekommen. Seit drei Jahren. – Viele Menschen fragen mich, was das sei. Der Mensch, sage ich nun öfter. Und dass er sich in ihm der Himmel widerspiegelt.
Ich muss an diese faszinierende Installation denken, wo ich nun als Diakoniepfarrer und Vorstand Diakonie einen neuen Dienst aufgenommen habe. Denn in unserer Diakonie, in Beratungsdiensten, Wohnheimen und Werkstätten, bei ambulanten Hilfen und nicht zuletzt im Altenheim geht es zuerst immer um eins: um den Menschen. Und hoffentlich um den Menschen, in dem sich der Himmel, das Gesicht Gottes, spiegelt. Ebenbild nennt die Bibel das, wenn sich die Würde des Schöpfers im Geschöpf abbildet und dem Menschen seine unverlierbare Würde verleiht. Wie könnten wir ohne diese Annahme in guter Absicht ein Altenheim führen oder in einem Altenheim arbeiten oder wohnen?!
In meinen bisherigen Stationen als Pfarrer hat mich immer interessiert, wie die Kirche dem Menschen gerecht wird. In meiner Arbeit im Predigerseminar war mir wichtig, dass junge Theologen eine Stadt und ihren Gemeindebezirk genau wahrnehmen: Wer wohnt dort? Mit welchen Lebensfragen kommen die Menschen zur Kirche – oder eben nicht (mehr) zur Kirche? – In Altena, meiner vorherigen Station als Gemeindepfarrer, lebte ich in einer Stadt, die vom starken demographischen Wandeln gekennzeichnet ist. Die Gemeinde dort versucht, Menschen im Älterwerden zu unterstützen. Demenz soll kein Tabu mehr sein. Das Alter soll mit seinen besonderen Reizen einen neuen Wert bekommen, auch wenn es oft mit schmerzhaften Veränderungen und Abschieden verknüpft ist. Dazu kann jeder Ort, sei es die Gemeinde oder eine diakonische Einrichtung etwas beitragen!
Auch in meiner neuen Aufgabe soll der Mensch mit seiner von Gott geschenkten Würde im Mittelpunkt stehen – kein neuer Anspruch der Diakonie, aber täglich neu zu verinnerlichen, gerade wenn man nicht in der praktischen Arbeit sondern in der Leitung der Diakonie tätig ist.
Die Menschenfiguren in Växjö haben eine unglaubliche Leichtigkeit und Freiheit. Sie bewegen sich über dem Kopf des Betrachters, sie breiten die Arme aus wie ein Fallschirmspringer. Sie stehen Kopf. Auch wenn der Mensch äußerlich selten so ist: Ich ziehe aus diesen Bilder viel Kraft, weil der Mensch so frei wirkt. Und dem Himmel so nah.
Vielleicht kommen wir ja über „mein“ Bild vom Menschen mal ins Gespräch. Ich würde mich freuen!
Ihr
Pfarrer Dietmar Kehlbeier